Wenn Legenden des asiatischen Kinos in Richtung Amerika aufbrechen, dann ist das für ihre Anhänger zumeist ein Trauerfall. Denn auf der Strecke bleibt im harten Markt Hollywoods für gewöhnlich als erstes das besondere Flair, welches die Meister aus Fernost und ihre Filme sonst auszeichnete. Bei vier Versuchen hat der große John Woo bisher erst einen wirklich erstklassigen Film zustande gebracht, Jackie Chan’s Kaspereien bauen nur noch auf den Culture Crash auf, und auch andere einstige Ikonen wie Chow Yun-Fat und Ringo Lam verlieren zusehends ihren Glanz. So war auch beim ersten Amerika-Ausflug des japanischen Masterminds Takeshi Kitano ein ähnlicher Verlust zu befürchten. Doch Kitano, der seit mehr als zwanzig Jahren im Mutterland der Videorecorder einer der größten Helden der TV-Landschaft ist und als Vater von „Takeshi’s Castle“ und Konsorten für die Art durchgeknallten Medienmüll zuständig ist, die Woche für Woche bei „TV total“ aufgetischt wird, erwies sich als cleverer. Die Filme des ehemaligen Fernsehclowns haben schon immer eine ganz andere Seite seines Charakters beleuchtet, und so ist auch „Brother“ kein Zugeständnis an den amerikanischen Markt, sondern eine Ausdehnung des japanischen. In klassischer Tradition dreht sich dabei alles um Moral und Ehre: Der schweigsame Yamamoto, Mitglied der Yakuza (die japanische Mafia), ist gezwungen das Land zu verlassen, nachdem sein Familienoberhaupt umgebracht wurde und der Rest des Clans sich der Konkurrenz angeschlossen hat. Mit nicht mehr als einer Tasche voller Geld begibt sich der fremdsprachlich wenig begabte Gangster in die USA um dort Unterschlupf bei seinem Bruder Ken zu finden, der sich mit einigen afro-amerikanischen Freunden als kleiner Drogenschieber verdingt. Yamamoto kann nicht lange still halten: Er ist noch keine 48 Stunden im Land, da hat er auch schon ein halbes Dutzend Latinos erschossen, die den Geschäften seines Bruders in die Quere kamen. Ohne viel Gerede macht er sich zum Kopf der kleinen Bande, setzt die unnachgiebigen Methoden der Yakuza auf amerikanischem Boden um und kann so schon bald ein kleines Territorium für sich beanspruchen. Doch während sich chinesische und japanische Gangster durch Yamamotos Kodex von Ehre, Verpflichtung und Aufopferung beeindrucken und unterwerfen lassen, ist der Startup-Clan den Italienern ein echter Dorn im Auge. Und die spielen nach sehr un-asiatischen Regeln. Mit diesem langsam aufkeimenden Konflikt zweier verschiedener Prinzipien des organisierten Verbrechens inszeniert Kitano seine ganz eigene Version des Culture Crash, und erreicht wesentlich mehr: Nicht nur einen Einblick in die Funktionsweise und Strukturen der Yakuza, sondern auch eine Erklärung dafür, warum diese Organisationsform in Japan und nur in Japan funktionieren kann. In selbst für Gangster- und Actionfilme ungewohnter Manier wird hier Gewalt in einer Direktheit praktiziert, die nicht nur keine Zeit für Fragen, sondern auch keine Fragen offen läßt. Es wird nicht verhandelt, es wird gleich geschossen. Auf den Bodycount von „Brother“ wäre dann auch jede Rambo-Fortsetzung stolz. Die Beiläufigkeit allerdings, in der dieses konstante Blutbad inszeniert ist, ist in ihrer Konsequenz schon fast erschreckend, gleichzeitig aber ungemein effektiv: Denn trotz aller Schießereien, Geschäfte und Drohungen dreht sich der Film doch konstant um den kleinen, undurchschaubaren Mann im Zentrum des gesamten Geschehens. „Brother“ ist weniger ein Film über Gewalt und organisiertes Verbrechen, sondern eher ein subtiles Portrait eines orientierungslosen Mannes. So subtil, daß die tatsächliche Motivation von Yamamoto seltsam ambivalent bleibt: Einerseits ein Mann, der in einer fremden Kultur einfach das einzige tut, was er kann, auf die einzige Art, die ihm bekannt ist, ohne zu wissen, daß das hier nicht unbedingt die richtige Art ist. Andererseits eine verlorene Seele wie ein Ronin, ein Samurai ohne Meister, der für seine alte Familie offiziell tot ist und vielleicht gerade deshalb in vollkommen lakonischer Weise und Umbarmherzigkeit ein neues Imperium aufrichtet, daß ihm letztendlich doch völlig egal ist. Das ist wohl das japanischste an „Brother“: Das wahre Ich bleibt verborgen hinter einem undurchdringlichen Schild der äußeren Unscheinbarkeit. Mit blassen Farben bei der Ankunft seines Protagonisten in der Neuen Welt unterstreicht Takeshi Kitano die Tristesse seiner Situation, und liefert so die nächste Interpretation: Die Suche nach einem neuen „Zuhause“, welches dem einsamen Gangster die selbe Stabilität, Verläßlichkeit, Moral, Familie geben kann, die er so eben verloren hat. In einer erstaunlich ergreifenden Schlußszene wird deutlich, daß er zumindest das gefunden hat. Fans des asiatischen Films werden sich „Brother“ wohl so oder so antun, für alle anderen, die zum Fernost-Kino bisher keinen Zugang gefunden haben, ist dies sicherlich ein guter Einstieg. Gekoppelt mit den vertrauten amerikanischen Manierismen wird hier nicht nur eine typisch japanische Thematik eingeführt, sondern durch die geschickte Kontrastierung auch Mentalität und Systematik der Yakuza verdeutlicht. Womit der Grundstein zum Verständnis des modernen japanischen Ganster-Kinos gelegt sein dürfte. Ansonsten ist „Brother“ ein überaus gelungener, seltsam ruhiger und gleichzeitig gerade in seinen Gewaltdarstellungen drastischer Film, der bei schwierigem Thema klugerweise auf einfache Antworten verzichtet. Wenn amerikanische Gangsterfilme auch soviel Hirn hätten, wäre das Mainstream-Kino wahrscheinlich eine ganze Ecke besser.
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Jahr
2000
Laufzeit
112 min
Regie
Release Date
Bewertung
Bilder: Copyright
Advanced Film
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