Manchmal bringt auch die beste Planung nichts. Eigentlich hätten “Ant-Man and the Wasp: Quantumania“ und “The Marvels“ 2023 den fulminanten Auftakt für die fünfte Phase des seit “Avengers: Endgame“ kriselnden Marvel Cinematic Universe (MCU) bilden sollen. Deren enttäuschenden Einspielergebnisse sorgten aber im letzten Jahr für Panik bei Disney. Seit dem Kauf der Marvel Studios im Jahr 2009 war der Mäusekonzern mit seinen Comic-Verfilmungen ja auf einer beispiellosen finanziellen Erfolgswelle geritten. Mit der Aussicht auf weitere attraktive Comic-Marken, wie “X-Men“, “Deadpool“ und “Fantastic Four“, hatte man sich dann 2019 auch noch für viel Geld (über 70 Milliarden Dollar) das Filmstudio 20th Century Fox einverleibt. Es musste also dringend wieder ein Erfolg her und genau das ist mit “Deadpool & Wolverine“ nun mit rekordverdächtigen Zahlen an den US-Kinokassen gelungen. Aber trotz eines wirklich verdammt unterhaltsamen (und blutigen) Filmes überwiegt am Ende die Skepsis, ob sich das MCU denn nun wirklich auf dem Weg der Besserung befindet.
Dass Marvels Superheldenuniversum an einem Tiefpunkt angelangt ist wird in “Deadpool & Wolverine“ von unserem Protagonisten natürlich gleich mehrmals genussvoll angesprochen. Denn wie schon in den beiden Vorgängerfilmen (“Deadpool“, “Deadpool 2“) liebt Wade Wilson alias Deadpool (Ryan Reynolds, “Free Guy“, “Red Notice“), neben blutigem Gemetzel und derben Sprüchen, vor allem Spaziergänge auf der Meta-Ebene bei denen er sich an das Publikum wenden und über die Mechanismen des Genres und Hollywoods lästern kann. Nur um diese Mechanismen dann natürlich wenig später selbst zu bedienen. Allen voran durch einen Fanservice, der hier in Form des von vielen lang herbeigesehnten Aufeinandertreffens mit Wolverine (Hugh Jackman, “X-Men 2“, “The Fountain“) sowie zahlreichen Superhelden-Cameos einen neuen Höhepunkt findet.
Wie das funktionieren soll, wenn Jackman doch eigentlich seine Figur im großartigen “Logan: The Wolverine“ im wahrsten Sinne des Wortes für immer begraben hatte? Nun, Multiverse sei Dank. Genau dort geht Deadpool nämlich auf die Suche nach einer alternativen Version des krallenschwingenden Superhelden, nach dem ihm von einem sehr suspekt erscheinenden Angestellten (Matthew Macfadyen, “Stolz und Vorurteil“, “Als das Meer verschwand“) der Time Variance Authority erklärt wurde, dass die Abwesenheit Wolverines die Existenz seines Universums gefährdet. Doch der “neue“ Wolverine an Deadpools Seite entpuppt sich nicht gerade als pflegeleicht – schon gar nicht, als sich beide wenig später an einem sehr unwirtlichen Ort mit der scheinbar übermächtigen Cassandra (Emma Corrin) messen müssen.
Ja, die Story (soweit diese überhaupt diesen Namen verdient hat) ist natürlich kompletter Quatsch. Sie existiert nur aus dem Grund, um unsere beiden Superhelden zusammenzubringen und ein Szenario zu entwerfen, in dem möglichst viele Charaktere aus einstigen Produktionen von 20th Century Fox einen kleinen (oder größeren) Gastauftritt hinlegen können. Während gleichzeitig natürlich Deadpool weiterhin möglichst derbe Sprüche und brutale Kills vom Stapel lassen darf. Das kann man natürlich nun als Einfallslos verteufeln und im Geiste von Martin Scorsese das ganze Werk als eine Art Anti-Film ohne jegliche Substanz und Kohärenz geißeln. Oder man kann einfach Spaß haben.
Genau das ist mit “Deadpool & Wolverine“ nämlich sehr gut möglich – vorausgesetzt natürlich, man hat schon in den ersten beiden Filmen kein Problem mit dem teils übertriebenen Gemetzel und der sehr speziellen Art von Humor gehabt. Auch wer den Marvel-Kanon und seine Figuren ernst nimmt dürfte vermutlich hier und da so seine Probleme damit haben, wie mit manchen Helden umgesprungen wird. Wer das aber entspannt sieht darf sich aber auf einen richtig launigen Kinoabend einstellen. Der beginnt mit einer cleveren Antwort auf die Sorge der Fans, dass Wolverines würdiges Ende in “Logan“ hier auf schamvolle Art und Weise besudelt wird. In dem “Deadpool“ nämlich genau diese Sorge süffisant aufgreift, natürlich jeglichen Respekt vermissen lässt und doch gerade dadurch eine nicht nur befriedigende sondern auch richtig unterhaltsame Lösung für das Dilemma findet.
Die folgenden zwei Stunden sind dann mehr oder weniger eine Mischung aus dem üblichen aber zum Großteil eben einfach richtig witzigen Sprüchefeuerwerk Deadpools, einem Haufen sehr blutiger und teils durchaus kreativ inszenierter Action-Sequenzen (Stichwort Bus) und jeder Menge Cameos. Und auch über diese Gastauftritte könnte man jetzt natürlich meckern, da man mit diesen sich hier schon sehr einfach den Nostalgie-Applaus des Publikums sichert. Aber es funktioniert halt, weil die Auswahl und teilweise auch die Länge der Cameos durchaus positiv überrascht. Wirklicher Leerlauf stellt sich hier aber alleine schon deswegen nicht ein, da gefühlt alle 30 Sekunden ein extrem gut aufgelegter Ryan Reynolds mit einem gelungenen Metaebenen-Gag für ein breites Grinsen sorgt.
Nur einer grinst hier selten und das ist der gute alte Wolverine. Den füllt Hugh Jackman mal wieder mit tiefem Selbsthass und Lebensunlust, was am Anfang angesichts der Albernheit des restlichen Geschehens irgendwie unpassend wirkt. Auch die zahlreichen (sehr blutigen) Streitigkeiten mit Deadpool wirken teilweise etwas repetitiv, da angesichts der Unverwundbarkeit beider Protagonisten aus dem Hauen und Stechen ja keine wirklichen Konsequenzen drohen. Am Ende zahlt sich das ständige Grummeln von Wolverine aber aus, da einen sein Schicksal letztendlich tatsächlich ein wenig berührt. Was bei dieser Art von Film nun wirklich überrascht und Zeugnis von Jackmans Schauspielkünsten ist.
All das sorgt für ein richtig spaßiges Abenteuer, bei dem trotz aller Andersartigkeit von Deadpool dann am Ende aber natürlich doch wieder klassische Werte wie Familie, Liebe und Freundschaft gehuldigt werden. So richtig möchte man, trotz fliegender Köpfe und derber Sprüche, eben dann doch nicht das Mainstream-Publikum vergraulen – womit die Figur des Deadpools am Ende eine Art Schaf im Wolfspelz ist. Die Rettung für das MCU ist aber auch er nicht. Denn dazu bräuchte es im Hinblick auf eine goldene Zukunft echte Substanz und neue Ideen anstatt purer Nostalgie. Letzteres ist, wie dann auch der Abspann des Filmes noch einmal deutlich macht, aber das mit Abstand größte Kapital von “Deadpool & Wolverine“. Und das ist halt leider endlich. Das scheint Disney aber aktuell nicht wirklich begriffen zu haben, anders ist die Entscheidung Robert Downey Jr. als Dr. Doom ins MCU zurückzuholen nicht zu begreifen. Und so ist “Deadpool & Wolverine“ am Ende zwar ein richtig witziger Film geworden, der in seiner Rückwärtsgewandtheit aber gleichzeitig auch kaum Hoffnung auf eine kreative Wiederbelebung des MCU macht.
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