Dass Hollywood sich bereits in anderen Erdteilen erfolgreiche Filmstoffe vornimmt und noch einmal neu verfilmt ist an sich nichts Neues, doch die nun vorliegende Adaption von Stieg Larssons Erfolgsroman „Verblendung“ stellt zumindest für das hiesige Publikum ein recht ungewöhnliches Ereignis dar. Denn kaum jemand dürfte nach dem medialen Feuerwerk der letzten Jahre noch vollkommen unbefleckt von dessen „Millenium“-Trilogie geblieben sein, schließlich war es kaum möglich diesem Stoff nicht irgendwo in Buch, Kinofilm oder verlängerter TV-Version zu begegnen und das zudem überall auch noch in dreifacher Ausfertigung. Die Geschichte und deren schwedische Verfilmungen sind also sehr vielen Menschen sehr bekannt und dabei auch noch ganz frisch in Erinnerung. Da sich zudem vor allem das Bild der charismatischen weiblichen Hauptfigur Lisbeth Salander in der Darstellung von Noomi Rapace bereits in die moderne Popkultur eingebrannt hat, wäre eine skeptische oder schlicht desinteressierte Haltung gegenüber einer vermutlich sowieso ziemlich weichgespülten US-Version durchaus nachvollziehbar.
Wäre da nicht der Name David Fincher als verantwortlicher Regisseur zu finden, ein Name der ohne Bedenken als eine Art Qualitätssiegel gelten kann. Denn der Mann, dem auch auf diesen Seiten schon ohne nennenswerten Widerspruch bescheinigt wurde, noch keinen einzigen schlechten Film abgeliefert zu haben (sondern im Gegenteil sogar diverse Meisterwerke), macht etwas anderes sogar noch viel weniger: Uninteressante Filme.
Wie hat er sich also „The Girl with the Dragon Tattoo“ genähert, der bei uns nun erneut unter dem hier etablierten Namen „Verblendung“ veröffentlicht wird? Fincher und sein Drehbuchautor Steven Zaillian („Schindlers Liste“) hatten zunächst einmal die Grundsatzentscheidung zu treffen, ob sie die Geschichte verlegen und an einem amerikanischen Schauplatz spielen lassen sollen. Wer nun meint, es sei doch eine ganz klare Sache, dass diese auch aufgrund der gesellschaftlichen Einblicke in Wirtschaft und Kriminalität nur und ausschließlich im speziellen Skandinavien funktioniert, der möge bedenken, dass es aber bisher noch keine einzige große Hollywood-Produktion gab, die in Schweden gedreht wurde. Nun, jetzt gibt es eine und man darf zum ersten Mal aufatmen und zu dieser völlig richtigen Entscheidung gratulieren. Namen und Orte bleiben uns erhalten und natürlich ist es auch ganz überwiegend die gleiche Geschichte des von einer Intrige zu Fall gebrachten Journalisten Mikael Blomkvist, der eher aus der Not heraus den Auftrag annimmt, auf dem Landsitz einer der reichsten Unternehmerfamilien des Landes in einem 40 Jahre zurückliegenden Kriminalfall zu ermitteln, der um das spurlose Verschwinden einer jungen Frau kreist. Unterstützung erfährt er dabei von einer anderen jungen Frau mit besonderen Fähigkeiten und einer Vergangenheit die mit „dramatisch“ nur unzureichend umschrieben ist. Und für eine ausführlichere Inhaltsangabe verweisen wir der Einfachheit halber auf unsere noch nicht allzu lange zurückliegende Besprechung des schwedischen Films, womit wir uns auffällig vom Presseheft zum Fincher-Film unterscheiden, welches 68 Seiten lang über das Thema informiert ohne dabei mit einem einzigen Wort die Existenz einer früheren Verfilmung zu erwähnen.
Die Handlung selbst weicht nur sporadisch von der der ersten Adaption und damit auch von der Buchvorlage ab, es sind vor allem die Zusammenführung der beiden Hauptfiguren und die Auflösung um den Verbleib der verschwundenen Harriet, welche hier einen etwas anderen Verlauf nehmen, sich aber letztlich weder groß positiv noch negativ bemerkbar machen. Auch die etwas problematische Situation, das nach der eigentlichen Auflösung des Falles als Antiklimax noch diverse Szenen folgen, die eher der Vorbereitung der Fortsetzungen dienen, wurde Fincher quasi mit vererbt und führt auch hier dann zu einem gewissen Bruch in der Erzählstruktur. Aber auch die Amerikaner in Schweden nehmen sich ihre Zeit um die Figuren einzuführen und eine sehr dunkle, deprimierende Atmosphäre zu kreieren – wobei es auch höchst verwunderlich wäre, wenn so etwas dem Schöpfer der Welt von „Sieben“ nicht gelungen wäre.
Ein weiteres Mal "aufatmen" gilt auch für jegliche Befürchtung, die US-Variante könnte sich deutlich braver geben und in Sachen Sex- und Gewaltdarstellung dezente Zurückhaltung üben. Das ist nicht der Fall, insbesondere die berüchtigte Vergewaltigungsszene ist auch hier wieder ein Schlag in die Magengrube und Rooney Mara muss nicht nur dort, sondern auch in verschiedenen anderen Szenen ein ganzes Stück über das hinausgehen was man als aufstrebende Schauspilerin in der Traumfabrik sonst so zu spielen hat. Trotzdem sind Mara und ihre (im wahrsten Sinne des Wortes) "Verkörperung" der eigentlichen Hauptfigur Lisbeth Salander der Punkt, dem nicht nur im Vorfeld bereits die größte Aufmerksamkeit zuteil wurde, sondern der auch den auffälligsten Unterschied zur Erstverfilmung darstellt.
Hatte die "Lisbeth" von Noomi Rapace immer auch eine gefährliche, manchmal einfach "böse" Ausstrahlung und wirkte keinesfalls immer sympathisch, präsentiert Rooney Maras Interpretation dagegen durchweg ein eher zartes und schutzbedürftiges Wesen, welches viel stärker seinen Weg zurück in die Gesellschaft und eine vertrauensvolle Beziehung sucht. Da helfen auch all die Tätowierungen und Piercings wenig - die "Härte" ihrer Vorgängerin strahlt Mara, die zuvor bereits eine kleinere Rolle in Finchers "The Social Network" hatte, zu keiner Zeit aus. Die Figur des Journalisten Blomkvist ist dagegen von vornherein eher fuktional angelegt und Craig kommt natürlich ein wenig attraktiver und mänlicher daher als der zuvor als Alter-Ego des Romanautoren besetzte Michael Nyqvist, was aber im Sinne der Geschichte nicht unbedingt nötig wäre. Für Christopher Plummer als verbitterten Großvater gibt es hier nach "Beginners", "Dr. Parnassus" und Leo Tolstoi eine weitere schöne Altersrolle und mit Stellan Skarsgard hat man sich immerhin auch noch einen echten Veteranen des skandinavischen Films ins Boot geholt.
Bleibt die Frage: "Braucht" man nun also noch diese neue zweite Verfilmung in sehr kurzer Folge, selbst wenn sie von einem David Fincher stammt? Im Grunde wohl nicht, denn dessen Version fügt der bekannten Materie nichts wirklich entscheidend Neues hinzu und bleibt bei der Besetzung der beiden Hauptfiguren trotz zweier sehr guter Schauspieler sogar ein Stück hinter der europäischen Fassung zurück. Doch selbst wenn man die Story und ihre Auflösung bereits kennt, ist allein der Vergleich hochinteressant. Und neben den ein Stück höheren Produktions- und Schauwerten bei der Fotografie der kühlen schwedischen Landschaft entwickeln sich auch über diese zweieinhalb Stunden wieder ein Sog und eine hypnotische Spannung, die so eben (fast) nur der Meister hinbekommt. Durchaus spannend aber auch, ob sich der stets auf der Suche nach neuen Themen befindliche Filmemacher denn auch für die beiden noch ausstehenden Fortsetzungen selbst auf den Regiestuhl setzen wird. Falls es sie denn überhaupt geben wird, denn nach einem eher durchwachsenen US-Kinostart für "Verblendung" könnte mit der Hollywood-Version der Millennium-Trilogie nach Teil Eins auch schon wieder Schluss sein.
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