In
"Adaptation", dem vielleicht
einzigen, definitiv aber besten Film über das Drehbuchschreiben,
scheitert Autor Charlie Kaufman an dem Versuch, einen Tatsachenbericht
über die sehnsüchtige, letztendlich jedoch vergebliche
Suche nach einer seltenen Orchidee in einen Film zu verwandeln.
Dass man aus einer Geschichte ohne Happy End, ohne richtige Wendungen
und ohne lehrreiche, lebensverändernde Lektionen für die
Protagonisten einfach keinen anständigen Filmplot zimmern kann,
muss schließlich auch Kaufman
einsehen - und löst das Problem in seiner Verzweiflung damit,
dass er sich selbst in sein Drehbuch hineinschreibt und es (und
damit den Film) zu seiner eigenen Geschichte macht, die mit der
Beendigung des Drehbuchs doch noch ihr rundes, befriedigendes Ende
findet.
Mit einem ähnlichen Problem wie Kaufman bei seiner Adaption
von "The Orchid Thief" hatte auch die erfolgreiche Drehbuchautorin
Susannah Grant ("Erin Brockovich",
"In den Schuhen meiner Schwester")
zu kämpfen, als sie die Erlebnisberichte des Zeitungskolumnisten
Steve Lopez über seine Begegnungen mit dem Obdachlosen Nathaniel
Ayers in einen Film verwandeln sollte. Auch wenn Grant dabei nicht
zu gar so drastischen Mitteln wie Kaufman griff, so löste sie
das in den Grundzügen identische Problem - als Vorlage eine
wahre Begebenheit, die sich nie zu einer konkreten Erfolgsgeschichte
wandelte und deren Protagonist keine Wandlung erfuhr - mit einer
in ihren Grundzügen identischen Lösung: Sie machte den
Autor zur Hauptfigur des Films und versuchte, seiner Erfahrung den
notwendigen dramatischen Bogen zu geben, der sich für den eigentlichen
Star der Geschichte nicht finden ließ.
Konkret: Der Journalist Steve Lopez (Robert Downey jr.), Kolumnist der "Los Angeles Times", trifft eines Tages auf einen Obdachlosen, der auf einer Geige mit nur noch zwei Saiten spielt - aber Lopez dennoch durch sein klares, gefühlvolles Spiel beeindruckt. Die Kommunikation mit dem Mann namens Nathaniel Ayers (Jamie Foxx) erweist sich als schwierig, da Ayers in einem kaum zu stoppenden und den wilden, ständig wechselnden Strömungen seines Bewusstseins folgenden Redefluss vor sich hin brabbelt und selten wirklich auf das antwortet, was man ihn fragt. Von dieser Figur fasziniert, beginnt Lopez seine Recherchen und findet heraus, dass Ayers als Teenager ein musikalisches Genie war und kurzzeitig eine hochangesehene Musikschule besuchte - bis er eines Tages aus Zuhause und Schule flüchtete und sein Leben auf der Straße begann. Lopez versucht nun, den offenbar unter paranoider Schizophrenie leidenden Ayers zurück ins Leben zu führen, indem er ihm zu einem besseren Instrument (ursprünglich spielte Ayers Cello, und eine von Lopez' Leserinnen spendete tatsächlich ein wertvolles Exemplar für ihn), einem Übungsraum und einer sicheren Unterkunft verhilft. Doch je länger sich Lopez mit Ayers beschäftigt, desto mehr häufen sich auch die Frustrationserlebnisse, je mehr der Journalist erkennen muss, dass er trotz aller Mühen nicht die Barrieren durchbrechen kann, die Ayers' Geisteskrankheit zwischen ihm und der Realität aufgetürmt hat.
"Der Solist" erzählt diese durchaus erzählenswerte
Geschichte auf einnehmende, in ihren stärksten Momenten wirklich
faszinierende Weise, wenn er sich auf das Element konzentriert,
das Ayers' Lebenselixier darstellt und ihm eine Erfüllung bereitet,
die für Außenstehende kaum nachzuvollziehen ist: die
Musik. Wenn es darum geht, die befreiende, erhebende Wirkung der
Musik zu bebildern, schwingt sich die Inszenierung von Joe Wright
(der sich bisher mit den beeindruckenden Literaturverfilmungen "Stolz
und Vorurteil" sowie "Abbitte"
internationale Anerkennung erarbeitet hat) zu ihren größten
Hohen auf. In einer wundervoll poetischen Szene findet Lopez Ayers
in einer Unterführung wieder und überreicht ihm gleich
neben dem vorbeibrausenden Autoverkehr das Cello. Ayers beginnt
ehrfürchtig zu spielen, und während seine Musik erklingt,
erheben sich ein paar Tauben aus der Unterführung, und fliegen
- scheinbar beflügelt durch die Schönheit und Erhabenheit
der Musik - zu Ayers' Cello-Klängen aus der dunklen, kargen
Betonwelt der Unterführung hinaus und baden in einem Meer aus
Luft und Sonnenlicht, während sie durch die gesamte Stadt zu
schweben scheinen.
Nicht weniger bemerkenswert ist das hohe Tempo der Dialoge, sowohl
in Ayers' von jeder logischen Struktur befreiten, wasserfallartigen
Monologen, als auch in den von scharfzüngigen und gewitzten
Seitenhieben gespickten Stakkato-Dialogen in Lopez' Zeitungsredaktion,
wo sich der Journalist vor allem mit seiner Chefin (und Ex-Frau)
Mary Weston (Catherine Keener) herumschlägt. Dies funktioniert
natürlich auch nur dank bravourös agierender Schauspieler,
wobei Catherine Keener den kleinsten und bodenständigsten Part
in dem zentralen Trio abbekommen hat, aber die subtilste und effektivste
Leistung abliefert. Bei Downey jr. und Foxx ist die traumwandlerische
Sicherheit zu bewundern, wie sie ihre Darbietungen mit den Dialogmassen
verschmelzen, die über ihre Lippen müssen. Dennoch muss
man für beide Herren konstatieren, dass sie im Rahmen ihrer
eigenen Möglichkeiten hier nur besseren Durchschnitt abliefern:
Robert Downey jr. hat diese Figur des mehr oder weniger ausgebrannten,
mehr oder weniger zynischen, immer ein wenig über den Dingen
stehenden Befindlichkeits-Chronisten schon so oft gespielt, dass
er wie immer überzeugt, aber längst nicht mehr überraschen
kann. Jamie Foxx müht sich sehr mit den Eigenheiten von Nathaniel
Ayers, ist aber letztlich ziemlich allein gelassen mit einer Rolle,
die sich effektiv am Beginn des Films genauso aufführt wie
am Ende - Variation ist hier quasi Fehlanzeige.
Und das ist genau das anfangs angesprochene Problem: "Der
Solist" ist ein sehr gut gemachter Film mit einem interessanten
Thema und einem hehren Ansinnen (namentlich, auf das in den USA
öffentlich notorisch ignorierte Elendsdasein der Obdachlosen
aufmerksam zu machen), aber leider ohne eine klare Geschichte. Dies
kann kein Film über ein geisteskrankes Genie sein, das lernt,
mit seiner Krankheit zu leben (wie z.B. "A
Beautiful Mind"), da man im Falle von Nathaniel Ayers nie
soweit kam, seine Krankheit klar zu diagnostizieren, eine entsprechende
Behandlung vorzunehmen und somit ein halbwegs klares Bild von Ayers'
geistigem
Innenleben und Selbstwahrnehmung zu bekommen - der Patient verweigert
sich dem bis heute. Der Film müht sich, Ayers' Geschichte zu
erzählen, spekuliert in Flashbacks darüber, wie er sich
als Teenager vom musikalischen Wunderkind zum geistesgestörten
Soziopath wandelte, und versucht in Bildern einzufangen, wie Ayers
sich vollkommen in der Welt der Musik verliert. Aber letztlich führt
dies alles zu nichts und es bleibt auch am Ende das ernüchternde
Gefühl zurück, dass Ayers ein unschätzbares Talent
hat, das niemals richtig ausgeschöpft werden wird.
Und so ist es denn der Autor, nicht sein Subjekt, der diesem Film
und seiner Geschichte einen Bogen geben muss. Da wird Steve Lopez
als ausgebrannter, (im nicht so drastischen Sinne) etwas lebensmüder
Feingeist dargestellt, dem in seinem Leben das richtige Zentrum
abhanden gekommen zu sein scheint (ergo: Konflikt mit der Ex-Frau,
die ihn immer noch liebt) - und der durch die Beschäftigung
mit Ayers letztlich lernt, diese Leerstelle zu erkennen und richtig
mit ihr umzugehen. Das Problem ist, dass diese strukturgebende Wandlung
nicht nur sehr konstruiert und gewollt wirkt, sondern es auch ist:
Der reale Lopez hat diese Krise nie durchlaufen und war während
der Entstehungszeit seiner Kolumnen über Ayers nach wie vor
glücklich verheiratet.
Das Resultat ist ernüchternd, und in dieser Hinsicht sehr schade: Obwohl hier fabelhafte Darsteller versammelt sind, die sehr überzeugend agieren; obwohl Joe Wright im Regiestuhl erneut absolut Beachtliches leistet und mit seinem Kameramann Seamus McGarvey eine zum Teil grandiose Bildsprache konstruiert; obwohl der Film als Abenteuerreise in die erschreckenden Abgründe der Obdachlosen-Welt von Los Angeles einige sehr starke Momente hat, bleibt man am Ende doch mit einem Gefühl der Leere zurück - hinterlassen von einem Film, der sich sehr zu kaschieren bemüht, letztlich aber nicht kaschieren kann, dass er nichts wirklich Erhebendes vermitteln und keine echte Moral von der Geschicht' vorweisen kann, sondern nur das latente Gefühl, dass dies irgendwie bedeutsam und erzählenswert ist, ohne wirklich zu wissen, warum.
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