
In einer der schönsten Szenen von „Notting Hill“ sitzt der große Filmstar Anna Scott (Julia Roberts) zusammen mit ihrer neuen Bekanntschaft William (Hugh Grant) bei einem Abendessen anläßlich des Geburtstags von William‘s Schwester. Die Anwesenden spielen um den letzten Brownie: Die tragischste Person soll ihn bekommen. So klagt jeder der Reihe nach das Leid seines Lebens, die alltäglichen Sorgen. Der Sieger scheint schon festgemacht, als der große Filmstar auf einmal fragt: „Und was ist mit mir?“
Diese Szene gibt vieles von dem wieder, was „Notting Hill“ zu einem tollen Film macht. Da ist als allererstes die Unbeschwertheit, mit der William und seine Freunde von ihren Schicksalen erzählen, in bester „Always look on the bright side of life“-Manier. Diese bewundernswerte Einstellung, daß sie trotz ihrer Situation immer noch alles so positiv nehmen, macht diese Charaktere direkt liebenswert. Und dann ist da noch der eigentliche Kern des Films: Ist das Leben eines Superstars wirklich so viel besser als das eines Jedermanns?
Aber von Anfang an. William Thacker führt eine nicht sonderlich erfolgreiche Fachbuchhandlung für Reiseführer im Londoner Stadtteil Notting Hill. Eines Tages stiefelt Anna Scott in seinen Laden, und er schafft es tatsächlich, die Beherrschung zu behalten und sie wie einen normalen Kunden zu behandeln. Das gefällt ihr. Kurz darauf rennen sie auf der Straße ineinander und er überschüttet sie versehentlich mit Orangensaft. Er bringt sie in seine Wohnung, damit sie sich sauber machen kann, und benimmt sich wieder so hervorragend, daß Anna gar nicht anders kann, als ihm einen Kuß zu geben. Aber dann geht sie. Und William hält dieses unglaubliche Erlebnis („surreal, aber schön“) schon für beendet, als er eine Einladung in ihr Hotel erhält ...
Hier entspinnt sich die erwartete Liebesgeschichte. Die kommt zwar nach simplen Strickmustern daher, ist aber dennoch sehr schön anzusehen, weil einfach alles stimmt: Julia Roberts und Hugh Grant spielen mehr oder weniger sich selbst (sowieso die einzige Rolle, die Grant gut spielen kann) und entwickeln dadurch eine erfrischende Natürlichkeit, die man den beiden gar nicht mehr zugetraut hätte. Hinzu kommt ein in diesem Stadium recht originelles Drehbuch (Autor Curtis schrieb bereits „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“), daß aus dem Interviewmarathon, in den William versehentlich hinein gerät, ein wahres Feuerwerk an Gags macht, und gekonnt mit Schein und Sein des Hollywoodstars arbeitet. Das amüsante Erblühen der Zuneigung wird jedoch schon bald gestört. Wie Anna/Julia in ihrer schonungslosen (und erstaunlich lebensechten) Selbstanalyse beim Abendessen bereits feststellt: Das Leben als Superstar ist viel schlimmer, als sich der Normalbürger das denken kann.
Manch einer mag ein wenig skeptisch sein, ob dieser Teil wirklich gelungen ist. Wahrlich, man hat schon große Filme über die dunklen Seiten des Erfolgs gesehen, und romantische Komödien sind im Verklären stets Weltklasse. Nicht so „Notting Hill“. Vom Publicity-tauglichen Freund über alte Nacktaufnahmen bis hin zu miesen Hetzkampagnen und lästernden Stammtischlern ist alles vertreten, ohne daß man den Eindruck bekommt, hier irgendein Klischee aufgedrückt zu bekommen. Natürlich bleibt Annas Affäre mit dem unbekannten Buchhändler auch nicht lange unentdeckt, und so stellt sich alsbald die alles entscheidende Frage: Man kann sich nicht aussuchen, wo die Liebe hinfällt, aber kann man wirklich mit den Konsequenzen leben? Es geht nicht nur darum, ob Anna es sich erlauben kann, einen Niemand zu lieben. Es geht auch darum, ob William es verkraftet, einen Superstar zu lieben.
Unterstützt werden die beiden Protagonisten von einem exellenten Ensemble an Nebendarstellern, wie sie schon bei „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ das Salz in der Suppe waren. William’s Freunde kommen allesamt so wundervoll lebensnah daher, daß man keine Sekunde denkt „Schon wieder so ein Briten-Klischee“, sondern schmunzelnd den Kopf schüttelt: „Ach, diese Engländer“. Allen voran steht William’s Mitbewohner Spike, der „masturbierendeWaliser“, den man wirklich erlebt haben muß, um es zu glauben.
Trotz der phantastischen Nebenrollen und des erstklassigen Drehbuchs wird „Notting Hill“ dennoch von seinen Hauptdarstellern getragen, ganz einfach weil beide ihre größten Erfolge wieder zum Leben erwecken: Hugh Grant in seiner Paraderolle als leicht verstockter Engländer wie zu besten „Vier Hochzeiten ...“-Zeiten, und Julia Roberts in ihrer unendlichen Niedlichkeit, wie man sie nur in „Pretty Woman“ erlebt hat. Sie ist so dermaßen perfekt für diese Rolle, eine andere Besetzung ist nicht einmal vorstellbar. Und wenn sie in einer der letzten Szenen dann auch noch Erinnerungen an Everybody’s Darling Audrey Hepburn wachruft, dann hat sie auch den letzten Zuschauer mit ihrem unvergleichlichen Lächeln in Verzückung versetzt.
All dies ergänzt sich zu einer wahrhaft herzerwärmenden Komödie in der richtigen Mixtur. Grandiose Gags, wunderschöne Liebesszenen, einfache und doch geniale Lebensweisheiten, und die richtige Menge Realität. Endlich mal wieder eine romantische Komödie, die die wahren Schwierigkeiten ihrer Charaktere nicht verleugnet.
Es gibt manchmal Situationen, in denen man sich nicht mehr selber fragen muß, ob ein Film gefällt. Zum Beispiel wenn man zwanzig Minuten einfach nicht mehr zu Lächeln aufhören kann, und nur noch ein Wort im Kopf auftaucht: Zauberhaft.
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