
Am Anfang steht eine revolutionäre, neue Technologie, welche die Fernsteuerung eines Maschinengelenks durch Gedankenkontrolle ermöglicht. 14 Jahre später sind daraus vollständige, menschlich erscheinende Roboter geworden, die von ihren Besitzern bequem von zuhause aus durch die Welt gesteuert werden und für sie den kompletten, unerfreulichen Alltag erledigen (wie zur Arbeit, zum Einkaufen oder überhaupt irgendwo hin gehen), während der dazugehörige Mensch gemütlich daheim im Sessel sitzt. Diese "Surrogates" sind so ein gigantischer Verkaufsschlager, das es mittlerweile in der Außenwelt fast gar keine echten Menschen mehr gibt, überall nur noch ihre Roboter-Vertreter. Und weil man deren Körper natürlich gestalten kann, wie man möchte, sieht man überall nur noch junge, attraktive und durchtrainierte Individuen. Angenehme Nebeneffekte dieses großen technologischen Gleichmachers: Rassismus, Sexismus und Kriminalität sind fast vollständig verschwunden, da man eh nie so genau wissen kann, ob das Gegenüber in "echt" eigentlich auch so aussieht wie sein Roboter-Ersatz (geschweige denn, dasselbe Geschlecht hat), und es kaum noch direkten Kontakt zwischen echten Menschen, sondern nur zwischen ihren "Surrogates" gibt.
Auch der Polizist Tom Greer (Bruce Willis) genießt die Vorzüge dieses sehr angenehmen Lebens, bis er mit seiner Kollegin Peters (Radha Mitchell) einen beunruhigenden Fall übernimmt: Der Roboter-Doppelgänger des Sohns des genialen "Surrogates"-Erfinders Canter (James Cromwell) ist "umgebracht" worden - und zwar mit einer neuartigen Waffe, die das Gehirn seines daheim im Sessel hockenden Besitzers gleich mitfrittiert hat. Eine Waffe, die Surrogates und ihre Besitzer tötet? Das könnte eine potentielle Massenpanik auslösen. Aber: Wer steckt hinter diesem Attentat, und was ist das Ziel des Täters?
Das technologisch ermöglichte Leben durch einen künstlichen oder fremden Körper ist ein im Moment schwer angesagtes Science-Ficton-Thema: Letzten Monat befasste sich James Camerons bahnbrechender "Avatar" mit diesem Konzept, vor zwei Wochen zeigte "Gamer" ferngesteuerte Menschen, und nun kommt "Surrogates" mit einer weiteren Variante des Zweit-Ichs. Basierend auf einem Comic-Roman von 2006 versteht sich natürlich auch "Surrogates" als metaphorisches SciFi-Gedankenexperiment, wohin die zunehmende Realitäts- und Identitätsflucht in virtuelle Welten wie "Second Life" oder "World of Warcraft" noch führen kann. Und wie bei dem artverwandten "Gamer" und so vielen anderen SciFi-Visionen tut man sich als Zuschauer auch hier einen großen Gefallen, wenn man bereitwillig mitgeht und nicht allzu viel darüber nachdenkt, wie diese Welt logisch durchdacht eigentlich genau funktionieren soll. Dass der Film mal so eben postuliert, dass 98 Prozent der Bevölkerung "Surrogates" benutzen, ist zum Beispiel sehr schwer zu glauben, würde das doch heißen, dass sich jeder - unabhängig von Einkommen und sozialer Stellung - so ein Teil leisten kann. Ein humanoider Roboter ist ja doch etwas komplexer und teurer als ein Mobiltelefon.
Wenn man diese Glaubwürdigkeitshürde erstmal hinter sich gelassen hat, bietet "Surrogates" jedenfalls einen Haufen faszinierender Gedankenanstöße und wirft interessante ethische Fragen auf. Hat ein "Surrogate" noch so etwas wie Rechte, zum Beispiel? Die Polizei kann jeden der Roboter überwachen und sofort abschalten, um die Durchführung eines Verbrechens zu verhindern. Das heißt aber auch, dass sie jeden immer und überall beobachten können - echte Privatsphäre gibt es nicht mehr. Noch gespenstischer wird es auf der zwischenmenschlichen Ebene: Da man sich eben nur noch mit dem schmerzfreien Roboter-Ich seiner Mitmenschen auseinandersetzt, kannst du nicht mal mehr dem Typ eine reinhauen, der dreist mit deiner Ehefrau flirtet. Und da alle nur noch in Gestalt ihrer makellos schönen Ersatz-Ichs herumlaufen, wächst immer mehr die Scham, sich mit seinem echten, unperfekten Körper zu zeigen - wahrhaftige zwischenmenschliche Berührungen sind so gut wie ausgestorben. Aber mit Robotern kann man keine Babys machen.
Dies alles ist auf genau die subtile Art verstörend, die großartige Science-Fiction ausmacht - ein metaphorisches Mahnmal, die konsequente Weiterdenkung von Phänomenen, die in unserer heutigen Welt ihre Anfänge haben (Stichwort: Überwachungsstaat und Körperkult). Aber ach, wie enttäuschend wenig wird in diesem Film daraus gemacht. Statt tief in seine Welt und ihre vielfältigen Facetten einzutauchen, wandelt sich "Surrogates" in unverständlicher Eile (mit seinen 88 Minuten wirkt der Film eher gehetzt als kurzweilig) in eine sehr formell und schematisch abgespulte Krimigeschichte, der sämtliche Originalität abgeht. Was hier potentiell faszinierend sein könnte, wird fast systematisch im Ansatz abgetötet. Das liegt zu nicht geringem Teil in der Verantwortung von Regisseur Jonathan Mostow, vor allem bekannt für sehr gefällig abgespultes Mainstream-Kino ("U-571", "Terminator 3"), der die Welt von "Surrogates" durchgestylt, glatt poliert, schnell und ansprechend präsentiert und jede Form von unterschwelliger Beklemmung ob der allgegenwärtigen Künstlichkeit vermissen lässt. Es ist fast so, als würde der Film selbst nicht begreifen, wie unheimlich die Welt, die er zeichnet, eigentlich ist, sondern das alles ziemlich cool und stylish finden.
Dass es am Anfang indes ein wenig schwer fällt, die ganze Sache ausreichend ernst zu nehmen, liegt wiederum an Hauptdarsteller Bruce Willis. Der tappt nämlich fürs grobe erste Drittel der Handlung in Gestalt seines Roboter-Ichs durch die Handlung, und erst als dem etwas zustößt, ist Tom Greer gezwungen, höchstpersönlich und mit dem eigenen Körper seine Ermittlungen fortzusetzen. Die verjüngte und "attraktivere" Ausgabe von Bruce Willis kommt nicht nur mit sichtbar digital geglätteter Haut daher (abgesehen von Willis' echten Botox-Behandlungen), sondern auch mit einem so dermaßen lächerlichen blonden Toupé, dass man als Zuschauer mehr als glücklich ist, wenn diese Farce endlich ein Ende hat - und Willis deutlich älter, aber auch deutlich besser aussehend den Rest des Films bestreitet.
Dieser deutliche "Altersunterschied" zwischen Greers Roboter-Ich und seinem wahren Selbst wiederum gehört zu einem der interessantesten Aspekte des ganzen Films, denn das schwierige Verhältnis zwischen Greer und seiner Ehefrau (Rosamund Pike), die sich überhaupt nicht mehr traut, ihrem Ehemann in ihrer wahren (alten) Gestalt gegenüber zu treten und so die psychologischen Langzeitfolgen permanenten Surrogate-Einsatzes veranschaulicht, hätte mehr als genug Ansätze für einen ebenso komplexen wie emotionalen Beziehungs-Subplot geboten. Hätte, denn in der glatt polierten, auf Tempo und Action getrimmten Handlung von "Surrogates" verlieren sich die entsprechenden, leise tragischen Szenen zwischen den Eheleuten fast komplett und wirken beizeiten wie im falschen Film. Sehr schade, weil es nicht nur die emotional stärksten Momente von "Surrogates" sind, sondern auch die einzigen Szenen, in denen Bruce Willis zeigen kann, dass in ihm auch ein echt guter Schauspieler steckt.
Aber wie die Gesamtheit des Films, so leidet auch dieser Subplot darunter, dass "Surrogates" sein Potential fast schon verschwenderisch verschenkt und stattdessen auf die vermeintlich besser vermarktbaren, aber eben auch vollkommen konventionellen und drum unspannenden Krimi- und Actionakzente setzt. Immerhin kriegt man hier tatsächlich mal eine wilde Autoverfolgungsjagd zu sehen, bei der die Passanten auf dem Bürgersteig auch wirklich über den Haufen gefahren werden, und nicht wie von Wunderhand alle im letzten Moment beiseite springen können - da es ja keine echten Menschen, sondern nur Surrogates sind, kann man sich soviel Realitätsnähe hier ausnahmsweise mal erlauben. Das tröstet aber auch nicht wirklich darüber hinweg, dass "Surrogates" letztlich ein enttäuschender Film ist. Denn er ist zwar immer noch ganz gut und anstandslos konsumierbar, aber er hätte eben so viel mehr sein können, wenn nicht sogar müssen.
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