Punch-drunk Love

Originaltitel
Punch-drunk Love
Land
Jahr
2002
Laufzeit
89 min
Genre
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Frank-Michael Helmke / 5. Juni 2010

"Hast du schon gehört, Adam Sandler spielt die Hauptrolle im neuen Film von Paul Thomas Anderson." Für die meisten Filmfans muss es wie ein absurder Cineasten-Witz geklungen haben, als sie das erste Mal von "Punch-drunk love" gehört haben, aber es ist kein Witz: Adam Sandler, Ikone grenzdebiler Komödien mit möglichst niedrigem Niveau ("Big Daddy", "Little Nicky") ist der Protagonist im neuen Werk von Paul Thomas Anderson, der seit seinem Opus Magnum "Magnolia" als einer der herausragenden Regisseure seiner jungen Generation gilt. Hier treffen zwei Filmwelten zusammen, wie sie weiter nicht von einander weg sein könnten, doch das Endergebnis lässt sich gerade deshalb paradox leicht charakterisieren: "Punch-drunk love" ist ein Adam Sandler-Film von Paul Thomas Anderson. So einfach ist das.

Einfach, das waren bisher alle Figuren, die Adam Sandler gespielt hat, und das trifft auch auf seinen hiesigen Charakter Barry Egan zu. Der Unterschied zu Sandlers früheren Filmen, in denen er einen einfach gestrickten Simpel mit immer wieder auftretenden Gewaltausbrüchen spielte, ist allerdings der, dass seine Figur diesmal Format erhält. Wenn Sandler in "Happy Gilmore" oder seinem jüngsten Film "Mr. Deeds" aus heiterem Himmel anfing, Leute aufs übelste zu vermöbeln, dann gab es dafür keinen Grund außer dem möglichen Lacher in so einer Szene, der allerdings wiederum häufig stecken blieb, eben weil diese Ausbrüche unmotiviert und deplatziert wirkten. Wenn Sandler aber in "Punch-drunk love" die Glastüren seiner Schwester oder die Männertoilette eines Restaurants zertrümmert, dann ist das gerade deshalb komisch, weil wir zum ersten Mal verstehen, warum er das tut.
Paul Thomas Anderson ist kein abgehobener, betont intellektueller Feuilleton-Regisseur, und darum gibt er nicht nur liebend gerne zu, dass ihm Sandlers Komödien schon so manch drögen Samstagabend versüßt haben, er schrieb ihm auch noch aus reinem Spaß an der Freude eine Rolle auf den Leib, die Sandlers eigenwilligem Stil endlich die Substanz gibt, die ihm sonst immer gefehlt hat: Barry Egan führt einen unspektakulären Betrieb in irgendeiner Seitenstraße im Großraum Los Angeles, und er hat sieben Schwestern, von denen jede einzelne permanent sein Leben zu kontrollieren versucht. Warum Barry immer wieder den unkontrollierbaren Drang verspürt, etwas kaputt zu machen, ist schon nach einer Szene klar, in der innerhalb von zwei Minuten drei seiner Schwestern auf der Arbeit anrufen, um ihn an eine Party am Abend zu erinnern. Völlig eingeengt und ohne Freiräume spricht schon seine Körperhaltung Bände: zusammengesunken, als würde er am liebsten in sich selbst verschwinden, gleichzeitig über alle Maßen angespannt, vermittelt er in jeder Szene den Eindruck, als wäre er am liebsten woanders. Keine Ahnung wo, Hauptsache nicht hier. Der Krampf ist in seinem Leben so allgegenwärtig, dass Barry selbst bei einem Telefonsex-Gespräch lieber nicht auf die eindeutigen Anforderungen der Stimme am anderen Ende eingeht. Dass er ihr indes sämtliche private Daten inklusive Kreditkarten- und Sozialversicherungsnummer verrät, wird sich noch als großer Fehler herausstellen. Ein wenig Licht tritt erst in Barrys Leben, als er die zurückhaltend niedliche Lena Leonard (Emily Watson) kennen lernt und sich die beiden, trotz aller Widrigkeiten, ineinander verlieben.
Was sich von hieran für ein Plot entspinnt, braucht man gar nicht erst zu verraten, denn die zugrunde liegende Kausalkette würde ohnehin keiner glauben. Spätestens hier zeigt sich, was es für Anderson heißt, eine leichte Komödie zu inszenieren: ein Film machen, in dem alles ein bisschen anders, ein bisschen absurd ist. Und das fängt bereits damit an, eine unerwartete Szene an die nächste zu hängen. Anderson überrascht sein Publikum konsequent, ohne dass dieses nachher sagen könnte, wieso eigentlich. Mit ebenso einfacher wie subtiler Eleganz inszeniert er für "Punch-drunk love" ein eigenes kleines Universum, in dem absurde Szenen quasi am Wegesrand liegen und auch dort gelassen werden, wo die Kamera mit den Einstellungen spielt aus dem reinen Vergnügen, eine Szene einfach mal unkonventionell einzufangen, und wo man dreitausend Becher Schoko-Pudding kauft und dafür über eine Million Bonusmeilen von American Airlines bekommt. Eine Geschichte, die übrigens wirklich passiert ist, und vielleicht gerade deshalb so gut in diesen eigenwilligen Entwurf von Absurdistan passt.

Bei all seiner köstlichen Komik (die, das muss man fairerweise sagen, nicht bei allen Filmszene-Redakteuren gleichermaßen zündete) bleibt die eigentliche Überraschung an "Punch-drunk love" jedoch die Neuentdeckung von Adam Sandler. Feinfühlig und versiert schabt Anderson von Sandlers typischem Rollenbild die Fassade ab und lässt den gebrochenen Menschen zum Vorschein kommen, der sich schon immer darin versteckt hat. Und Sandler blüht plötzlich auf, als hätte er seit Jahren nur darauf gewartet: Mit gänzlich untypischer Zurückhaltung schraubt er seine normalerweise so übertriebenen Gesten herunter, lässt in jeder noch so kleinen Bewegung die innere Anspannung seiner Figur deutlich werden und schwingt sich so zu schauspielerischen Höhen auf, die man ihm bis dato niemals zugetraut hätte. Wenn er schließlich gegen Ende des Films ein schlichtweg brüllend komisches Telefongespräch führt, dass so auch in jedem anderen Sandler-Film hätte stattfinden können (inklusive aller Schimpfwörter und blanker Aggression), mit dem feinen Unterschied, dass er mit Philip Seymour Hoffman - einem der besten aktiven Schauspieler Hollywoods - spricht, dann erscheint das in der Tat als ein ausgeglichenes Match. Und ein größeres Kompliment kann man Adam Sandler kaum machen. Ob er außerhalb seines bisherigen Rollentypus tatsächlich als Schauspieler bestehen kann, wird er noch zeigen müssen. Aber jetzt traut man ihm das zum ersten Mal auch wirklich zu.

"Punch-drunk love" macht so viele Dinge bewusst anders, dass es für manchen schon befremdlich wirken könnte, und fasst sich an manchen Stellen ein bisschen zu kurz (auch wenn es ganz erfrischend ist, nach Andersons dreistündigem Mammut-Meisterwerk "Magnolia" jetzt schon nach der Hälfte aus dem Kino zu kommen), so dass man merkt, dass es Anderson hier mehr um die lustige Spielerei mit Konventionen und dem üblichen Sandler-Klischee ging. Das ist bei so einem beschwingt agierenden Regie-Genie und bei so viel erfrischender Andersartigkeit aber auch schon mehr als genug. Und so erweist sich der für unmöglich gehaltene Kino-Zwitter als Volltreffer: Paul Thomas Anderson macht den besten Adam Sandler-Film, den es je gab. Man stelle sich jetzt nur noch die Fangemeinden von Regisseur und Hauptdarsteller in trauter Einigkeit im selben Multiplex-Saal vor. Das ist schon fast zu schön, um wahr zu sein.

Bilder: Copyright

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