Dom Cobb (Leonardo DiCaprio) ist ein Meister seines Fachs, und dieses Fach ist "Extraction", das Stehlen von Geheimnissen. Aber diese Geheimnisse sind nicht irgendwo zu stehlen, sie sind im Geist seiner Zielpersonen zu finden. Zusammen mit seinem Team, zu dem als einzige feste Größe seine rechte Hand Arthur (Joseph Gordon-Levitt, "(500) Days of Summer") gehört, ist Cobb auf diese Art von Gedankendiebstahl spezialisiert. Der mächtige Geschäftsmann Saito (Ken Watanabe) möchte jedoch etwas anderes von ihm: "Inception", das Einpflanzen einer Idee in den Geist einer Zielperson. Er macht Cobb ein Angebot, das dieser nicht ablehnen kann und mit einem neuen Team, inklusive der jungen Architekturstudentin Ariadne (Ellen Page, "Juno"), des Fälschers Eames (Tom Hardy) und des Chemikers Yusuf (Dileep Rao) macht sich Cobb auf diese neue Mission, die gleichzeitig eine Mission zur Rettung seiner Seele wird...
Christopher Nolan ist zurück. Und mit ihm: der Hype, die Erwartungshaltung, die geschickte PR-Kampagne, die uns nur ein paar mysteriöse Poster bescherte und noch viel vagere Ideen über einen Sci-Fi-Thriller, der sich laut Regisseur in der Architektur des Geistes abspielt. Aha. Womit Nolan offenbar an der Apotheose seiner Arbeit angelangt ist. Mehr als jeder andere momentan im Mainstream arbeitende Regisseur (damit ist David Lynch nämlich aus dem Rennen) ist Nolan der Meister und Erforscher des Zerebralen, des Films als intellektuellem Puzzle. Man könnte sagen: Nolan ist wie ein Filmzombie. Er will nur eins: Gehhhiiiirrrnnn! Aber nicht zum Verspeisen, sondern zum Stimulieren. Noch offensichtlicher als andere Regisseure bezieht Nolan explizit auch immer die Zuschauer in seine Versuchsanordnungen und Gedankenspiele mit ein. Fragt den Zuschauer in "The Prestige", ob er auch brav zuguckt und dem Regisseur als Zauberer (oder Schummler) auf die Spur kommt. Wirft nicht nur Batman in "The Dark Knight" in ein moralisches Dilemma nach dem anderen, sondern mit ihm auch das Publikum.
Und nun der Geist als Schauplatz. Selten haben damit Setting eines Films und Vorliebe eines Regisseurs so gut zusammengepasst, was natürlich kein Zufall ist. Schließlich hat Nolan das Drehbuch nicht nur selbst geschrieben, sondern auch über Jahre weiter ausgearbeitet. Die Frage ist jetzt natürlich: Hat sich das Jahrzehnt gelegentlicher Arbeit an "Inception" denn nun gelohnt?
Die Antwort: Natürlich hat es das. Intelligenteres oder technisch exquisiteres Sommerkino findet man zurzeit (und zu fast jeder anderen Zeit) nirgendwo. Und außer Hayao Miyazaki und Pixar hat sowieso keiner eine so tadellose Bilanz wie Nolan, was klasse Filme der letzten zehn Jahre betrifft. Aber: Das ganz große Meisterwerk ist es wieder nicht geworden.
Dies muss man ja vorausschicken, da nicht wenige hier auf den 10-Augen-Ritterschlag warten, wo doch "Inception" weit und mächtig aus der bisher so miesen Blockbuster-Saison herausragt und in den USA ein wahres Festival an enthusiastischen Höchstwertungen begeisterter Kritiker einsammelte. Gehen wir also einfach mal von der Höchstwertung aus und arbeiten uns herunter. Was heißt, wir können erst mal alles vermerken, was unter die Güteklasse A fällt. Als da wären: Eine originelle, vielschichtige Story, die sich deutlich von den üblichen Aufhängern für Actionkino abhebt und das ständige Mitdenken des Zuschauers voraussetzt. Eine oftmals beeindruckende visuelle Umsetzung. Eine exzellente Besetzung.
Wo hakt es also? An einem Trend, den man in den letzten Filmen von Christopher Nolan beobachten konnte, etwa im "Dark Knight": Der Weg zu einer technischen Perfektion, aber einer emotionalen Sterilität. Nolan ist ganz offensichtlich ein Fan von Kubrick, was man an den streng durchkomponierten Bildern und der herausgestellten Architektur durchaus erkennen kann. Er hat aber auch Kubricks große Schwäche geerbt. Wie Kubrick ist Nolan purer Rationalist, kein Fantast, und zudem ein kalter Fisch in Sachen Gefühlswelt. Alles ist kühl, gnadenlos durchdacht, perfekt in seinen Filmen, aber eben auch ohne große Emotionen. Es ist alles ein wenig zu perfekt hier und besonders die mangelnde Emotionalität fordert ihren Tribut. So faszinierend "Inception" anzusehen ist und so wunderbar der Ideenreichtum und die Bilder sind, so fehlt einem völlig ein emotionales Involviertsein.
Da hilft auch Leonardo DiCaprios Leidensmiene nicht, die zudem ein weiteres Problem offenbart, an dem "Inception" aber gänzlich schuldlos ist - nämlich, dass man als Zuschauer von DiCaprios letztem Film "Shutter Island" hier überdeutlich eine Dopplung des emotionalen Kernkonflikts seiner beiden Filmcharaktere erkennen wird, woran diese zweite Tour unweigerlich etwas leidet. Allerdings ist DiCaprios Dom Cobb der Einzige, dem hier überhaupt ein Innenleben zugestanden wird, alle anderen Figuren bleiben holzschnittartige Typen. So ist es uns egal, ob und wie die Zielperson Fischer (Cillian Murphy) seine Probleme mit seinem Vater löst, und die Mitglieder von Cobbs Team werden eigentlich nur über ihre Funktion definiert. Dabei stehen dort mit Leuten wie Joseph Gordon-Levitt, Ellen Page und Tom Hardy wirkliche Könner auf der Matte, die aus ihren Rollen eben so viel herausholen, wie herauszuholen ist. Am besten hat es da Tom Hardy erwischt, der mit dem einen oder anderen trockenen Spruch auch für so gut wie die einzigen Lacher des Films sorgt.
Nolans komplettes Desinteresse an Fantastik sorgt dafür, dass die Traumsequenzen - und der Film besteht zu einem Großteil daraus - einem strikten Realismus unterliegen, der bisweilen fast ans Mondäne grenzt. Das wird innerhalb der Geschichte durchaus plausibel begründet - ein Architekt muss versuchen, möglichst wenig Aufmerksamkeit auf die konstruierte Natur der Traumwelt zu ziehen - aber dennoch: Gerade die in den Traumwelten stattfindenden Actionszenen haben etwas Pflichtschuldiges an sich, ohne den Puls oder die Anspannung besonders hoch zu treiben. Sowohl die Autoverfolgungsjagd in Paris als auch die später stattfindenden Schneeabenteuer sind für sich genommen völlig banal, und hier fehlt ein wenig Fantastik, ein wenig Verrücktheit, ein wenig Traumlogik. Es muss ja nicht gleich David Lynch-artiges komplettes Verstand verlieren sein, aber hier hätte auch nur ein klein wenig davon - überhaupt irgendein überraschender Einfall - geholfen.
Womit dann auch klar ist: Nolan ist viel zu sehr strenger Realist, um einen wirklich hundertprozentig erfolgreichen Film über Träume zu machen, weil er eben das, was sie ausmacht, auslässt: Die Traum(un)logik mit ihren abrupten, nicht nachvollziehbaren Orts- und Zeitwechseln und non sequitur-Momenten. Kurzum: Hier ist alles viel zu logisch und methodisch, um der Charakteristik von Träumen wirklich nahe zu kommen. Das schafft nur David Lynch - mal meisterhaft ("Mulholland Drive", der wohl beste Traum-Film aller Zeiten), mal mangelhaft (der scheußliche Albtraum "Inland Empire").
Eine einzige Sequenz ragt hier im Positiven heraus, und das ist der Kampf in einem schwerelosen Hotelkorridor zwischen Cobbs rechter Hand Arthur und ein paar feindlichen Schlägern. Diese auch handwerklich exzellent ohne CGI umgesetzte Szene wird ganz klar ein kleiner Klassiker des Genrekinos werden, hier blitzen Möglichkeiten auf, die Nolan anderswo liegen lässt, nämlich das Gefühl, so etwas so noch nicht gesehen zu haben. Aber Actionszenen waren und sind eben nicht seine Stärke, sondern eher ein abzuhandelndes Element, um das Budget für seine zerebralen Werke zu bekommen.
"Inception" fehlt es allerdings nicht nur an typisch unvorhersehbaren Traum-Momenten, sondern leider insgesamt ein wenig an Überraschungen, denn nachdem sich die ursprüngliche Konfusion, die die Eröffnungsszenen geradezu herausfordern, legt, fängt der Film an zu erklären und zu erklären und zu erklären. Da werden dann minutiös die Regeln für das Arbeiten in Traumwelten dargelegt (nur um später ständig gebrochen zu werden), aber ansonsten läuft der Rest des Films fast genau so ab, wie nach der ersten halben Stunde dargelegt. Man wartet darauf, jetzt noch mal irgendwie völlig aus den Socken gehauen, so richtig umgeworfen zu werden. Aber das passiert halt nicht. Die "Matrix" war zwar genaugenommen ein ganzes Stück dümmer als "Inception", aber bei den Wachowskis kam man damals aus dem Kino und hatte das Gefühl, selbst fliegen und in "Bullet Time" Kungfu betreiben zu wollen. Bei "Inception" kommt man aus dem Kino und hat einen sehr gut erzählten, sehr gut gemachten Film gesehen. Eine runde Sache, quasi. Über das mutwillig ambivalente Ende mag man noch ein wenig nachdenken, aber man bleibt leider nicht hängen im Unmöglichen, im Fantastischen. Denn das hat Nolan seinen Träumen ausgetrieben.
Einen weiteren Mythos gilt es ob soviel Rationalismus noch zu entkräften: Die angebliche Schwierigkeit und Komplexität des Filmstoffs. Mehrere US-Kritiker, darunter Roger Ebert, haben den Film zur quasi Spoiler-freien Zone erklärt, da er so kompliziert ist, dass man eigentlich kaum den Plot beschreiben könne und demnach auch nicht spoilern. Eine ausgesprochen merkwürdige Reaktion, denn dieser Rezensent hatte trotz latenter Müdigkeit und einem Besuch der Spätvorstellung keinerlei Mühe, den verschiedenen Traumebenen zu folgen. Das liegt zum einen daran, dass Nolan so wahnsinnig viel erklärt hat, dass man die Mechanik seiner Welt nun bis ins Detail verstanden hat, zum anderen daran, dass er dankenswerterweise die Traumebenen visuell und thematisch andersartig konstruiert hat, so dass man nur einen visuellen Hinweis braucht (Brücke, Hotel, Schnee, Stadt), um zu wissen, in welchem Traum innerhalb eines Traums man sich gerade befindet. Weswegen die parallele Action auf vier verschiedenen Traumebenen im Finale des Films zu keinem Moment Konfusion auslöst, auch weil die Arbeit von Cutter Lee Smith diese Sequenzen sehr gut und logisch verbindet.
Wie überhaupt natürlich vom Cutter über den Kameramann (Nolans Stammkraft Wally Pfister) hier wieder absolut erlesene Arbeit geleistet wird und rein vom technischen Niveau her "Inception" als nichts anderes denn hervorragend bezeichnet werden kann. Daher sind die kritischen Anmerkungen hier natürlich Gemecker auf hohem, ja allerhöchstem Niveau. Aber es ist nun mal so: Wer konstant Brillanz aufblitzen lässt, so wie Nolan es in seiner kompletten Filmographie auch in den schwächsten Momenten noch getan hat, von dem wird nicht anderes erwartet als Meisterwerke, und an dieser Erwartung ist Nolan nun wieder einmal vorbeigerutscht. "Inception" anzuschauen ist, wie einer perfekt arbeitenden Maschine zuzuschauen. Es ist faszinierend, es ist beeindruckend, aber es fehlt der Extrakick, das Unvorhergesehene, der Stich ins Herz, der Schlag in den Magen, der Tritt in die Eier.
In seinem besten Film, dem immer noch so zu wertenden Meisterwerk "Memento" hat Nolan es geschafft, den Zuschauer sowohl intellektuell als auch emotional zu fordern. Diese Balance hat er leider (noch) nicht wieder gefunden. Ja, Nolan ist wie ein Zombie und er will dein Gehirn. Nächstes Mal bitte aber auch das Herz, den Magen und die Genitalien! Denn nur von Geistesnahrung ist noch keiner satt geworden.
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