
Zack Snyder hat bisher vier Spielfilme verantwortet - das Zombie-Remake "Dawn of the Dead", die Comic-Adaptionen "300" und "Watchmen" sowie die Kinderbuchverfilmung "Die Legende der Wächter" - und hat sich damit als der vielleicht talentierteste und aufregendste Nachwuchs-Regisseur Hollywoods etabliert, mit einem ganz eigenen visuellen Stil und phänomenalen Fähigkeiten bei der Ästhetisierung von bildgewaltigen (und gewalttätigen) Action-Epen. Mit "Sucker Punch" legt Snyder nun erstmals einen Film vor, der nicht auf fremdem Material basiert, sondern seine eigene Idee war. Und bringt damit das Kunststück fertig einen Film zu machen, dessen Inhalt nicht mal das eigene Presseheft verständlich wiedergeben kann.
"Sucker Punch" feiert sich selbst als radikalen Grenzgang zwischen Fantasie und Realität, ist in Wirklichkeit aber ein krude zusammengestöpselter Mischmasch aus allem möglichen spinnerten Schlachten-Unsinn, den Zack Snyder wohl unbedingt mal - ganz egal wie - in einen Film packen wollte, zusammengehalten von einer "Handlung", die so voller erzählerisch-handwerklicher Fehler steckt, dass man geneigt ist, "Sucker Punch" zum größten Mist zu erklären, den Hollywood seit langer Zeit hervorgebracht hat. Wenn er nicht so verdammt gut aussehen würde.
Um klar zu machen, was hier alles falsch läuft, wollen wir den Inhalt mal etwas präziser erklären: Das Mädchen Babydoll (Emily Browning) wird nach einigen tragischen Schicksalsschlägen von seinem grausamen Monster von einem Vater in eine psychiatrische Klinik gebracht, in der nur junge Mädchen behandelt werden. Dort besticht der Vater einen der Angestellten dafür zu sorgen, dass Babydoll eine Lobotomie verpasst bekommt (sprich: in wandelndes Gemüse verwandelt wird). Der Arzt, der den Eingriff durchführen soll, wird in fünf Tagen eintreffen. Mit dieser Aussicht konfrontiert, flüchtet sich das unschuldige Mädchen in eine Fantasiewelt, die wie folgt aussieht:
Babydoll kommt als Neuankömmling in ein Bordell, in dem junge Mädchen gefangen gehalten und in Tanzchoreografien unterrichtet werden, welche sie zum Scharfmachen den Gästen des Etablissements vortanzen, bevor es dann zur Sache geht. Babydoll soll für den steinreichen "High Roller" aufgehoben werden, der in fünf Tagen das Etablissement besuchen und dann viel Geld dafür zahlen wird, Babydoll ihre Jungfräulichkeit zu nehmen. Diesem Schicksal will Babydoll entkommen und überredet ihre Mitgefangenen Rocket (Jena Malone), Sweet Pea (Abbie Cornish), Blondie (Vanessa Hudgens) und Amber (Jamie Chung) dazu, mit ihr die Flucht zu versuchen.
Für diese Flucht benötigen die Mädchen vier Utensilien (eine Karte, ein Feuerzeug, ein Messer und einen Schlüssel), welche die anderen Mädels unbemerkt entwenden sollen, während Babydoll für die Ablenkung sorgt, indem sie tanzt - denn Babydoll tanzt so verdammt gut, dass sie damit alles und jeden in ihren Bann ziehen kann. Das Kinopublikum kommt indes nie zu der Freude, Babydoll wirklich tanzen zu sehen, denn sobald sie anfängt, begibt sich Babydoll (und damit das Publikum) wiederum in eine andere Fantasiewelt, in der sie und die anderen vier Mädels bis an die Zähne bewaffnet in verschiedenen Missionen gegen eine scheinbar übermächtige Schar an Gegnern antreten.
Alles klar soweit? "Sucker Punch" spielt über weite Strecken in einer Fantasiewelt innerhalb einer Fantasiewelt - als Zuschauer fühlt man sich da ein bisschen wie bei "Inception", allerdings mit dem Unterschied, dass einem hier niemand vorher die Regeln erklärt, bzw. ob es überhaupt welche gibt. Ob das, was Babydoll in ihren Fantasien tut, nun irgendwelche Konsequenzen für ihre eigentliche Realität hat - man weiß es nicht, bekommt diese Realität zwischen Minute 10 und Minute 100 aber ohnehin nicht zu sehen.
Tatsächlich ist es so, dass Babydolls Fantasien quasi nur eine Abstrahierung dessen sind, was gerade eigentlich passiert. Beispiel: Während Amber von einem ihrer Kunden ein Feuerzeug klaut, fantasiert Babydoll sich in ein Schlachtenszenario, in dem sie gegen einen Drachen kämpfen und ihm die Fähigkeit zum Feuermachen entreißen muss. Ob ihr das gelingt, ist aber nicht von Babydoll abhängig, sondern von Amber in der "Realität" des Bordells. Babydolls Fantasien spiegeln nur das, was sowieso passiert, ohne dass sie irgendeinen Einfluss darauf hätte. Man könnte auch sagen: Eigentlich ist es völlig egal, was in Babydolls Schlachten-Fantasien passiert. Was Zack Snyder aber nicht daran hindert, den fünfsekündigen Akt des Feuerzeug-Stehlens mit einer zehnminütigen Fantasie-Action-Sequenz zu unterbrechen.
Da der Film dieses Muster mehrere Male ohne Variation wiederholt (Babydoll tanzt in Fantasiewelt I - Action-Sequenz in Fantasiewelt II - zurück in Fantasiewelt I) wird das nicht nur schnell ermüdend, sondern geradezu ärgerlich. Denn Snyders ausufernde Schlachtenfantasien haben mit der eigentlichen Handlung nichts zu tun, sie sind sinnentleerte Feuerwerke von Schall und Rauch, die mit großer Geste abgefackelt werden, während die Geschichte des Films vollkommen still steht. Es hat noch nie Actionszenen gegeben, die für die Handlung eines Films überflüssiger waren als diese.
Da man sich als Zuschauer dabei ohnehin die ganze Zeit in einer Fantasiewelt innerhalb einer Fantasiewelt befindet und man das ständige Gefühl hat, dass alles ziemlich ohne Konsequenz ist, was man hier sieht, wirkt das alles auch schrecklich egal und beliebig und so wenig durchdacht wie das Grundszenario des ganzen Films. Es macht schließlich herzlich wenig Sinn, dass sich ein eingesperrtes und misshandeltes Mädchen in eine Fantasiewelt "flüchtet", in der sie ein eingesperrtes, misshandeltes Mädchen ist. Aber egal, Hauptsache wir können einen Film machen in dem Drachen, Kampfroboter, riesenhafte Samurai-Maschinenkrieger und in mechanische Zombies verwandelte deutsche Soldaten aus dem ersten Weltkrieg vorkommen.
Dass "Sucker Punch" die völlig ungebremste Fantasieverwirklichung seines Regisseurs ist, ist bei diesem wilden Sammelsurium offensichtlich, und deutet sich auch mehr als nur ein bisschen bei der weiblichen Heldentruppe an. Schon ihre Namen (Babydoll, Blondie, Sweet Pea) wirken wie aus einem Anime-Porno für Schulmädchen-Fetischisten entlehnt. Und dass der Film sich anmaßt so zu tun, als würde er die toughen jungen Frauen als Vorbildfiguren für ein weibliches Publikum feiern, während er sie konsequent in Kostümierungen herumturnen lässt, die direkt dem feuchten Traum eines pubertären Videospiel-Junkies entsprungen sind, bewegt sich vom Heuchlerei-Faktor her ungefähr auf demselben Level wie die legendäre Riesenfrechheit "Catwoman".
Angesichts dieses wenig subtil angerührten Cocktails aus Sex- und Gewalt-Fantasien muss man Snyder fast schon wieder Bewunderung dafür zollen wie er es schafft seinen Film trotzdem so zu gestalten, dass er locker eine Altersfreigabe ab 12 bekommen kann: Obwohl die jungen Damen Zwangsprostituierte sind, wird das Wort "Sex" (oder gar eine noch unflätigere Bezeichnung dafür) nicht ein einziges Mal ausgesprochen, und spritzende Blutfontänen wie z.B. in Snyders Schlachtplatte "300" gibt es auch nicht: Bei den nicht-menschlichen Fantasiegestalten, die hier massenweise niedergemetzelt werden, ersetzen Lichtstrahlen oder entweichender Dampf das Blutgespritze.
Tatsächlich ist "Sucker Punch" ein derart dummer, amateurhaft geschriebener und völlig überzeichneter Film, dass man ihn wirklich wahnsinnig gerne zum Top-Favoriten auf die Goldene Zitrone 2011 erklären möchte, zum wohl Schlechtesten, was es dieses Jahr im Kino zu sehen geben wird. Einzig: So grässlich-grottig das Drehbuch ist, das Snyder hier mit seinem Kumpel Steve Shibuya fabriziert hat, so unanfechtbar bleiben Snyders absolute Ausnahmefähigkeiten als Regisseur und Bilderfänger.
"Sucker Punch" wird optisch dominiert von derselben Comic-haften, artifiziellen Bildästhetik, die Snyder in "300" und "Watchmen" so begeisternd vorgeführt hat, und auch wenn er es mit der Überästhetisierung stellenweise deutlich übertreibt (die ersten zehn Minuten des Films sind quasi ein einziges Musikvideo), so blitzt Snyders Brillanz dennoch permanent auf in seinen großartigen Bildkompositionen und in einzelnen Action-Sequenzen, die handwerklich so herausragend gemacht sind, dass man ihnen Szenenapplaus spenden möchte - wenn sie in einem anderen Film wären, bei dem die Geschichte einen tatsächlich gepackt und mitgerissen hat.
So bescheuert und hohl "Sucker Punch" auch ist, ist er visuell einfach zu gut gemacht, als dass man ihn guten Gewissens mit der Minimalwertung abstrafen könnte. Auch wenn man bloß kein Geld für den Kinoeintritt verschwenden sollte, bleibt "Sucker Punch" darum dennoch eine erstaunliche Ausnahmeerscheinung: Wohl noch nie war ein Film so verdammt blöd und hat dabei so verdammt gut ausgesehen.
Wer einen Film sehen will, der den Grenzgang zwischen Realität und Fantasie wirklich zelebriert und auch erzählerisch von vorne bis hinten grandios gemacht ist, dem sei einmal mehr Guillermo del Toros Meisterwerk "Pans Labyrinth" empfohlen. An Zack Snyder sei derweil eine simple Bitte gerichtet: Bitte schreib nie, NIE wieder ein eigenes Drehbuch. Bitte. Dann freuen wir uns trotz dieses Desasters auch weiterhin auf deinen Superman-Film.
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