49th  Parallel

MOH (133): 15. Oscars 1943 - "49th  Parallel"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 11. November 2025

In unserer letzten Folge hatten wir uns noch über fehlende Kriegspropaganda gefreut. In unserem heutigen Film ist diese dagegen gern gesehen, da ausgerechnet eine britische Produktion zeigt, wie man diese auch vielschichtig und interessant gestalten kann. 

49th  Parallel

Jahr
1941
Laufzeit
123 min
Release Date
Oscar
Nominiert "Outstanding Motion Picture"
Bewertung
8
8/10

Vielen dürfte das britische Filmemacherduo Michael Powell (1905–1990) und Emeric Pressburger (1902–1988) heute wohl nichts mehr sagen. Und auch für mich brauchte es erst diese Oscar-Reihe, um auf zwei der wohl faszinierendsten Filmschaffenden der britischen Kinogeschichte zu stoßen. Noch heute von Regisseuren wie Scorsese und De Palma verehrt, erschufen Powell und Pressburger gerade in den 1940er und 1950er Jahren mit ihrer Produktionsfirma "The Archers" einige der kreativsten und einflussreichsten Werke der britischen Filmgeschichte. Mit "49th Parallel" stoßen wir in unserer Oscar-Reihe nun auf eine ihrer frühesten Kollaborationen, die zwar nicht zu den berühmtesten des Duos zählt, aber schon ordentlich Gesprächsstoff bietet. Zwar ist dieser Antikriegsfilm nicht ganz frei von Schwächen, fasziniert aber durch den Ansatz, trotz aufgeheizter Kriegsstimmung noch die Menschlichkeit im verhassten Feind zu suchen. Und das wird hier so konsequent durchgezogen, dass man einfach nur den Hut ziehen kann.

In "49th Parallel" begleiten wir, und das darf man für eine britische Filmproduktion des Jahres 1941 als wirklich ungewöhnlich bezeichnen, die Besatzung eines deutschen U-Bootes. Diese hat in der Nähe der kanadischen Küste ein Frachtschiff zerstört, doch kurz darauf wird auch das eigene Boot nach einem feindlichen Flugangriff versenkt. Nur eine kleine Gruppe unter der Leitung von Leutnant Hirth (Eric Portman) kann sich retten, ist in der unwirtlichen kanadischen Wildnis aber jetzt auf sich allein gestellt. Ihre erste Begegnung mit der örtlichen Zivilisation ist ein Handelsposten der Inuit, bei dem sie unter anderem auf den Trapper Johnnie (Laurence Olivier, "Sturmhöhe", "Rebecca") treffen. Der ist  kein großer Freund der Nazis, genauso wie viele der weiteren Zeitgenossen, auf die unsere dezimierte deutsche Einheit während ihrer Flucht stoßen wird – darunter ein exzentrischer englischer Schriftsteller (Leslie Howard, "Der Roman eines Blumenmädchens", "Liebesleid") und eine aus deutschen Flüchtlingen bestehende Glaubensgemeinschaft. Derweil beginnt auch in den eigenen Reihen erste Skepsis an das Unterfangen einzusetzen, wenn der deutsche Matrose Vogel (Niall MacGinnis) langsam seinen Glauben an den Nationalsozialismus hinterfragt.
 


Wenn man diese Handlung liest, dann stellt sich vor allem eine Frage: Wie konnte eine Geschichte, die Nazis nicht nur vermenschlicht, sondern auch noch in den Mittelpunkt stellt, denn damals alleine schon die Vorproduktion überstehen? Bisher schien es in unserer Oscar-Reihe ja schließlich Usus zu sein, dass Nazis vor allem sehr klischeehaft oder satirisch überzeichnet in Erscheinung treten. Davon sind wir bei "49th Parallel" aber weit entfernt, obwohl wir es hier ja sogar mit einer britischen Filmproduktion zu tun haben. Im Vergleich zu Hollywood hatte die britische Filmindustrie aufgrund der Angriffe auf das eigene Land ja eigentlich noch viel mehr Gründe, ihren Kriegsgegner möglichst zu verunglimpfen. Zumindest zum Teil lässt sich das deutlich subtilere Vorgehen von "49th Parallel" aber mit der ursprünglichen Mission des Filmes erklären. Eigentlich war von britischer Seite geplant, mit Filmen wie diesem in den USA die öffentliche Meinung zugunsten eines Kriegseintritts zu beeinflussen. Da aber sowohl Hollywood (finanzielle Interessen) als auch die amerikanische Bevölkerung einen Kriegseintritt Anfang der 1940er Jahre zu großen Teilen noch skeptisch sah, wollte man seine Botschaft lieber subtil als aggressiv platzieren. Was auch der Grund dafür ist, warum die Geschichte in Kanada und nicht in den USA spielt. Die gute alte Angst vor dem medialen Backlash gab es eben auch damals schon.

Am Ende wäre so viel Vorsicht aber wohl gar nicht nötig gewesen, denn die Dreharbeiten verzögerten sich so lange, dass beim eigentlichen Release die USA schon längst in den Krieg eingetreten waren. Ob das Vorwissen um den amerikanischen Kriegseintritt aber die kreativen Köpfe hinter dem Film wirklich zu einem anderen Vorgehen verleitet hätte, ist trotzdem fraglich. Denn dass dieser Film so ungewöhnlich ausfällt, liegt auch an einem Filmemacherduo, das sich in seiner langjährigen Zusammenarbeit meist für den vielschichtigeren und interessanteren Weg entschied. Im Fall von "49th Parallel"  besteht dieser darin, dass Michael Powell und Emeric Pressburger die Propaganda der Nazis dadurch entlarven möchten, dass man diese auf ihrer Reise stets mit den Gegenstücken deren abstruser Welt- und Wertevorstellungen konfrontiert. Das reicht vom freiheitsliebenden Trapper über den intellektuellen Engländer bis hin zur friedfertigen Religionsgemeinschaft. 
 


Eingebettet sind diese Begegnungen in einen klassischen Road-Trip, bei dem unsere "Helden" gleich zwei Herausforderungen meistern müssen: die physischen Herausforderungen in der rauen kanadischen Wildnis und den kognitiven Balanceakt, im Feindesland unerkannt zu bleiben. Wobei es ehrlich gesagt nur selten wirklich spannend wird. Der Fokus liegt hier deutlich mehr auf ruhigem Dialog als auf Thrill und Action, und mit die besten Momente des Films finden eher unaufgeregt statt. Das perfekte Beispiel dafür ist die Begegnung unserer Nazi-Crew mit einer religiösen Gemeinschaft der Hutterer, die einst aus Deutschland (!) auswanderte, um in Kanada in friedlicher Eintracht nach eigenen Wertvorstellungen zu leben. Aus diesem spannenden Kontrast generiert der Film gleich mehrere großartige Szenen, wenn zum Beispiel beim Abendessen Hirths flammender Appell an das gemeinsame deutsche Blut bei der deutschen Exil-Gemeinde auf komplette Ablehnung stößt. Besser noch: Die Hutterer sind vor allem komplett irritiert und gleichgültig zugleich angesichts der Lautstärke und emotionalen Botschaft ihres Gastes, was dessen Worte noch hohler wirken lässt, als sie es sowieso schon sind.

Genau das sind die Momente, bei denen der ungewöhnliche Ansatz von "49th Parallel" seine große Stärke ausspielt. Wenn dann auch noch der Hutterer Peter, wundervoll gespielt vom ins Exil geflüchteten österreichischen Schauspieler Adolf Wohlbrück, ganz ruhig die Unterschiede der verschiedenen Wertevorstellungen dieser zwei Gruppen erläutert, könnte das nicht überzeugender ausfallen. Der beste Moment des ganzen Films erfolgt aber an anderer Stelle, wenn nämlich der deutsche Matrose Vogel gegenüber Peter beginnt seine eigenen Motive zu hinterfragen und noch einmal reflektiert, was ihn denn eigentlich damals dazu gebracht hat, sich dem Nationalsozialismus zu verschreiben. Klar, das ist strenggenommen natürlich auch zielgerichtet geschriebene Propaganda, die der Film hier abliefert. Aber ist das nicht ein Traum, dass man selbst mitten im Krieg als Filmemacher noch mit solch einem Fingerspitzengefühl die Motive des Gegners analysiert, anstatt es sich einfach zu machen und diesen komplett an den Pranger zu stellen?
 


Zugegeben, nicht alle Nazis sind hier so reflektiert wie Vogel. Aber auch der Rest wirkt doch deutlich komplexer, als man es bisher in dieser Oscar-Reihe gewohnt war. Was auch daran liegt, dass der Film in gewisser Weise uns mit diesen Menschen identifizieren lässt, indem er eben seine Handlung aus deren Perspektive aufbaut. Dabei streut man bewusst immer wieder Momente ein, die deutlich zeigen, dass diese Protagonisten zwar fehlgeleitet sein mögen, aber am Ende eben doch auch Menschen wie du und ich sind. Was schön zu beobachten ist, wenn gerade die Jüngeren der Truppe zum ersten Mal in eine große kanadische Stadt kommen und dort mit einem Lächeln das Lichtermeer und vor allem die Vielzahl an Speisen erblicken.

Diese Figuren zu kritisieren, aber nicht zu verteufeln und sie gleichzeitig immer wieder clever mit anderen Wertevorstellungen zu konfrontieren, ohne dabei zu arg den Moralzeigefinger zu heben, all das macht "49th Parallel" zu einem wirklich bewundernswerten Film. Das brachte damals dann wohl auch so große Stars wie Laurence Olivier und Leslie Howard dazu, für eine reduzierte Gage in Kurzauftritten für etwas Hollywoodglanz zu sorgen. Olivier übertreibt es mit dem französischen Akzent seiner Rolle aber derart, dass er dem Film in seinem Segment deutlich an Ernsthaftigkeit raubt. Gefühlt hätte die Inszenierung und Kameraarbeit auch noch etwas packender ausfallen können, da wirkt "49th Parallel"  handwerklich doch etwas unbeeindruckend. Da kann dann auch der spätere Starregisseur David Lean ("Lawrence von Arabien"), der hier für den Schnitt verantwortlich war, nicht viel mehr rausholen. Dazu leidet die Dramaturgie des Films auch etwas darunter, dass die verschiedenen Episoden gefühlt doch noch etwas flüssiger miteinander hätten verwebt werden können.
 


Gleichzeitig hat es aber auch seinen Charme, dass der Film gerade gegen Ende schon fast ein wenig bizarr daherkommt. Der Auftritt eines englischen Dandys inmitten der kanadischen Wildnis wirkt komplett an den Haaren herbeigezogen, ist erst mal inhaltlich schwer zu schlucken und entpuppt sich dann doch als ziemlich clever. Denn wenn hier am Ende die Gerechtigkeit die Oberhand gewinnt, dann geschieht dies nicht durch eine erfolgreiche Operation des kanadischen Geheimdienstes, sondern eher durch den Faktor Zufall und eigentlich komplett dafür ungeeignete Figuren. Wodurch aber eben wundervoll die Idee des Nazis als Übermenschen entzaubert wird – auch auf die Gefahr hin, dass deren Ende im Film mal so gar nicht cineastisch ausfällt.
Glücklicherweise haben aber sowohl das amerikanische Publikum an der Kinokasse als auch die Academy den Film am Ende für seinen Mut belohnt. Von drei Nominierungen gewann das Werk schließlich verdient die Auszeichnung in der Kategorie "Beste Originalgeschichte“. Autor Emeric Pressburger war im gleichen Jahr dabei auch noch in der Kategorie "Bestes Originaldrehbuch“ für den Kriegsfilm "One of Our Aircraft Is Missing" nominiert – gemeinsam mit Michael Powell. Es waren die Anfangsjahre einer Zusammenarbeit, die der britischen Filmgeschichte schon bald einige ihrer faszinierendsten Mosaikstücke hinzufügen würde. Im Jahr 1943 gründeten Pressburger und Powell die Produktionsfirma "The Archers“ und schworen sich, nur Filme zu produzieren, die ihrer Zeit zumindest ein paar Jahre voraus waren. Das Versprechen klingt vermessen, wurde aber erstaunlich oft erfüllt. Beide teilten sich bei ihren Werken dabei stets den Credit für die Produktion, die Regie und das Drehbuch – auch wenn, wie bei "49th Parallel", in der Praxis der Fokus von Powell stärker auf der Regie und der von Pressburger eher auf dem Drehbuch lag.

Gerade die späteren Werke dieser Zusammenarbeit versprühen dabei einen Einfallsreichtum, den man heute nur noch schwer finden kann. Vor allem visuell tobte man sich dabei kreativ aus, wovon in "49th Parallel" zugegebenermaßen jetzt noch wenig zu sehen ist – was sicher auch am eher geringen Budget des Films lag. Der Fokus späterer Werke auf innerlich zerrissene Charaktere fernab von jeglichem Schwarz-Weiß-Denken ist aber bereits schon in "49th Parallel" spürbar. In einem ihrer bekanntesten Filme, dem Technicolor-Epos "Leben und Sterben des Colonel Blimp", sollten Pressburger und Powell ebenfalls wieder ein ziemlich differenziertes Bild der Deutschen zeichnen – und sich dafür einen ziemlichen Rüffel von Winston Churchill einhandeln.

Noch heute hat das Duo große Bewunderer in der Filmwelt, darunter die Regisseure Brian de Palma und Martin Scorsese. Scorsese freundete sich sogar mit Powell an und sorgte indirekt dafür, dass dieser Scorseses berühmte Cutterin Thelma Schoonmaker heiratete. So weit würde ich in meiner Bewunderung für Powell nun nicht gehen, aber "49th Parallel" hat trotz seiner Schwächen mir jetzt schon unglaublich Lust auf weitere Werke dieses Filmemacherduos gemacht. Wie schön, dass wir eines ihrer berühmtesten Werke in dieser Reihe auch noch antreffen werden. Bis dahin gilt es aber die Neugier im Zaum zu halten und sich darüber zu freuen, dass wir hier wieder völlig unerwartet über ein spannendes Stück Filmgeschichte gestolpert sind.
 

"49th Parallel" ist aktuell als Blu-ray-Import auf Amazon in Deutschland verfügbar. Alternativ ist der Film auch auf der Webseite des Internet Archive kostenlos abrufbar. 


Trailer des Films.
 


Ein schöner Eindruck des Gesamtwerkes von Powell und Pressburger
 


Martin Scorsese spricht über das berühmte Regie-Duo.
 


Noch bessere Inside-Information gibt es von Witwe Powells – niemand geringerem als der legendären Cutterin Thelma Schoonmaker.
 


Ausblick
In unserer nächsten Folge treffen wir auf den Oscar-Gewinner des Jahres, bei dem – keine große Überraschung – ebenfalls wieder der Zweite Weltkrieg im Fokus steht.


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