
Wir
werfen einen Blick ins Russland des Jahres 1910: Das Reich
des Zaren
wird bereits untergraben durch alternative Ideen einer
Regierung
durch das Volk, und eine der größten Leitfiguren der
politischen Agitatoren rund um Tschertkow (Paul Giamatti)
ist der
bedeutende Schriftsteller Leo Tolstoi (Christopher
Plummer). Selbst
unter Hausarrest stehend schickt Tschertkov den jungen
Walentin
Bulgakow (James McAvoy) als sein verlängertes Ohr zum
ländlichen
Anwesen, auf das sich der alt gewordene Literat mit
einigen Getreuen
zurückgezogen hat. Sorge macht dem Politiker dabei vor
allem
die Rolle von Tolstois Gemahlin Sofia (Helen Mirren), die
sich auf
das Heftigste gegen die Vereinnahmung ihres Mannes durch
die Kommunisten
sträubt und mit noch mehr Vehemenz gegen deren Plan,
Tolstois
Erbe und die Rechte an all seinen Werken dem russischen
Volk zu
vermachen - dafür hat sie nicht das Manuskript von "Krieg
und Frieden" sechsmal eigenhändig abgeschrieben. Jungspund
und Tolstoi-Bewunderer Walentin mag sich da nicht so recht
entscheiden,
auf wessen Seite er steht, und sieht sich zudem ersten
amourösen
Verwirrungen ausgesetzt, bei denen ihm der weise Autor
auch nur
bedingt helfen kann.
Diese
europäische Gemeinschaftsproduktion hat sich in Bezug auf
die
Vermarktung "Epos" auf die Fahne geschrieben, warb schon
lange vor dem Kinostart mit potentiellen
Oscar-Nominierungen und
in Spots mit "großem Schauspielerkino". Selbst der
deutsche Titel macht aus der "Last Station" des übrigen
Auswertungsbereichs noch gleich einen kompletten
"Russischen
Sommer", welcher in seiner Bedeutung und historischen
Tragweite
anscheinend kaum noch einzufangen ist. Nun befinden wir
uns hier
zweifellos in interessanten Zeiten, doch ganz so bedeutend
wie einige
andere war das Jahr 1910 dann doch nicht, und in
mancherlei Hinsicht
macht dieser Film aus mehreren mittelgroßen Mücken einen
stattlichen Elefanten.
So werden die großen politischen Fragen eher am Rande
diskutiert
und der Unterschied zwischen Tolstois Theorie vom Verzicht
auf materielle
Güter und einem rigorosen Moralkodex und den etwas anders
gearteten
Plänen der Kommunisten kaum verdeutlicht. Es spielt sich
stattdessen
alles auf einer zutiefst privaten Ebene ab, auch der
Konflikt zwischen
den grundverschiedenen Zielen Tscheretkows und Sofias ist
mehr geprägt
von persönlichen Eigenheiten als von hehren Idealen. Dazu
die
wirklich nur mäßig interessanten und eigentlich nicht
besonders großen Liebesprobleme des Frischlings Walentin,
der zwar eine nachvollziehbare Funktion als Erzähler und
Orientierungspunkt
für den Zuschauer besitzt, den man aber vielleicht besser
auch
darauf begrenzt hätte als seine Rolle so bemüht
auszuweiten.
Wenn
man sich die berühmten Namen einfach mal wegdenkt, bietet
selbst
die gelegentlich in eine Art Hassliebe ausartende
Auseinandersetzung
zwischen den beiden Tolstois nicht mehr als eben das: Die
immer
heftiger werdende Krise eines alten Ehepaares, bei der es
schließlich
zum großen Knall kommt. Allerdings wird dieses Paar halt
großartig
gespielt von zwei echten Hochkarätern in Form von
Christopher
Plummer und Helen "The Queen"
Mirren. Wobei Plummer, der seinen größten Erfolg in den
60er Jahren als Kopf der Trapp-Familie in "The Sound of
Music"
feierte, bei seinem aktuellen Comeback aber zum zweiten
Mal nach
"Dr.
Parnassus" nur
die zweite Geige spielen darf: Bei "Parnassus"
konzentrierte
sich die mediale Aufmerksamkeit auf Heath Ledger und
dessen drei
"Stellvertreter", nun wird sie bei all dem Award-Getrommel
vor allem Helen Mirren zuteil. Was insofern logisch und
nachvollziehbar
ist, da Mirren hier alle Aggregatsstufen zwischen
weinender Verzweiflung
und rasender Furie durchlaufen darf und dabei trotzdem
immer würdevolle
Dame bleibt. Die ebenfalls nicht ganz unbegabten Herren
Giamatti
und McAvoy sind dagegen in ihren Parts fast schon
verschenkt und
müssen sich genau wie Mr. Plummer eindeutig hinten
anstellen.
Wenn sich die Geschichte dann im letzten Drittel auf ihren historisch bekanntesten und potentiell auch interessantesten Teil konzentriert, sind daher sämtliche vorhergegangen Problemchen und Nebenfiguren auf dem Familiensitz oder der frühen Version einer "alternatives Landleben-Farm" auch sehr schnell vergessen. Wenn Tolstoi seine geplante große Reise abbrechen und seine letzten Tage umlagert von einer Meute Journalisten auf einem kleinen Provinzbahnhof verbringen muss, dann findet der Film endlich einen Fokus, wo er bis dahin ziellos und fragmentarisch umher mäanderte, verschiedene Themen anriss, aber keines überzeugend oder gar fesselnd abhandeln konnte. Was bleibt ist dann am historisch verbürgten Ende ein schön fotografierter Einblick in die nicht besonders spektakulären privaten Probleme berühmter Menschen mit einem Hauch von Geschichtsstunde. Und der eine Aspekt, bei dem die Werbung dann doch nicht völlig übertrieben hat: Gutes Schauspielerkino.
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