Der Sommer ist die Zeit für das kurzfristige Glück. Die Tage sind lang, die Nächte kurz. Die Hitze und die Hormone setzen den Mut frei, sich einem flüchtigen Abenteuer hinzugeben. Ein kleiner Urlaubsflirt, eine schwerelose Sommerfreude. Ein seltsamer Vorgang ohne Frage, magisch und gefährlich zugleich. Es ist diese Atmosphäre, die sich auch über den "Sommer 04" legt.
Den Sommer 2004 verbringt Miriam (Martina Gedeck) mit ihrem 15-jährigen Sohn Nils (Lukas Kotaranin) und ihrem Lebensgefährten Andre (Peter Davor) an der Schlei-Ostsee-Region. Nils hat seine erst 12-jährige Freundin Livia (Svea Lohde) mit dabei. Livia hat aber nur Augen für den charismatischen, mehr als doppelt so alten Amerikaner Bill (Robert Seeliger). Eine Konstellation, die Miriam missfällt, aber bald verfällt auch sie dem Charme des jungen Amerikaners.
Es sind schon höchst seltsame Beziehungen, die die Personen in Stefan Krohmers neuem Film miteinander pflegen. Da sind die "Eltern", die eher gelangweilt nebeneinander im Bett liegend das gegenseitige Fremdsein zelebrieren. Eine Partnerschaft aus Liebe sieht dann doch anders aus. Aber auch die "jungen Verliebten" Nils und Livia ertragen sich mehr, als dass sie ihre Zuneigung zeigen. Man wird das Gefühl nicht los, dass hier eigentlich keiner zueinander passt. Eine große Zwangsgemeinschaft, die sich gegenseitig egal zu sein scheint.
Aus dieser emotionalen Erstarrung müssen sich alle lösen, als der ominöse Bill aufkreuzt. An ihm, einem Eindringling in ihren abgestumpften Kreis, reiben sich alle Protagonisten. Andre beispielsweise liefert sich schon beim ersten Treffen mit ihm ein psychologisches Wortduell par excellence. Doch schließlich sind es die beiden Frauen, die ihre ganz eigene, durchaus ambivalente Beziehung zu diesem charmanten Amerikaner aufbauen. Livia, die sich als äußerst reife Lolita gibt, verdreht Bill mit diesem Auftreten den Kopf. Liebt sie ihn? Mag sein, aber amouröse Annäherungsversuche und Leidenschaften einer pubertierenden Lolita sind so eine Sache. Ungefährlich, verträumt und nicht wirklich ernst zu nehmen. Was aber, wenn genau diese verspielten Träumereien erwidert werden? Die Frage ist doch: Was fühlt Bill, oder was darf er fühlen?
Fragen, die Krohmer aufwirft und sogar beantwortet. Das macht er atmosphärisch betrachtet sehr stilsicher. Krohmer verdichtet die Erzählung, in dem er den Fokus auf die Konflikte zwischen den Protagonisten legt. Dabei artet (zum Glück) nicht immer alles zu einer Diskussion über die aktuelle psychische Verfassung aus. Bill reagiert anders auf eine schreiende Livia als auf eine ihn anbrüllende Miriam. Die Frauen wiederum gehen miteinander ganz anders um. Das Hauptproblem bleibt dabei meistens unausgesprochen. In dieser höchst interessanten Studie platziert Drehbuchautor Daniel Nocke allerdings einen Wendepunkt, der eine tödliche Eifersuchtsspirale in Bewegung setzt, die beim Zuschauer nur Kopfschütteln auslösen kann.
Klar, rein optisch ist das alles einwandfrei inszeniert. Die Geschichte ist subtil und in äußerst klare und kraftvolle Bilder gefasst. Doch wenn Bill dann Miriam ganz unerwartet seine Gefühlslage unterbreitet, stürzt die Dramaturgie den Bach herunter und das Publikum verfällt in tiefes Unverständnis. Es wäre für die Geschichte nicht nötig gewesen, sie in einem unbeholfenen, grausamen Finale enden zu lassen. Die Dichte und Art des psychologischen Konfliktes rund um das zentrale Beziehungsdreieck hätte ausgereicht, um den gesamten Film zu tragen.
Trotzdem bleibt "Sommer 04" ein überzeugendes und wunderbar gespieltes (Martina Gedeck ist einfach großartig) Psychodrama. Ein Film, der trotz Schwächen gegen Ende zweifelsohne in die Reihe des neuen, aufregenden, jungen deutschen Kinos gehört.
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