Les Misérables

Originaltitel
Les Misérables
Jahr
2012
Laufzeit
158 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
9
9/10
von Frank-Michael Helmke / 13. Februar 2013

„Les Misérables“ ist ein ziemlich ungewöhnlicher Vertreter des Musik-Theaters. Während Musicals sich im Allgemeinen gerne ein wenig dem Glamour hingeben und inhaltlich oft in Richtung des Fantastischen tendieren (tanzende Tiere, singende Güterzüge), zeichnet sich dieses Stück nach dem berühmten Roman von Victor Hugo durch das genaue Gegenteil aus: Les MisérablesMit beinhartem Realismus und ganz und gar unglamourös watet es knietief in Tragik und Unglück des Lebens einfacher Bürger im nachrevolutionären Frankreich.

Trotzdem (oder vielleicht gerade deswegen) avancierte das ursprünglich französische Stück in seiner englischsprachigen Fassung zu einem der erfolgreichsten Musicals überhaupt: Seit seiner Premiere 1985 läuft es ohne Unterbrechung im Londoner Westend und wurde auch über 15 Jahre lang am Broadway in New York gespielt (dass Deutschland in Sachen Musical-Theater einen gewissen Provinzstatus nicht ablegen kann, lässt sich auch daran abmessen, dass sich „Les Miserables“ hierzulande bei zwei Anläufen nie längerfristig etablieren konnte).

Trotz dieser beachtlichen Erfolge hat es sehr lange gedauert, bis es „Les Miserables“ als Musical zum ersten Mal auf die Leinwand schaffte (der Roman wurde rund um die Welt schon Dutzende Male filmisch adaptiert). Einer der Gründe dafür war die Unabwägbarkeit, ob sich solch eine große Produktion rechnen würde: Angesichts der epochalen Breite der Handlung des Stücks darf man hier produktionell nicht kleckern, sondern muss klotzen. Nachdem in Folge des Oscar-Triumphs von „Chicago“ bereits etwas voreilig ein Revival des Kino-Musicals ausgerufen wurde, trübte der Flop von „Nine“ diese Aussichten aber wieder ein.

Les Misérables

Die Produzenten von „Les Misérables“ gingen von daher ein nicht unerhebliches Risiko ein, doch der Mut zum Wagnis mit Regisseur Tom Hooper – der aus seinem Kinodebüt „The King’s Speech“ einen unerwarteten Triumphzug bis hin zum Oscar-Gewinn gemacht hatte – machte sich bezahlt: In den USA spielte der Film bereits über 140 Millionen Dollar ein und verbuchte acht Oscar-Nominierungen. Und das alles zurecht. Denn viel besser als hier kann man ein Musical eigentlich nicht auf die Leinwand bringen.

Inhaltlich konzentriert „Les Misérables“ die Handlung des 1000-seitigen Romans auf Musical-Länge und legt entsprechend ein strammes Erzähltempo vor. Hauptfigur ist Jean Valjean (Hugh Jackman), der nach fast 20 Jahren im Straflager (für den Diebstahl eines Laibes Brot und diverse Fluchtversuche) endlich zurück in Freiheit kommt und seine Identität ablegt, um den Repressionen der Gesellschaft gegen ehemalige Häftlinge zu entkommen. Im Lauf der nächsten 20 Jahre bringt er es auf ehrlichem Wege zu einigem Reichtum, nimmt sich als Ziehvater der kleinen Cosette an, nachdem deren verarmte Mutter Fantine (Anne Hathaway) gestorben ist, doch muss – selbst noch als Cosette zu einer entzückenden jungen Frau (Amanda Seyfried) heran gewachsen ist – die ständige Entdeckung durch den Polizeiinspektor und ehemaligen Gefangenenwärter Javert (Russell Crowe) fürchten, dessen Lebensweg den von Valjean immer wieder kreuzt.

Les Misérables

Die verschiedenen Handlungsstränge von „Les Misérables“ – natürlich gibt es hier für die ganz großen Gefühle auch noch ein herzzerreißendes Liebesdreieck – kulminieren schließlich während des Juni-Aufstands 1832, und spätestens wenn hier die republikanischen Patrioten ihre Fahnen schwenken und zu den Waffen greifen, schwingt sich „Les Misérables“ zu einem gebührenden epochalen Pathos auf, bei dem sich die gekünstelte Melodramatik der meisten Musicals verschämt in die Ecke verkrümelt. Dies hier ist ein Stoff für ganz große Bilder, und das weiß Regisseur Hooper bereits in den allerersten Sekunden mit einer atemberaubenden Eröffnungsaufnahme umzusetzen: Da treibt eine große französische Flagge auf dem Meer, die Kamera taucht unter ihr, um dann die Wasseroberfläche zu durchstoßen und schwerelos schwebend den Blick frei zu geben auf ein riesiges Kriegsschiff, das von aberhunderten Strafarbeitern gerade ins Trockendock gezogen wird.

Nach dieser kolossalen Eröffnung legt „Les Misérables“ musikalisch los und lässt seinem Publikum angesichts der pickepackevollen Handlung in den nächsten zweieinhalb Stunden kaum einen Moment zum Durchatmen. Dass man hier auch und vor allem bei den Gesangsnummern emotional höchst involviert bleibt, ist einem entscheidenden Inszenierungs-Kniff von Tom Hooper zu verdanken:Les Misérables Normalerweise werden bei Film-Musicals die Gesangsparts vor den Dreharbeiten im Studio eingesungen und beim Dreh dann lediglich zum Playback agiert. Hooper jedoch ließ seine Akteure bei jedem Take ihre Nummern „live“ singen, und der entstandene Effekt ist phänomenal: Die Lieder sind weniger „sauber“ gesungen und machen die direkten, rohen Emotionen in ihrem Vortrag viel deutlicher spürbar – man hat nicht mehr den Eindruck, einer „Performance“ zu lauschen, sondern einen Menschen zu erleben, der eben ganz direkt seine Gefühle durch seinen Gesang ausdrückt. Eben das, was ein Musical eigentlich leisten sollte.

Am deutlichsten wird dieses Phänomen im größten „Hit“ dieses Musicals, das hier von Anne Hathaway als Fantine vorgetragene „I dreamed a dream“ – ein Stück, das gerade durch seine dramatische Platzierung (Hooper nahm sich die Freiheit, die Reihenfolge der Lieder im Musical an manchen Stellen leicht zu variieren – mit höchst gelungener Wirkung) fast zerbirst vor Verzweiflung, Tragik und Ausweglosigkeit. Es sind denn auch diese wenigen Minuten, die Anne Hathaway nach dem Golden Globe vermutlich auch den Oscar als beste Nebendarstellerin einbringen werden. Ihre Leinwandzeit ist nicht sehr lang, trotzdem bleibt sie mit ihrer famosen Ausdruckskraft hier nachhaltig in Erinnerung und hinterlässt von allen (sehr guten) Akteuren den größten bleibenden Eindruck.

Les MisérablesDa kommt selbst das über den gesamten Film gezogene Duell von Hugh Jackman und Russell Crowe nicht gegen an – auch wenn man den Filmemachern zugestehen muss, dass dieser bemerkenswerte Casting-Coup die wohl beste Lösung für die Gegenüberstellung des aufrechten Jean Valjean und des unerbittlichen Javert ist – zwei ganze Kerle, die sich nichts geben.

Sehr stimmungsvoll umgesetzt in allen Belangen von Kamera bis Ausstattung, gesegnet mit einer großartig bis herausragend agierenden Besetzung und gelenkt von einer makellosen Inszenierung durch die enorm sichere Hand Tom Hoopers, kann man an „Les Misérables“ eigentlich absolut nichts aussetzen – außer vielleicht, dass es ein Musical ist. Dieses Genre ist und bleibt mit seinen Eigenheiten halt eine Geschmacksfrage, mit der sich viele Filmfreunde auch im besten Falle nicht anfreunden können. Wer Musicals grundsätzlich nicht mag, wird vermutlich auch hiermit nicht warm werden können. Dank seiner Genre-untypischen Tragik, Dramatik und „Schmutzigkeit“ ist „Les Misérables“ trotzdem das packendste und beste Film-Musical seit langer, langer Zeit.

 

Bilder: Copyright

5
5/10

Gute Kritik. Und trotzdem habe ich den Film total anders erlebt. Für mich war es die zähe, nicht endenwollende Dramatik die mich plötzlich nur noch genervt hat. Andere werden gerade aus diesem Grund losflennen.

Mit Tom Hopper habe ich das Problem - war auch bei Kings Speech so - dass er irgendwie ohne Ecken und Kanten inszeniert. Alles ist so perfekt durchgestylt und komponiert, dass überhaupt kein Charme aufkommt. Glanzlichter setzten für mich Anne Hathaway, die vorallem gesanglich wirklich herausragend ist und Russel Crowe der mit seiner Stimme tatsächlich schauspielert und das Spannendste aus seinem Charakter herauskitzelt. Hugh Jackman überzeugt am Anfang, beginnt aber mit Filmdauer zu nerven. Grundsätzlich ist LES MISERABLES ein mutiger Film. Für mich war er leider vor allem ermüdend.

Zugegeben, ich bin kein Musical Fan. Aber bei Sweeney Todd hatte ich beispielsweise viel mehr Spass.

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9
9/10

Grossartiger Film aus meiner Sicht. Definitv Geschmackssache, was das Format Musical angeht und auch die Art der Inszenierung, aber aus schauspielerischer Sicht definitiv beeindruckend. Insbesondere Anne Hathaway's Performance hat mich persoenlich umgehauen.
Ich habe den Film mit meiner Frau gesehen und wir waren beide wie weg gefegt danach. Das gesamte Kinopublikum blieb sitzen und musste sich erst einmal wieder sammeln. Eine Situation, die wie ich finde nur sehr selten vorkommt. Ein Film der einen voll einfaengt. Von mir eine ganz klare Empfehlung, insbesondere fuer's Kino. Die grosse Leinwand lohnt sich hier.

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10
10/10

Stimme meinen beiden Vorrednern zu. Auch bei mir gab es zwischendurch Momente, in denen ich mir eine Pause gewünscht hätte, denn seichte Momente finden sich kaum. Aber dann hats nicht lang gedauert, und schon wurde ich wieder mitgerissen.

Im Nachgang muss ich sagen, dass der Film selbst bei der langen Laufzeit überbordet von Charakteren, Stimmungen, Begegnungen und intensiven Momenten. Und doch hat man das Gefühl, das alles gerafft ist, und Elemente ausgelassen wurden. Das liegt wohl an der recht komplexen Romanvorlage (~1000 S.). Hooper hat alles richtig gemacht, Gesang und Schauspiel sind einfach untrennbar verbunden. Nichts wirkt aufgesetzt, alle Verzweiflung, Hoffung, Glaube der Charaktere wirken echt. Man muss diese Emotionen nicht teilen, um den Film stark zu finden, aber man muss sie unbedingt akzeptieren können und offen dafür sein.

Ich bin begeistert, dass dieser Film neben "Lincoln", einem nicht minder sperrigen Meisterwerk, zu den Hauptfavoriten bei den Oscars gehört.

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9
9/10

Richtig. Kino für die große Leinwand und einer großen Soundanlage. Leider fiel die Lautstärke des Gesanges zur orchestralen Begleitung deutlich ab. Weiß nicht ob das der Aufnahmetechnik ("Liveaufnahme") geschuldet war o. der nicht ausreichenden Kinotechnik?! Egal, Dramatik pur u. große, schauspielerische Leistung. Die Hauptdarsteller mußten hier wirklich mal ganze Arbeit leisten und haben dies ganz hervorragend gemacht. Sehr mutig Russel Crowe, der stimmlich sicher limitiert ist, was mich nicht gestört hat, da seine Ausdruckskraft gereicht hat um "mitzufiebern". In Zukunft wird bei Musicals hoffentlich mehr Regisseure diese Art der Inszenierung nutzen. Natürlich sollte man sich den Film nicht anschauen, wenn man für Musicals nichts übrig hat!
Nur am Rande...Solche Dramen werde ich mir in Zukunft eher nicht mehr im Kino anschauen. Ich habe immer Popcornfresser neben mir sitzen, die auch an den ruhigsten u. dramatischsten Stellen es nicht lassen können lautstark in ihrem Eimer zu rascheln, zu schmatzen u. sonst Geräuschstark ihrer vermeintlich unentbehrlichen Nahrungsaufnahme zu fröhnen. Nichts dagegen in einem Popcorn Movie - aber hier war es kaum mehr auszuhalten....

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5
5/10

Leider war die Sound-Qualität im Cinestar dermaßen schlecht, und die Leinwand zu klein, daß der Film keinen wirklichen Spaß gemacht hat. Gute Schauspieler, sicher. Ansonsten meineserachtens eher weniger ein Musical, als denn eine Operette...

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9
9/10

Sehr gute Kritik!
Im Gegensatz zu vielen Journalisten, die diesen Film bewertet haben, scheint sich der Kritiker hier mit der Materie auseinandergesetzt zu haben. Höchster Respekt :o)
Jeder, der nicht verstehen kann, warum Personen plötzlich singen statt normal zu reden, ist hier falsch.
Wer eine Romanadaption in Form eines der erfolgreichsten Musicals aller Zeiten sehen möchte, ist hier richtig.
Tatsächlich ist eventuell der ein- oder andere close-up zu dramatisch geraten, aber sei's drum.

(Nur so als Amateur-Geschichts-Freak im PM-History-Klugscheiß-Modus...)
Ein wenig Ehrfurcht bekommt man schon, wenn man sich ins Gedächtnis ruft, dass Victor Hugo diese Geschichte den Personen von damals direkt auf den Leib geschrieben hat und sich jeder damit identifizieren konnte. Oder, dass die meisten einfachen Leute, z.B. Soldaten im Amerikanischen Bürgerkrieg entweder die Bibel oder eben das Buch Les Miserables in der Satteltasche hatten.
Aber diese Geschichte hatte es in Deutschland schon immer schwer. Die einzige Deutsche 'Revolution' von 1848 wurde schnell wieder unterdrückt, der erste zaghafte Versuch einer Demokratie hielt auch nur 15 Jahre von 1918 bis 1933.
Vielleicht liegt es daran, dass diese Geschichte in anderen Ländern schon immer wesentlich mehr Anhänger gefunden hat.

Egal... Ob nun als Buch, Film oder Musical... das ist schon ein beeindruckendes Werk!

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4
4/10

Die Ausstattung des Films war gut, tolle Bilder, gute Kameraführung....aber warum Anne Hathaway dafür einen Oskar bekommen hat, ist mir unbegreiflich. Ich habe mich echt auf den Film eingelassen, weiß auch, dass im Musical fast nur gesungen wird;-)aber das Katzengejammer war fast unerträglich und konnte mich emotional überhaupt nicht erreichen. Und schneid der Frau die Haare ab, lass die Schminke weg, dann sieht die so leidend aus und braucht gar nicht viel schauspielern, was sie ja auch kaum tat mit der kurzen Rolle. Ganz ehrlich, gesanglich fand ich Crowe am besten, der hat das richtig gut gemeistert. Leider habe ich nicht den ganzen Film gesehen, ich musste nach 1 1/2 Std. raus gehen, der immer hohe Gesang (auch von den jüngeren Männern) hat einfach nur genervt. Ich denken, wenn schon Musical, dann live schauen, meiner Meinung nach viel besser.

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1
1/10

Ich konnte mit dem Film auch gar nix anfangen. Es entstand bei mir keinerlei emotionale Bindung zu dem dargebotenen Leid und zu der damaligen Zeit. So hohl.
Und gesanglich fand ichs obendrein noch enttaeuschend schlecht und dann ziemlich schnell nur noch nervig.
Kann die positiven Meinungen daher nicht verstehen, ich nehme mal wenns nur immer ganz viel Leid ist, ists schon gut.

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