Die gute Erde

MOH (81): 10. Oscars 1938 - "Die gute Erde"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 12. November 2024

In unserer letzten Folge hatte ein Großbrand Chicago verwüstet, nun droht auch in “Die gute Erde“ eine Naturkatastrophe das Leben unsere Protagonisten auf den Kopf zu stellen. Diesmal entpuppt sich das nach ein paar Anlaufschwierigkeiten aber als deutlich packendere Angelegenheit – wenngleich in einem Aspekt auch als ziemlich kontrovers.

Die gute Erde

Originaltitel
The Good Earth
Land
Jahr
1937
Laufzeit
138 min
Genre
Release Date
Oscar
Nominiert "Outstanding Production"
Bewertung
7
7/10

Epische Naturgewalten auf der Leinwand – das hat schon vor “Twister“ und Konsorten die Menschen im Kino fasziniert. Von so etwas wie einer kleinen Katastrophen-Welle kann man auch Ende der 1930er Jahre in Hollywood sprechen, als Filme wie “San Francisco“, “Chicago“ oder “...dann kam der Orkan“ im Schlussdrittel jeweils in spektakulär inszenierten Naturkatastrophen mündeten. Im Fall von “Die gute Erde“ warten im fernen China nun gleich zwei biblische Plagen auf das Publikum und so kommt man erst in den Genuss eines zerstörerischen Hagels und dann eines gigantischen Heuschreckenschwarms. Wie auch bei den anderen Filmen ist der Weg dorthin aber zumindest in der ersten Hälfte etwas zäh und dank dem Whitewashing vieler asiatischer Charaktere durchaus diskutabel, bevor der Film aber dank einer starken Inszenierung und dem Herz am richtigen Fleck doch noch die Kurve kriegt.

Mit dem Herz am richtigen Ort ist auch der chinesische Bauer Wang Lung (Paul Muni, “Louis Pasteur“, “Jagd auf James A.“) ausgestattet, der trotz seiner Armut sich nicht beklagt und fleissig auf den Traum von einem eigenen Stück Land hinarbeitet. Gemeinsam mit seiner Frau O-Lan (Luise Rainer, “Der große Ziegfeld“) kann er sich diesen auch erfüllen und hat bald auch noch drei Kinder zu versorgen. Das Familienglück hängt aber komplett an der jeweiligen Ernte des Jahres, die schon bald zum Spielball diverser Naturkatastrophen wird. Dazu steht das Land politisch kurz vor einer Revolution und auch die Familie von Wang Lung vor turbulenten Zeiten, denn Pech und Glück reichen sich in ihrem Leben schon bald regelmäßig die Hände.
 


Ein klein wenig hinkt der Vergleich von “Die gute Erde“ mit den vorher genannten Filmen natürlich. Rein thematisch ist das hier, mal abgesehen von der großen Katastrophensequenz am Ende, eine ganz andere Nummer. Auch war man im Gegensatz zu den anderen Filmen nicht vom Erfolg von “San Francisco“ an den Kinokassen inspiriert, denn schon Jahre zuvor hatte das Studio Metro-Goldwyn-Mayer die mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Buchvorlage ins Auge gefasst. Genauer gesagt deren Star-Produktionsleiter Irving Thalberg, der während der Dreharbeiten viel zu jung verstarb und dem der Film mit Hilfe einer eigenen Texttafel zu Beginn gewidmet ist.

Wie so oft hatte Thalberg für die Umsetzung des Filmes andere Vorstellungen als sein nicht minder legendärer Vorgesetzte, der MGM-Chef Louis B. Mayer. Während Thalberg den künstlerischen Anspruch hoch hielt ging es Mayer vor allem um den finanziellen Erfolg seiner Filme – und das hatte direkte Auswirkungen auf die Besetzungsliste von “Die gute Erde“. Thalberg schwebte zu Beginn eine asiatische Cast vor, Mayer setzte sich mit dem Wunsch nach einer  “erfolgsversprechenderen“ weißen Besetzung durch. Mit Paul Muni in der Hauptrolle zerschlug sich so auch die Hoffnung der damals in Hollywood durchaus erfolgreichen chinesischstämmigen Darstellerin Anna May Wong (“Shanghai-Express“) auf die prestigeträchtige weibliche Hauptrolle, da der damals als Zensur fungierende Production Code die Darstellung von Ehepartnern durch gemischte Ethnien auf der Leinwand untersagte. Was wiederum die Tür für die im Vorjahr mit dem Oscar ausgezeichnete Luise Rainer öffnete – und in der Konsequenz natürlich jede Menge Arbeit für die Maskenbildner bedeutete.
 


Womit wir dann auch zum großen Elefanten im Raum kommen, denn dieser klassische Fall von altem Hollywood-Whitewashing ist natürlich gerade aus heutiger Sicht schwer tolerierbar. Gerade das Spiel von Muni ist unter dem Make-up sehr irritierend, da es einfach seltsam und teils auch lächerlich wirkt. Vom Lächeln über den Dialekt bis hin zum Gang, die Figur wirkt von Anfang an ziemlich fake. Wir sind hier zwar weit weg von einem Mickey-Rooney-Desaster (dessen Rolle als japanischer Nachbar in “Frühstück bei Tiffany“ noch heute als schlimmstes Whitewashing einer asiatischen Figur gilt) aber mit gutem Gefühl lässt sich Munis Darstellung gerade in der ersten Hälfte kaum genießen. Luise Rainer kommt aufgrund eines deutlich dezenteren Make-up hier etwas besser weg, hat aber auch den Vorteil, dass ihre Figur meist ohne große Worte agiert. Andere von westlichen Schauspielern gespielte Figuren, wie zum Beispiel Wangs Onkel (Walter Connolly, “Lustige Sünder“, “Es geschah in einer Nacht“) wirken oft schon alleine durch ihren westlichen Akzent etwas verstörend.

Wirklich erfolgreich gegensteuern kann die Story in der ersten Dreiviertelstunden hier leider nicht. Die Handlung bietet nur wenig Höhepunkte, die Beziehung zwischen Wang und der schüchternen O-Lan wirkt unterkühlt und das ganze Dorfleben auf eher banale Weise romantisiert dargestellt. Die im Vergleich zum Buch nochmal etwas positivere Darstellung der chinesischen Bevölkerung im Film ist durchaus Kalkül. Es tobte nämlich gerade der zweite Japanisch-Chinesische Krieg, bei dem sich die USA auf die Seite der Chinesen geschlagen hatte. Die Skepsis der chinesischen Regierung gegenüber der Buchverfilmung wollte man möglichst entschlossen entgegentreten und achtete darum auf ein möglichst unkontroverse Darstellung.
 


Alles in allem wirkt die erste Hälfte des Filmes aber schon etwas zäh, auch weil vereinzelte Versuche mit etwas Humor die Sache aufzulockern nicht wirklich fruchten und alles ingesamt etwas zu bemüht daherkommt. So lebt der Film in diesem Abschnitt vor allem von seinen wirklich exzellenten Landschaftsaufnahmen und dem gelungenen Setdesign. Und das trotz einer durchaus chaotischen Produktionsgeschichte. Die Idee in China zu drehen hatte man aus finanziellen Gründen schnell aufgegeben, im Vorfeld aber den als Regisseur eingeplanten George W. Hill (“Hölle hinter Gittern“) für Aufnahmen in das Land geschickt. Nach dessen überraschendem Selbstmord übernahm Victor Flemming (“Manuel“) das Ruder, der wiederum aufgrund einer Erkrankung durch Sidney Franklin ersetzt werden musste. Produktionschaos hin oder her, die vor den Toren von Los Angeles angelegte künstliche asiatische Hügellandschaft sieht großartig aus und zusammen mit dem deutschen Kameramann Karl Freund gelingen Franklin hier wirklich einige wundervolle Außenaufnahmen.

Glücklicherweise beginnt sich ab der Mitte des Filmes dann in Sachen Story aber das Blatt zu wenden. Eine dringend benötigte Portion Drama wird injiziert, wovon die stärksten Momente fast alle mit O-Lan verbunden ist. Im Gegensatz zu ihrem Mann hat sie den Mut Verantwortung zu übernehmen, was vom Schlachten einer allen ans Herz gewachsenen Kuh bis zu einer noch viel brutaleren Entscheidung reicht. Diese Momente sind auch noch cleverer inszeniert, da man das Grauen hier der Phantasie des Publikums überlässt und so eine noch intensivere Wirkung erzielt. So mausert sich O-Lan zu einer ziemlich interessanten da starken Frauenfigur und auch wenn Luise Rainer eine gute aber jetzt nicht unbedingt beeindruckende Leistung abliefert, ist ihre Oscar-Auszeichnung als beste Hauptdarstellerin des Jahres durchaus nachvollziehbar – und das direkt nach ihrem Gewinn der Statue für ihre Nebenrolle in “Der große Ziegfeld“ im Jahr zuvor.
 


Gefühlt hat man es in der zweiten Hälfte nun fast mit einem anderen Film zu tun, da nicht nur die Story sondern auch die Inszenierung deutlich an Fahrt gewinnt. Ob große Massenpanik oder kleine Charaktermomente, Regisseur Franklin gelingen ein paar wirklich starke Sequenzen. Zwar ahnt man wo die inhaltliche Reise hingeht und das Wang Lung seinen vorübergehenden sozialen Aufstieg nicht lange genießen wird, unterhaltsam ist es trotzdem. Auch weil man sich nach einer Zeit ein klein wenig an Paul Munis Make-up gewöhnt hat und er mit zunehmender Spieldauer sein Overacting doch deutlich zurückfährt. Und dann ist da natürlich das furiose Finale, das mit dem Kampf gegen die große Heuschreckenplage ein eindrucksvolles Bildgewitter abliefert. Gerade für die damalige Zeit ist die Umsetzung schlicht beeindruckend und fesselt noch heute.

Davon war auch die Academy damals angetan und belohnte Kameramann Karl Freund mit dem Oscar für die beste Kamera. Freund hatte einst an Murnaus Klassiker “Metropolis“ als Kameramann mitgewirkt, war dann Ende der 1920er in die USA ausgewandert, um dort als Kameramann und Regisseur besonders mit seiner Arbeit an Universals legendären Horrorfilmen Geschichte zu schreiben (er war Kameramann bei “Dracula“ und Regisseur von “Die Mumie“). Später sollte Freund auch noch TV-Geschichte schreiben, als er in den 1950ern für die Sitcom “I love Lucy“ das noch heute genutzte Multicam-System einführte. Dank seiner Bilder, deutlich mehr Dramatik und einem etwas akzeptabler werdenden Schauspiel zieht “Die gute Erde“ einen am Ende dann tatsächlich doch noch in den Bann – und findet auch ein wunderschönes Schlussbild für den Nachhauseweg. So bleibt am Ende dann doch noch ein guter Film, dessen Schwächen mit ein wenig Verständnis für den historischen Kontext zumindest teilweise durch die filmische Wucht der zweiten Hälfte aufgewogen werden können.

"Die gute Erde" ist aktuell als Import-DVD auf Amazon in Deutschland verfügbar.

 


Trailer zu "Die gute Erde"

 


Szene: Der Heuschreckenschwarm fällt ein

 


Interview mit der 100-jährigen Luise Rainer über ihre Karriere und "Die gute Erde"


Ausblick
In unserer nächsten Folge kommt es zum langerwarteten ersten Treffen mit einer ganz großen Hollywood-Ikone – von dem wir allerdings leider ein wenig enttäuscht werden.


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