Vom Plakat lächeln Bradley Cooper ("Hangover", "Das A-Team") und Jennifer Lawrence ("Winter's Bone", "Die Tribute von Panem"), zwei der attraktivsten und derzeit angesagtesten Schauspieler in Hollywood, und so im schnellen Vorbeigehen würde man bei so einem Poster und diesen beiden Namen eine stromlinienförmige, gut gecastete und vermutlich ziemlich konventionelle romantische Komödie erwarten, ein guter Film fürs erste Date um zwei hübsche, normale Menschen mit sanftem, leicht verdaulichem Humor.
Oder auch nicht. Alle Zuschauer, die sich auf Basis dieses sehr oberflächlichen ersten Eindrucks in "Silver Linings" verirren, werden vermutlich einigermaßen verwirrt bis verstört wieder heraus kommen, und hätten beim Filmplakat lieber mal auf die Kleinigkeiten achten sollen. Dass Bradley Cooper zum Beispiel eine kleine Schramme auf der Nase hat und ein bißchen zu verstrahlt lächelt. Oder dass in Jennifer Lawrences Augen etwas funkelt, was überhaupt nicht harmlos ist, sondern eine gewisse Lust am Kontrollverlust erahnen lässt. Das jedenfalls fängt den schrägen Geist von David O. Russells ("Three Kings", "I Heart Huckabees", "The Fighter") neuem Film weitaus besser ein. Ein ziemlich durchgedrehter Film über ziemlich durchgedrehte Menschen. Aber nichtsdestotrotz mit dem Herz sowas von am rechten Fleck.
Cooper spielt Pat Solatano, der zu Beginn des Films aus einer psychiatrischen Anstalt in die Obhut seiner Eltern (Jacki Weaver und Robert de Niro, den man seit langer Zeit nicht mehr so gut gesehen hat) entlassen wird. Der Anstaltsaufenthalt hat Pat vor dem Gefängnis bewahrt, nachdem er einen - nennen wir es mal: "kleinen" Ausraster hatte, als er seine Ehefrau Nikki unter der Dusche mit einem Kollegen erwischte. Zurück in Freiheit versucht Pat, seine manisch-depressiven Ausschläge in den Griff zu bekommen, sich an seiner neuen, positiven Lebensphilosophie festzuhalten (deren Fokus auf die "Silberstreifen" im Leben diesem Film seinen Titel gibt) und sich voll und ganz darauf zu konzentieren, Nikki davon zu überzeugen, dass sie ihrer Ehe eine zweite Chance geben und gemeinsam wieder glücklich werden können. Seine Eltern sind dabei keine große Hilfe: Die Mutter ist eine überängstliche Glucke, und für den selbst eindeutig manisch veranlagten Vater dreht sich sowieso immer nur alles ums nächste Spiel seiner geliebten Philadelphia Eagles und seine halbseidene Buchmacher-Tätigkeit, mit der sich der Pensionär sein Leben finanziert (oder es zumindest versucht). Wer Pat jedoch helfen könnte, ist seine neue Bekannte Tiffany (Jennifer Lawrence). Die ist die Schwester von Nikkis bester Freundin und könnte damit als Kontaktperson fungieren. Allerdings hat Tiffany aufgrund eines eigenen Traumas ihre ganz eigenen psychischen Probleme. Und fordert von Pat als Gegenleistung für ihre Hilfe einen reichlich absurden Gefallen....
Es laufen so einige durchgeknallte Menschen in diesem Film rum. So durchgeknallt, dass es schon etwas heißen möchte, dass ausgerechnet Chris Tucker (in seiner ersten Nicht-"Rush Hour"-Filmrolle seit 15 Jahren) als Psychiatrie-Kumpel von Pat so ziemlich der größte Ruhepol in diesem Film ist. Und so durchgeknallt, dass eben dies das größte Vergnügen an "Silver Linings" ist, der die Unberechenbarkeit seiner Hauptfiguren zu seiner eigenen größten Stärke macht. Pats extrem schlechte Impulskontrolle, die Obsession mit seiner (bis zum grandiosen Finale des Films quasi nie zu sehenden) Ex-Frau, die latente Paranoia von Pat und Tiffany und ihrer beider Hang, ungebremst sofort zu sagen, was ihnen gerade durch den Kopf schießt, sorgen dafür, dass man sich hier nie sicher sein kann, was als nächstes passiert. Die Dialoge zwischen den beiden nehmen ständig unerwartete Wendungen, was die Szenerie immer ziemlich merkwürdig, aber auch sehr unterhaltsam macht.
Die rastlose Unruhe in Pat und Tiffany spiegelt David O. Russell sehr wirkungsvoll in seiner Inszenierung - wer Russells extrem selbstreflexiven "I Heart Huckabees" gesehen hat (und sich vielleicht noch erinnert, welchen Skandal Russell damals mit einem Set-Ausraster dank seiner eigenen, schlechten Impulskontrolle verursachte), kann sich sicher gut vorstellen, dass dem Regisseur solch ein Geisteszustand selbst nur allzu gut vertraut ist. Russells Dialog ist ohnehin schon sehr schnell, mit seinem oftmals geradezu hektisch erscheinenden Schnitt setzt er aber noch einen oben drauf und erzeugt ein geradezu greifbares Gefühl von Ruhelosigkeit, das zunächst fast etwas anstrengend ist - bis man begeistert begreift, wie effektiv Russell seine Zuschauer damit Pats Erlebniswelt nachempfinden lässt.
So kaputt, durchgeknallt und oftmals völlig absurd es hier zugeht (permanente kleine Höhepunkte sind die ständigen, komplett ernsthaften Diskussionen um den alles beherrschenden Aberglaube zum Spielglück der Philadelphia Eagles), ist "Silver Linings" bei all seiner menschlichen Authentizität nicht nur wahnwitzig komisch, sondern in seinem tiefen Kern auch sehr, sehr romantisch. Und eben nicht mit jener wertlosen, weil realitätsfremd verkitschten Zuckerguss-Romantik rundum schöne Menschen in schöner Gegend mit schönen Problemen. Sondern mit jener schmerzgeprüften, lebensbejahenden Romantik, die aus dem größten Scheiß heraus einen letzten Funken Hoffnung und echte Herzwärme entdeckt, wenn man schon nicht mehr daran geglaubt hat.
Und für wen das alles noch nicht Argument genug ist, der kann sich diesen Film auch einfach für Jennifer Lawrence angucken. Denn wie Lawrence hier als Tiffany zwischen Schmerz und Euphorie, zwischen Trauma und Obsession, zwischen Zynismus und Verletzlichkeit pendelt, ist eine derart kraftvolle, faszinierende, schillernde und aufregend vibrierende Vorstellung, dass es absolut kein Wunder wäre, wenn die 22-jährige dafür im Frühjahr ihren ersten Oscar gewinnt. "Silver Linings" gilt jedenfalls völlig zurecht als starker Mitfavorit für die diversen Filmpreise dieser Awards-Saison und setzt 2013 die von allen Cineastenherzen in Deutschland lieb gewonnene Tradition fort, dass es direkt zum Jahresbeginn sofort einen der besten Filme des Jahres zu sehen gibt.
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