Matthew Vaughn will nur eins: unterhalten um jeden Preis. Und das am Besten mit ordentlich Action, mehr als ein paar Spritzern Blut und coolen Typen im Mittelpunkt. Und spätestens nachdem er die X-Men für den drögen „X-Men: Zukunft ist Vergangenheit“ wieder in die bleischweren Hände von Bryan Singer gegeben hat, sieht man, dass das manchmal gar keine schlechte Sache ist. Denn so bleibt sein „X-Men: First Class“ der sehenswerteste und beste Film der Mutantensaga. Und mit seinem neuesten Film „Kingsman: The Secret Service“ attackiert Vaughn nun die Schnittstelle zwischen den Sachen, die ihn in dem 1960er Abenteuer der Mutanten interessierten und denen, die er in „Kick-Ass“ zur Schau stellte: Mixt man sein Interesse an Retro-James Bond-Look, Spionage und den einhergehenden Gadgets mit der Action und Hypergewalt von „Kick-Ass“ und mischt das alles mit einem Schuss Immoralität ab, dann kommt so etwas wie „Kingsman:The Secret Service“ heraus. Und das gleich vorweg: Die Mission Unterhaltung ist – mit Abstrichen – gelungen.
Harry Hart (Colin Firth) ist ein distinguierter englischer Gentleman wie er im Buche steht. Aber er ist auch mehr als das, nämlich ein Topagent der hochgeheimen privaten Spionageagentur Kingsman, die seit Jahrzehnten hinter den Kulissen den Verlauf der Weltgeschichte beeinflussen. Als Professor Arnold (Mark Hamill), ein Experte für Umweltfragen verschwindet, wird Kingsman aktiv – muss allerdings eben so bald einen ihrer Agenten ersetzen. Und so tritt der junge Gary Unwin, von allen nur „Eggsy“ gerufen (Taron Egerton) wieder in Harrys Leben. Garys Vater, ein Kingsman, kam einst bei einem Einsatz ums Leben und Sohn Eggsy ist nun zu einem cleveren Tunichtgut herangewachsen, in dem einzig Harry Potenzial zu sehen scheint. Und so beginnt Eggsy das streng geheime und ultraselektive Ausbildungsprogramm von Kingsman, während anderswo der Technobillionär und angebliche Wohltäter Vantine (Samuel L. Jackson) Finsteres plant...
Sollten die Marketingstrategen ein „Von den Machern von Kick-Ass“ aufs Plakat pfropfen wollen, so liegen sie ausnahmsweise mal richtig. Denn Matthew Vaughn und seine Co-Autorin Jane Goldman haben sich wieder einmal beim schottischen Comicautor Mark Millar bedient, der schon die Vorlage für jenen Film lieferte und auch sich hier wieder ziemlich ungestüm über Konventionen und Geschmacksgrenzen hinwegsetzt. Wem also die Gewaltexzesse und relative Immoralität von Filmen wie „Wanted“ und „Kick-Ass“ nicht so zusagen, der ist hier ganz klar im falschen Film. Zumal Vaughn Millar'sche Gewalt gewollt zynisch in Szene setzt, wenn zu der britischsten aller Musiken („God Save The Queen“ mal ausgenommen) „Pomp & Circumstance“ ein buntes Feuerwerk eines Massakers zelebriert oder aber wilde Gewalt zu den fröhlichen Klängen von „Give It Up“ von KC & The Sunshine Band abgefilmt wird. Der Bodycount hier ist ziemlich hoch und allen ziemlich egal, liegt damit also voll auf der Linie des Films, der durch Eggsys Augen die Agentenwelt als großen Spielplatz mit Spaßgarantie zelebriert. Bei einer schon berühmt-berüchtigten Szene ist das allerdings schon ein wenig grenzwertig: Das Massaker in einer Kirche in Kentucky gilt vielen schon jetzt als Actionszene des Jahres, wie herzlich und freudig hier aber zu Lynyrd Skynyrds „Free Bird“ (weil wegen Ironie und so) gemetzelt wird soll dann offenbar dadurch abgemildert werden, dass es sich bei den Opfern ausnahmslos um schwulenfeindliche Rassisten handelt und das damit dann schon irgendwie okay ist.
„Kingsman: The Secret Service“ ist reine Pop-Art ohne großen Tiefgang, aber dass dies während des Betrachtens des Films sehr gut funktioniert, ist die gute Nachricht. Die etwas schlechtere: Groß im Gedächtnis bleiben wird einem dieser Film nach dem Abspann nicht, dazu ist er viel zu sehr Spektakel ohne Substanz. Aber das wird ein Publikum, dass von all den epischen und bemüht düsteren Actionspektakeln der letzten Jahre ermattet ist – von B wie Bond in der Daniel-Craig-Version zu S wie Superman als Killer und Massaker-Ermöglicher in „Man Of Steel“ – wenig stören. Genau diese Art von düster und pompös im Rahmen einer Ernsthaftigkeit, die einem im Kern cartoonigen Film Klasse verleihen will, nimmt „Kingsman: Secret Service“ satirisch aufs Korn und pfeift auf derlei Anerkennungshaschendes Beiwerk.
„Kingsman: The Secret Service“ ist ein Film, der auf seine etwas stumpfe „Hauptsache, es macht Laune und ist cool“-Attitüde auch noch stolz ist. Dieser Film ist quasi der Eggsy der Agentenfilme: Großmäulig, gerne auch mal kleingeistig und im Ernstfall immer druff auf die Zwölf. Das macht Laune und das erinnert an die Filme die Vaughn (damals noch als Produzent) mit Guy Ritchie erschaffen hat: „bube, dame, könig, grAs“, „Snatch“ – aber statt mit Kleinganoven nun mit Topagenten. Dabei wandelt Vaughn immer auf dem schmalen Grat zwischen dem Wiederaufgreifen von Konventionen des Agentenfilmgenres – und dabei besonders der Bondfilme – und einer Parodie von diesen. Einen eher unschönen Hang der Filme um den Mann mit der Doppelnull hat „Kingsman: The Secret Service“ übernommen, den es nun nicht gebraucht hätte, nämlich den Hang zur Überlänge. Mit seinem Akzent auf Tempo, gute Laune und wilden set pieces gibt es eigentlich keinen guten Grund, dass dieser Film länger als zwei Stunden läuft, und gerade die Sequenzen rund um die Ausbildung von Eggsy und den anderen Kingsman-Rekruten ist denn doch etwas lang und vorhersehbar geraten, um über ihre gesamte Länge gut zu unterhalten. Auch die etwas in die Länge gezogenen Kämpfe im Showdown könnten den einen oder anderen ermüden, aber dies ist nunmal (leider) ein Markenzeichen des modernen Blockbusters.
Natürlich baut „Kingsman: The Secret Service“ bei seinen Darstellern nicht nur auf Hauptdarsteller Colin Firth, sondern vor allem auf dessen Leinwandimage. Seit seinem endgültigen Durchbruch als Mr. Darcy in der BBC-Miniserie „Stolz und Vorurteil“ hat Firth ja hauptsächlich Variationen dieser Figur gespielt: britische Gentlemen und Snobs, mit hehren Idealen und Ansichten, aber auch stocksteif und stoffelig. Auch sein stotternder König George VI. in „The King's Speech“ war ja letztlich eine Variante des Darcy'schen Firth. Und so macht Firth sich hier den Spaß, dieses Image zu persiflieren und konterkarieren: In feinsten Zwirn gekleidet und mit feinen Manieren, aber gleichzeitig ein tödlicher Nahkämpfer und gewiefter Taktiker und immer (oder fast) Herr der Lage. Firth spielt Hart als eine Mischung aus dem vom hier ebenfalls vertretenen Michael Caine gespielten Harry Palmer und James Bond, wobei seine Hornbrille natürlich ein geheimes Analyse- und Funkgerät ist. In Taron Egerton hat man für den jungen Delinquenten Eggsy ein frisches Gesicht aufgetan und Samuel L. Jackson lässt es sich nicht nehmen, als Bösewicht mal so richtig cartoonhaft loszublödeln. Böse Zungen würden ja behaupten, das mache er schon seit Jahren versehentlich in unabsichtlich selbstparodistischer Manier, aber hier als lispelndes, zartbesaitetes Computergenie mit Welteroberungsplänen und typisch tödlicher Handlangerin (die Tänzerin und Schauspielerin Sofia Boutella als Gazelle, die ihre Beinprothesen zum präzisen Morden nutzt) versprüht Jackson enorme Spielfreude, was bei ihm ja auch selten geworden ist. Und gottseidank dreht er nicht so nervig ab wie etwa im missratenen „The Spirit“.
„Kingsman: The Secret Service“ ist quietschbuntes wie gewalttätiges Actionkino, das Genrefans zufriedenstellen sollte und allemal ein Vergnügen ist, sofern man sich mit den schon aus „Kick-Ass“ bekannten Mätzchen angefreundet hat. Vielleicht sollte man als Gradmesser das sogenannte Vaughno-Meter mit Clubber-Lang-Skalierung nehmen: Möchten Sie einen Film sehen von einem Regisseur, der ganz unironisch „Rocky III“ als einen der fünf besten Filme aller Zeiten sieht? Ja? Na dann, ab zu „Kingsman: The Secret Service“.
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