In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts bildet St. Petersburg das Zentrum der russischen Gesellschaft. Als Anna (Keira Knightley), die Frau des angesehenen Regierungsbeamten Alexei Karenin (Jude Law) sich daher auf den Weg zu ihrem Bruder Oblonsky (Matthew Macfayden) ins zu dieser Zeit als noch recht provinziell angesehene Moskau macht, deutet eigentlich nichts darauf hin, dass diese Reise ihr Leben dramatisch verändern wird. Doch in Moskau trifft sie auf den charismatischen jungen Offizier Vronsky (Aaron Taylor-Johnson) und verfällt sofort dessen Charme. Auch Vronsky kehrt mit zurück nach St. Petersburg und bald machen erste Gerüchte über eine ungehörige Liebschaft die Runde. Annas Ehemann ist verständlicherweise nicht amüsiert, aber so einfach wird dieses Problem nicht zu lösen sein.
„Anna Karenina“ ist vielleicht die berühmteste Ehebrecherin der Literaturgeschichte und ihr Drama wurde im Lauf der letzten hundert Jahre bereits ein gutes Dutzend Mal für die Leinwand oder das Fernsehen adaptiert. Und obwohl das gut 1.000 Seiten starke Werk des russischen Nationalheiligtums Leo Tolstoi von weit mehr handelt als nur einer bewegenden Liebesgeschichte, war es natürlich vor allem dieser Part, auf den sich die diversen Verfilmungen in ihrer naturgemäß begrenzten Laufzeit konzentrierten.
Das gilt auch für die aktuelle Adaption des britischen Kostümfilm-Spezialisten Joe Wright, der vor einigen Jahren das Genre bereits mit „Stolz und Vorurteil“ und „Abbitte“ bereicherte, bevor er sich einen Ausflug nach Hollywood gönnte und dort mit dem Drama „Der Solist“ sowie dem ungewöhnlichen Actionfilm „Wer ist Hanna?“ weiter auf sich aufmerksam machte. Zurück in vertrauten Gefilden geht der Filmemacher nun also die nicht ganz leichte Aufgabe an, dem altbekannten Stoff um die untreue Dame Karenina einige neue Seiten abzugewinnen. Und das ist ihm gelungen, denn Wright präsentiert einen vor Farbenpracht und knisternder Leidenschaft geradezu überbordenden Film, der in beiden Bereichen an die Werke eines Baz Luhrmann erinnert.
Zwar fehlen hier der Humor und die Selbstironie, die einst dessen „Moulin Rouge“ bereicherten, und gesungen wird auch nicht, aber das wäre auch eher unangebracht wenn man eine Liebesgeschichte erzählen möchte, bei der die Beteiligten derartig leiden und schließlich im wörtlichen Sinne krank werden vor Liebe und angesichts einer ausweglosen Situation. Dass die Funken auch wirklich sprühen und sich diese Gefühle hier tatsächlich spürbar auf den Betrachter übertragen ist umso bemerkenswerter, da sich der Regisseur eines ungewöhnlichen Stilmittels bedient, indem er nahezu den gesamten Film als reine Theaterkulisse anlegt, bei der die Figuren sehr offensichtlich von einer Bühne zur anderen oder auch einfach durch die Kulissen wandern. Und im Extremfall öffnet halt auch mal einer der Protagonisten einfach eine Tür des Salons und steht anschließend schon direkt inmitten einer russischen Schneelandschaft, in der er dann seinen Weg fortsetzt.
Dass trotz dieser bewussten Verfremdung, die ja im Grunde die Künstlichkeit des Gezeigten betont, das Ganze aber trotzdem zu keiner Zeit albern wirkt, sondern im Gegenteil der Ernsthaftigkeit mit der die Charaktere agieren keinerlei Abbruch tut, ist dabei erstaunlich und gar nicht einfach zu analysieren. Es mag mit an der wirklich riesigen Halle liegen, in der Joe Wright seine gewagte „Bühne des Lebens“ als einheitliches großes Ganzes aufbaut und in der dann sogar auch ein Bahnhof Platz findet.
Als Erbin u.a. einer Greta Garbo oder einer Vivien Leigh überzeugt Keira Knightley in der Titelrolle, welche genau die Art von historischer Frauenfigur darstellt, in der die Schauspielerin stets am überzeugendsten ist. Schon bei „Stolz und Vorurteil“ war Knightley ja mit dabei, doch hier darf sie nun noch mehr aus sich herausgehen und nicht nur im Zehn-Minuten-Takt die schönen Kleider wechseln, sondern auch das ganze Spektrum an Emotionen abarbeiten, von gezwungener steifer Zurückhaltung bis zum völlig entfesselten „Mir ist jetzt alles egal“-Moment. Da kann ihr Partner nicht ganz mithalten und obwohl Aaron Taylor-Johnson seit „Kick Ass“ über Oliver Stones „Savages“ bis hierher durchaus einen beachtlichen darstellerischen Sprung hingelegt hat, wird doch lange nicht ganz restlos klar, was an diesem eitlen und stets etwas oberflächlich wirkenden Geck denn eine Frau wie Anna sofort dermaßen fasziniert, dass sie bereits ist ihren Ruf aufs Spiel zu setzen und ihr gesamtes Leben mit Gemahl und Sohn aufzugeben. Ein Grund dafür ist sicher die in Routine erstarrte Ehe mit ihrem deutlich älteren Mann, der aber erfreulicherweise vom hier gegen den Strich besetzten Jude Law sehr vielschichtig und nicht etwa der Einfacheit halber nur einseitig negativ oder unsympathisch angelegt wird. Denn im Prinzip hat sich dessen Karenin nicht wirklich etwas zuschulden kommen lassen, sondern bemüht sich nach Kräften die Fassung zu wahren und zu retten was aber halt nicht mehr zu retten ist. Es bleibt dabei zumindest erkennbar, was Anna einmal an diesem Mann gefallen oder gar fasziniert hat.
Mehr als frühere Verfilmungen bemüht sich diese neue Version, auch die Nebenstränge und –figuren mit zu berücksichtigen, von denen es in Tolstois umfangreicher Vorlage nicht eben wenige gibt. So wird – neben den kleinen gesellschaftlichen Sticheleien zwischen den beiden Metropolen Moskau und St. Petersburg - vor allem der zunächst ebenfalls eher unglücklich anlaufenden Beziehung des idealistischen, etwas ungeschickten Levin mit der jungen und scheinbar naiven Kitty mehr Raum gegeben, ohne dabei allerdings auch noch die zahlreichen politischen und sozialen Aspekte auszuführen, die Tolstois Buch über die amourösen Verwicklungen hinaus erst in den Kanon der absoluten Klassiker beförderten.
Dafür war dann halt doch nicht mehr genug Zeit und Platz, doch auch so ist dies ein prächtig ausgestattetes und gespieltes Stück Kino, dargeboten in einer interessanten und sehr wirkungsvollen visuellen Form. Daher stellt sich dann auch gar nicht ernsthaft die Frage nach der Existenzberechtigung, denn diese neue „Anna Karenina“ ist ein echtes Fest für die Sinne.
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