
Ob "Alien", "Blade Runner" oder "Thelma & Louise" - die großen Klassiker des Ridley Scott liegen nun schon eine ganze Weile zurück. In den letzten 15 Jahren wäre - um in ähnlichen Größen-Ordnungen zu sprechen - da eigentlich bloß noch "Gladiator" zu nennen, die mit fünf Oscars ausgezeichnete Wiederbelebung des Sandalen-Films. Seitdem hat Scott sicher alles andere als schlechte Filme gedreht ("Black Hawk Down", "Hannibal", "Königreich der Himmel"), aber eben auch kein weiteres (Fast-)Meisterwerk. Nun sollte es wieder einmal soweit sein: mit Washington und Crowe, den Schauspiel-Giganten, der fast märchenhaften (aber wahren) Geschichte vom Aufstieg eines Schwarzen zum Drogen-König von Harlem - das ist der Stoff, von dem sich eine Oscar-Academy beeindrucken lässt. Und so fühlt sich "American Gangster" dann auch an: Auszusetzen gibt's im Grunde nichts, doch schwingt immer ein wenig das Gefühl mit, dass Ridley Scott in erster Linie auf den ersten Regie-Oscar schielt, so wie es einige Kritiker einst auch Martin Scorsese bei seinen letzten Werken vor dem überfälligen Oscar-Gewinn vorwarfen.
Im New York City der 70er-Jahre muss Franc Lucas (Denzel Washington) hilflos mit ansehen, wie Bumby Johnson, einer der führenden schwarzen Gangster-Bosse der Stadt, dessen loyaler Helfer er war, in seinen Armen stirbt. Doch statt dem Ende ist es der Beginn einer neuen Ära: Statt sich dem System zu beugen, in dem die Mafia ihr Monopol auf Korruption aufbaut, wird Franc sein eigener Boss. In einer Stadt und einer Zeit, in der nichts besser weggeht als Drogen, findet er neue Wege, das Zeug billiger und reiner an die Leute zu bringen. Die Machtverhältnisse in New York haben sich verschoben. Dies spürt auch Richie Roberts (Russell Crowe), ein Cop, der Szene und Moral kennt; einer der wenigen, die nicht korrumpiert worden. Mithilfe einer neu gegründeten Einheit versucht er hinter die Identität des neuen "Superstars" von New York zu kommen.
Wie bereits erwähnt ist die Geschichte des Franc Lucas keine kreative Schöpfung, sondern in der Realität verwurzelt. Ihn hat es in nahezu identischer Form tatsächlich gegeben. Im Jahre 2000 wurde seine Geschichte von dem Journalisten Mark Jacobsen der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Kurz darauf wurde auch der Entschluss gefasst, diesen Stoff für die große Leinwand zu adaptieren. Die Jahre seitdem zogen ins Land dank zahlreicher Drehbuch-Überarbeitungen, dem in andere Projekte involvierten Wunsch-Regisseur und einem Dreharbeiten-Stopp durch das Studio - es kam einiges zusammen. Nun ist das Epos, selbstverständlich in Überlänge, endlich fertig und rückt erwartungsgemäß vor allem seine beiden namhaften Darsteller in den Mittelpunkt.
Einem von Beiden klebt die Kamera garantiert immer im Gesicht. Da es sich bei Denzel Washington und Russell Crowe unbestritten um zwei der besten Mimen unserer Zeit handelt, dürfte das jedem Zuschauer nur recht sein. Dass beide auch in diesem Film Glanz-Leistungen vollbringen, ist schon fast müßig zu erwähnen. Interessanter ist da wohl eher die Frage, wer das direkte Duell für sich entscheidet, und das ist - vielleicht ein wenig überraschend - Russell Crowe. Denn Washington mag zwar wieder einmal fast alles aus sich herausholen, doch spukt einem bei seinem Auftritt manchmal das Wort "Autopilot" durch den Kopf. Klar, Autopilot auf extrem hohem Niveau. Aber vereinzelte Gesten und Mimiken haben sich mittlerweile ein wenig abgenutzt, seine Oscar-gekrönte Rolle als Alonzo in Antoine Fuquas "Training Day" beispielsweise war ähnlich ambivalent angelegt und wurde von ihm auch ähnlich gespielt.
Russell Crowe hingegen verleiht seinem Charakter einige weichere Facetten, wie man sie vom neuseeländisch-australischen Prügel-Knaben sonst weniger gewohnt ist. Natürlich hatte er auch in "Gladiator" (phasenweise) oder "A Beautiful Mind" bereits sein anderes, sanfteres Gesicht gezeigt, doch kommt hier noch etwas Neues hinzu; etwas Naives, Schüchternes. Wenn Roberts beispielsweise mit einem Haufen korrupter Cops in Konflikt gerät, zeigt sich Crowe fast schon verängstigt.
Für Russell Crowe ist "American Gangster" ein größerer Schritt als für Denzel Washington, doch im Endeffekt nehmen sie sich nicht viel. Besser lässt sich ein Film kaum besetzen. Ein kleiner Wehrmutstropfen bleibt jedoch: Die Anzahl der Minuten, in denen Washington und Crowe gemeinsam die Leinwand füllen, ist mit bloßen Händen abzählbar. Doch in dieser kurzen Zeit ist es selbstverständlich ganz große Schauspiel-Kunst.
Auch wenn man von diesen beiden Herren einmal absieht, stehen die Zeichen eigentlich auf Meisterwerk. An den tollen Bildern kann man sich kaum satt sehen. Die Locations (an über 150 verschiedenen Orten wurde gedreht) passen perfekt, erzeugen ein stimmiges New-York-City-70er-Feeling. Der Soundtrack fährt eine Mischung aus R&B, Blues, Soul und Funk auf, und fügt sich nahtlos in dieses Bild ein.
Dazu versteht es Scott, ganz im Gegensatz zu einigen seiner anderen Werke, weitestgehend ohne großkotzige Schießereien und Krawumm-Einlagen auszukommen. Nur selten lässt er die Waffen sprechen, doch wenn, dann ist es verdammt hart und intensiv. Dann stellt er klar, in welchem Szenario diese Geschichte eigentlich angesiedelt ist und wer ihre Protagonisten sind, auch wenn sich vor allem bei Franc vieles um Familie und Ehre dreht.
Das alles reicht jedoch trotzdem nur zu einem Film, den man sich gerne (wieder) anschaut, aber sicher nicht auf Platz Eins der Besten-Liste des Jahres setzt. Ridley Scott begeht im Grunde nur einen einzigen Fehler, wenn man es so nennen möchte: Er wagt nichts. Geschichten, die vom steilen Aufstieg und vom tiefen Fall erzählen, gibt es wie Sand am Meer. Diesem Thema vermag auch er - trotz handwerklich absolut astreiner Arbeit - nichts Neues hinzuzufügen.
"American Gangster" unterhält von der ersten bis zur letzten Minute. Aber er begeistert nicht. Nichts davon bleibt auf lange Sicht in Erinnerung. Ob das nun für den Oscar reicht? Martin Scorsese hat ihn dieses Jahr auch für einen Gangster-Film bekommen, noch dazu ein Remake. Die Chancen könnten also bedeutend schlechter stehen.
Neuen Kommentar hinzufügen