Das Leben des Emile Zola

MOH (84): 10. Oscars 1938 - "Das Leben des Emile Zola"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 3. Dezember 2024

Ziemlich gut gelaunt hatten uns in der letzten Folge "100 Mann und ein Mädchen" zurückgelassen. Deutlich gedrückter ist die Stimmung am Ende von "Das Leben des Emile Zola", dem Oscar-Gewinner der 10. Academy Awards des Jahrs 1938. Das liegt aber weniger an dem Film selbst als vor allem an den historischen Ereignissen, die diesem folgen sollten.

Das Leben des Emile Zola

Originaltitel
The Life of Emile Zola
Land
Jahr
1937
Laufzeit
116 min
Release Date
Oscar
Gewinner "Outstanding Production"
Bewertung
7
7/10

Nicht Waffen, sondern Ideen sollen doch bitte die Welt erobern. Dieser von der Hauptfigur am Ende von "Das Leben des Emile Zola" ausgesprochenen Hoffnung kann man nur zustimmen. Wenn Emile Zola dann im Film auch noch von einem kriegsfreien Europa philosophiert, in dem alle Kinder friedlich schlafen können, legt sich angesichts des Produktionsjahres des Filmes (1937) eine gewisse Tragik über solche Botschaften. Nur zwei Jahre später wurde diese Sehnsucht nach Frieden ja auf grausame Weise zunichtegemacht – und wirklich rosig sieht es in dieser Hinsicht ja heute auch nicht unbedingt aus.

So sehr man der Botschaft des Filmes auch noch heute zustimmen kann, großen Eindruck hat "Das Leben des Emile Zola" trotz seines Oscar-Sieges in der Filmgeschichte nicht hinterlassen. Zwar haben wir hier schon deutlich schwächere Oscar-Gewinner gesehen, wirklich fesseln kann der Film aber kaum. Wie so oft bei Biopics versucht man auch hier zu viele Ereignisse in zu wenig Zeit zu packen. Glücklicherweise fällt das oberflächlich präsentierte Geschehen dank zwei gut aufgelegter Schauspieler und einer zumindest grundsätzlich interessanten Story aber immer noch ganz kurzweilig aus.
 


Mit den berühmten Worten "J’accuse!" (Ich klage an!) beschuldigte der Schriftsteller Émile Zola einst 1898 die Militärführung und Politiker Frankreichs eines unerhörten Justiz-Skandals. Genau auf diesen berühmten historischen Moment, der in einem aufreibenden Gerichtsprozess mündete, arbeitet "Das Leben des Emile Zola" hin. Wir treffen Zola (Paul Muni, "Jagd auf James A.", "Die gute Erde") zu Beginn als jungen, energiegeladenen Schriftsteller, der sich schon bald mit gesellschaftskritischen Romanen einen Namen macht. Nach der Hochzeit mit seiner Frau Alexandrine (Gloria Holden) verliert sein innerer Rebell allerdings durch das nun luxuriöse Leben deutlich an Elan – sehr zum Missfallen seines Freundes Paul Cézanne (Vladimir Sokoloff). Als eines Tages Lucie (Gale Sondergaard, "Ein rastloses Leben"), die Ehefrau des Armeehauptmannes Alfred Dreyfus (Joseph Schildkraut, "Cleopatra"), flehend vor Zolas Tür steht, werden dessen Lebensgeister neu geweckt. Zunächst skeptisch, überzeugen immer mehr Indizien Zola, dass Alfred Dreyfus zu Unrecht des Landesverrats bezichtigt wurde. Ohne Rücksicht auf sein eigenes Image beginnt Zola einen scheinbar aussichtslosen Kampf, der die französische Gesellschaft vor eine Zerreißprobe stellen wird.

Ende der 1930er und Anfang der 1940er Jahre war der deutsche Regisseur William Dieterle dank Filmen über Louis Pasteur ("Louis Pasteur", 1936), Florence Nightingale ("The White Angel", 1936), Benito Juárez ("Juarez", 1939), Paul Ehrlich ("Paul Ehrlich – Ein Leben für die Forschung", 1940) oder Präsident Andrew Johnson ("Tennessee Johnson", 1942) der Mann für Hollywood-Biopics. Hier reiht sich auch "Das Leben des Emile Zola" ein, für das Dieterle wieder auf Schauspieler Paul Muni zurückgreifen konnte, der für seine Leistung in "Louis Pasteur" mit dem Oscar ausgezeichnet worden war. Da hören die Parallelen der beiden Biopics aber nicht auf, denn "Das Leben des Emile Zola" legt ähnliche Stärken und Schwächen wie "Louis Pasteur" an den Tag.
 


Oft ist bei solchen filmischen Biografien ja das Problem, dass man einfach zu viel will. Ein sehr ereignisreiches Leben adäquat in zwei Stunden zu packen ist, wenn man keinen klaren Fokus setzt, eine fast unmögliche Aufgabe. Im Fall von "Das Leben des Emile Zola" kommt hinzu, dass man lange Zeit sogar gleich zwei Handlungsstränge parallel laufen lässt. So begleiten wir in der ersten Stunde Zola bei dessen zunächst rebellischem Durchbruch und schließlich eher gemütlichem Leben als Schriftsteller. Parallel dazu entfaltet sich langsam die Affäre Dreyfus. Diese beiden Stränge werden erst relativ spät zusammengeführt, was dem Film rein dramaturgisch nicht wirklich in die Karten spielt.

Für sich genommen sind beide Stränge nämlich einfach nicht mitreißend genug umgesetzt. So hetzt man gefühlt durch Zolas Leben ohne dabei wirklich tief in dessen Figur einzutauchen – auch wenn er sich, dank dem Charisma von Muni, als ganz unterhaltsamer Zeitgenosse entpuppt. Die Dreyfus-Affäre spielt sich wiederum vor allem in militärischen Hinterzimmern ab, wird aber aufgrund des Zeitmangels sehr vereinfacht und nur mäßig spannend umgesetzt. Wirklich interessante Einblicke in den damaligen Politikbetrieb oder die Militärführung sind hier eher Mangelware – man will es dem Publikum ja auch nicht zu schwierig machen. Dieterles Regie kommt dabei wieder einmal eher konservativ und statisch daher. Das passt über weite Strecken zwar irgendwie zu dem Stoff, doch hier und da hätte man im Sinne des Publikums auch mal in Sachen Inszenierung zumindest kurz das Tempo etwas anziehen können.
 


Etwas mehr Kreativität und ein deutlicher Fokus werden also vermisst, wofür dann auch Unstimmigkeiten hinter den Kulissen verantwortlich sein dürften. So stritten sich die beiden Produzenten Henry Blanke und Hal B. Wallis bei der Produktion ständig über den Charakter des Filmes. Wallis schwebte ein der Formel von "Louis Pasteur" folgender Film vor, der sich vor allem auf den Charme von Paul Muni verlassen sollte. Blanke dagegen bevorzugte eine eigenständigere Vision – gerade angesichts des deutlich politischeren Kontext des Films. Das merkt man gerade der Figur des Zola auch wirklich an. Die entpuppt sich nämlich als eine nicht ganz realistisch wirkende Mischung aus nettem Onkel und rebellischem Intellektuellen. Und ist am Ende doch einer der Gründe dafür, warum der Film trotz der unrunden Story immer noch ganz ordentlich funktioniert.

Womit wir den Namen Paul Muni in den Ring werfen müssen. Dessen Ruf als Schauspieler ist heute etwas verblasst, obwohl er einst für Warner Brothers Kandidat Nummer eins für Prestige-Produktionen war. Dass er, im Gegensatz zu einem Humphrey Bogart, heute etwas in Vergessenheit geraten ist liegt dabei nicht alleine an der Tatsache, dass er nie in einem der heute als Klassiker angesehenen Filme gespielt hat. Auch sein Schauspielstil dürfte hier eine Rolle spielen, denn Muni liebte es unter oft heftigem Make-Up-Einsatz hinter seinen Figuren zu verschwinden. Auch wenn er hier in einigen dramatischen Szenen auch mal eine Spur zu dick aufträgt, es macht immer Freude ihm zuzuschauen. Die meiste Zeit ist seine Spielweise aber eher von einem sympathischen und sehr charismatischen Hang zum Understatement geprägt. Wie so oft strahlt er dabei eine Wärme aus, die einem seine Figur sehr schnell ans Herz wachsen lässt. Gerade in den ruhigeren Momenten, zum Beispiel den freundschaftlichen Diskussionen von Zola mit Cézanne, glänzt Muni mit viel Einfühlungsvermögen und gutem Timing.
 


So ist die Leistung von Muni ein ziemlich starker Anker für das Publikum – aber nicht der einzige im Film. Auch die Hauptfigur des zweiten Stranges weckt schnell Sympathien, denn Joseph Schildkraut gelingt es mit seiner nachdenklichen und schon fast etwas schüchternen Art als Dreyfus unglaublich empathisch zu wirken. Was es am Ende schon etwas frustrierend macht, dass diese beiden Männer (im Gegensatz zu ihren historischen Figuren) sich im Film nie persönlich treffen. Eine verpasste Chance, aber wenigstens überschneiden sich in der zweiten Hälfte dann endlich unsere beiden Storystränge. Jetzt nimmt der Film deutlich an Fahrt auf, gerade wenn die Verknüpfung der beiden Stränge in einem (endlich einmal spannenden) Gerichtsprozess mündet. Dort bekommen wir für eine Viertelstunde dann auch endlich richtig großes Kino präsentiert – was den "nur" ordentlichen Weg bis dorthin etwas wettmacht. Und so fühlt sich "Das Leben des Emile Zola", aufgrund der guten Hauptdarsteller und der eindrücklichen Botschaft am Schluss, am Ende deutlich stärker an als die Summe seiner Einzelteile.

Die Academy sah das noch unkritischer und beglückte den Film zum ersten Mal in der Geschichte der Oscars mit einer gleich zweistelligen Anzahl (10) an Nominierungen. Neben der Auszeichnung für den besten Film erhielt "Das Leben des Emile Zola"  auch noch den Oscar für das beste Originaldrehbuch, sowie den besten Nebendarsteller in Person von Joseph Schildkraut – die verdienteste der drei Auszeichnungen. Gar nicht begeistert war allerdings die französische Regierung, dort wurde das Werk als zu kritisch für das Selbstverständnis der Grande Nation und dessen Militärapparat (gerade angesichts der Spannungen mit Deutschland) eingestuft und kurzerhand verboten.

Deutschland ist dann auch ein gutes Stichwort, denn diesbezüglich haftet noch heute ein fader Beigeschmack an dem Film. Dass Dreyfus Jude war und Antisemitismus mit ein Grund für die falschen Anschuldigungen gegen ihn waren wird hier nämlich mit keinem Wort erwähnt. Grund dafür ist eine Mischung aus der Macht der amerikanischen Zensurbehörde, die explizite politische Themen besonders kritisch begutachtete, und der Sorge der damaligen Produzenten, den deutschen Markt zu verlieren. Stattdessen bleibt es "nur" bei allgemeinen warnenden Worten vor einem großen Krieg – wie wir heute wissen vergeblich. Und so hätte man sich, trotz eines ganz ordentlichen Films, sich hier von den Machern die gleiche Courage wie deren Hauptfigur gewünscht. J'Accuse!

"Das Leben des Emile Zola" ist aktuell als Blu-ray und DVD auf Amazon in Deutschland verfügbar. Man findet ihn ebenfalls digital auf Amazon Prime Video - allerdings nur mit deutscher Tonspur.

 

Trailer zum Film

Impressionen von Paul Munis eindrucksvoller Karriere


Überblick 9. Academy Awards
Alle nominierten Filme der Kategorie “Outstanding Picture“ der achten Academy Awards 1937 nochmal auf einen Blick:


Ausblick
In unserer nächsten Folge starten wir in die 11. Academy Awards des Jahres 1939 mit einer Filmbiografie "light" - aber diesmal ohne Herrn Dieterle auf dem Regiestuhl.

Bilder: Copyright

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