Verrat. Gewalt. Sex. Intrigen. Leidenschaft. Mord. And all that Jazz. Mit "Chicago" darf das Wort "Retro" wieder in den Wortschatz aller Trendscouts aufgenommen werden, denn mit der Kinoadaption des erfolgreichen Bühnen-Musicals von Bob Fosse kehrt nicht nur die Musik und Mode der Zwanziger zurück ins Licht der Öffentlichkeit, sondern eben auch das Musical in seiner klassischen Form zurück auf die Leinwand. Und weil dies ein Genre ist, auf das man in den USA als ur-amerikanisch stolz sein kann, darf guten Gewissens prognostiziert werden, dass es hierfür nicht nur den Oscar als besten Film geben wird, sondern dass sich auch mehrere Nachahmer finden werden. Was nicht ganz unironisch ist, denn genau genommen erntet "Chicago" jetzt nur das ab, was Baz Luhrmann vor einem Jahr mit "Moulin Rouge" gesät hat. Aber dieses popkulturelle Feuerwerk war in seiner ungebremsten Leidenschaft wohl doch ein bisschen zuviel für manche älteren Herrschaften, so dass Luhrmann sich damit zufrieden geben muss, den Boden bereitet zu haben für die triumphale Rückkehr des Musicals, während die Preise dafür die Leute einsacken, die an die Sache etwas traditioneller ran gehen.
So wahnsinnig traditionell ist "Chicago" dabei - in
Musicalmaßstäben
gedacht - allerdings auch nicht, denn wenn es in den
meisten Musicals
um ehrenhafte und hochmoralische Helden geht, die sich
Liebe und
großes Glück durch hehre Taten verdienen, ergötzt
sich "Chicago" mit Wonne an der vollkommenen
Korrumpiertheit
einer Verbrechensmetropole: Chicago in den Zwanziger
Jahren, das
ist eine Stadt regiert von Gangstersyndikaten,
korrupten Beamten, sensationsgeilen Zeitungen und einer
Öffentlichkeit,
die Mörder als Stars verehrt. Und für diesen Star-Status
ist jemand wie Velma Kelley (Catherine Zeta-Jones) wie
geschaffen:
Als Revue-Tänzerin ohnehin schon ein glamouröses Ereignis,
wird sie nach dem Doppelmord an Schwester und Ehemann zum
Superstar
und feilt vom Gefängnis aus zusammen mit der Wärterin
"Mama" Morton (Queen Latifah) und ihrem windigen Anwalt
Billy Flynn (Richard Gere) lässig an ihrem Freispruch.
Einen
Strich durch diese hübsche Rechnung macht jedoch das
dümmliche
Starlet Roxie Hart (Renée Zellweger), deren Erfolgsträume
einer Bühnenkarriere zwar reichlich naiv sind, die nach
dem
Mord an ihrem Liebhaber aber sehr schnell die Gesetze der
geschickten
Manipulation lernt und ihrem einstigen Vorbild Velma so
hintereinander
nicht nur den Anwalt, sondern auch die Aufmerksamkeit der
Öffentlichkeit
klaut.
Man sieht's schon: Hier sind wirklich alle verlogen, und
haben wahnsinnig
viel Spaß dabei. Die einzige ehrliche Haut im ganzen
Szenario,
Roxies Ehemann Amos (John C. Reilly), ist denn auch nicht
mehr als
ein leichtgläubiger Spielball in den Intrigen von Anwalt
und
Angeklagter, der von allen geflissentlich ignoriert wird,
wenn sie
ihn gerade nicht brauchen.
Verbrechen
verführt, und selten war es so sexy wie hier: Das Trio
Zeta-Jones/Zellweger/Gere
zieht eine fantastische Show ab, die auch vor keinem
Gerichtssaal
halt macht, und über die süffisanten Seitenhiebe auf eine
gnadenlos einfach zu manipulierende Öffentlichkeit kann
man
sich gar köstlich amüsieren, wenn man dafür zwischen
dem grandiosen Vergnügen der Sing- und Tanznummern noch
Zeit
findet. Denn selbstredend ist "Chicago" als aller erstes
ein Musical, inklusive den Schwächen, die das so mit sich
bringt:
Auch wenn die schmissige Geschichte sich temporeich
entwickelt,
bleibt sie insgesamt seicht und nicht mehr als ein Gerüst
für
die Showeinlagen. Drama findet man hier nicht und eine
großartige
Aussage schon mal gar nicht - außer vielleicht, dass der
Ehrliche
immer der Dumme ist.
Doch mit solchen naturgemäßen Makeln eines jeden Musicals
sollte man sich auch hier nicht weiter aufhalten, dafür
bietet
"Chicago" einfach viel zu viel Spaß: Von den markigen
Sprüchen des selbstverliebten Anwalts Flynn ("Wenn Jesus
heute in Chicago gelebt hätte, und ich hätte ihn
verteidigt,
wäre die Sache ein bisschen anders gelaufen") über
Roxie Harts gekonntes Spiel mit dem eigenen Dummchen-Image
bis hin
zu der vor selbstsicherer Attitüde geradezu explodierenden
Velma. Die ist denn auch der eigentliche Star der Show, in
jeder
Hinsicht: In einem größtenteils fabulös agierenden
Ensemble (mit Zellweger, Zeta-Jones, Reilly und Queen
Latifah sind
vier Darsteller für den Oscar nominiert, Gere wurde zwar
übersehen,
gewann aber bereits den Golden Globe) ist
Catherine Zeta-Jones der gar nicht heimliche Star: als
einzige schon
im voraus in Gesang und Tanz ausgebildet, macht sich
Michael Douglas'
Ehefrau ihren Vorsprung zu Nutze und stiehlt sämtlichen
Kollegen
die Show. Als hätte Jimi Hendrix seinen Song "Foxy Lady"
nur für sie geschrieben, singt und tanzt Zeta-Jones mit
unerreichter
Klasse und Energie alle anderen an die Wand und liefert
ein Paradebeispiel
dafür ab, wie man aus einer Nebenrolle den besten Teil des
ganzen Films macht. Da sieht Renée Zellweger beizeiten
wirklich
alt aus, so dass man ihre Auszeichnung als beste
Darstellerin in
der Kategorie Komödie/Musical bei den Globes nicht
wirklich
nachvollziehen kann.
Aber solcherlei Ungerechtigkeiten nachhängen ist verlorene Liebesmüh', vor allem, wenn die unmoralischen Gewissenlosigkeiten in "Chicago" ein solches Vergnügen als Gegenleistung bieten. Das Film-Musical wird hier nicht revolutioniert oder wiederauferweckt (diese beiden Ehren bleiben "Moulin Rouge" vorbehalten), in seiner Ausführung ist "Chicago" jedoch fast beanstandungsfrei und bietet all das, was ein hervorragender Vertreter dieses Genres haben sollte: Vorzüglich agierende Darsteller in einer mitreißenden Nummernrevue aus Tanz- und Gesangseinlagen, die noch lange im Gedächtnis bleiben werden (Richard Geres Stepptanz-Kreuzverhör sei hier verdientermaßen als genialischer Höhepunkt erwähnt), kurz: ein hemmungslos auf temporeiche Unterhaltung getrimmtes Stück Hochglanz-Kino, mit richtig schön viel Stil. And all that Jazz.
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