München

Originaltitel
Munich
Land
Jahr
2005
Laufzeit
164 min
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Volker Robrahn / 22. Juni 2010

Auch wenn Steven Spielberg nach dem Effektspektakel "Krieg der Welten" nun wieder in ein völlig anderes Genre, nämlich das des anspruchsvollen Politdramas, wechselt, bleibt festzustellen: Der Meister befindet sich in seiner ernsten Phase. Waren viele schon von der Düsternis der Alien-Apokalypse überrascht, so erwartet uns nun ganz schwere Kost in Form seiner Aufarbeitung der Geschehnisse während und nach den Olympischen Spielen von 1972. "München" ist für Spielberg ganz offensichtlich mindestens ebenso eine Herzensangelegenheit wie damals "Schindlers Liste". Das Ergebnis ist im Gegensatz zum bewegenden und letztendlich sogar noch hoffnungsvollen Oscar-Abräumer aber ein ziemlicher Schlag in die Magengrube.

Eigentlich sollten es die "heiteren Spiele" in der bayerischen Landeshauptstadt sein und einige Tage lang waren sie das auch. Die Geiselnahme von elf israelischen Olympioniken durch arabische Terroristen kam dann auch so unerwartet, dass von einem echten Krisenmanagement anschließend nicht die Rede sein konnte. Für viele gilt diese Aktion als Beginn des organisierten Terrorismus, dem damals noch keine ausgebildeten Spezialeinheiten entgegen gestellt werden konnten. Dementsprechend endete die Konfrontation von fünf schlecht ausgebildeten "Scharfschützen" mit den entschlossenen Entführern auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck schließlich in der totalen Katastrophe, bei der alle elf Geiseln starben.
Diese Geschehnisse handelt Spielberg in nur zehn Eröffnungsminuten ab, wofür er hauptsächlich alte Fernsehaufnahmen verwendet. Er wird sehr viel später noch einmal auf die Ereignisse am Flughafen zurückkommen, doch seine eigentliche Geschichte ist eine andere. Eine, die bisher nur wenig thematisiert wurde, obwohl der Öffentlichkeit damals durchaus auffiel, dass in den Monaten nach der verhängnisvollen Geiselnahme zahlreiche prominente Figuren der Palästinenser-Organisation PLO ums Leben kamen. "München" zeigt uns nun die Hintergründe dieser vom israelischen Geheimdienst Mossad initiierten Vergeltungsaktion, bei der ebenfalls elf Namen auf eine Liste gesetzt wurden, obwohl deren Verbindung zur Münchener Aktion keineswegs immer als gesichert gelten konnte. Das Publikum begleitet nun das fünfköpfige, international besetzte Killer-Kommando unter Leitung des Israeli Avner (Eric Bana) auf seiner blutigen Mission.

Zuerst ist bei der Betrachtung seines neuen Films festzustellen, dass das zur Zeit bei Spielberg herrschende hohe Arbeitstempo inklusive Termindruck ("München" sollte unbedingt noch 2005 in den USA anlaufen, um sich die Chancen aufs aktuelle Oscarrennen zu erhalten) erfreulicherweise nicht zu mangelnder Sorgfalt führt. Jedenfalls nicht im technischen Bereich und in punkto Ausstattung, denn die hier eingefangene Atmosphäre und Optik der frühen 70er Jahre ist sogar von einer selten gesehenen Perfektion. Angefangen bei der akkuraten Herrichtung von Städten, Autos und Kleidern über die klassischen Hornbrillen, bis zum passenden Farbfilter mit grobkörnigen Brauntönen wähnt man sich mehr als einmal fast in einem Dokumentarfilm, was sicher auch beabsichtigt ist.
Und wenn man sich in Frankreich, Italien oder Deutschland aufhält, wird nicht nur vor Ort gedreht, sondern entsprechende Rollen auch mit einheimischen Darstellern besetzt, die folgerichtig in ihrer Landessprache oder einem Akzent behafteten Englisch sprechen (diesem Vorgehen verdanken wir daher auch den ersten Auftritt von Moritz Bleibtreu in einem Spielberg-Film).
Das Bemühen um absoluten Realismus findet seinen Höhepunkt in der Darstellung der Gewalt. Dass die Bomben von Attentätern Menschen nicht nur einfach töten, sondern auch grausam verstümmeln, ist zwar bekannt, wird einem hier aber auch mal sehr deutlich vor Augen geführt. Die entsprechenden Szenen mit abgetrennten und herumbaumelndem Körperteilen oder klaffenden Schusswunden sind ebenso zahlreich wie heftig, die gezeigte Brutalität manchmal nur schwer zu verkraften.

Warum Spielberg dies tut, ist klar: Er macht so mehr als deutlich, dass diese mit staatlichem Segen begangenen Liquidierungen kein Bisschen edler oder anständiger sind als die Attentate der Palästinenser. Er gibt ein klares Statement ab, dass diese "Auge um Auge"-Politik nicht nur moralisch fragwürdig, sondern eben auch politisch völlig sinnlos ist. Für jede beseitigte Schlüsselfigur des Feindes steht sofort ein mindestens ebenso brutaler Ersatzmann bereit, und auf jedes "erfolgreiche" Attentat erfolgt sofort die Gegenreaktion. Eine Spirale des gegenseitigen Tötens, die niemals zum Frieden führen kann und die nur von mutigen und verhandlungsbereiten Menschen gestoppt werden könnte, welche jedoch nirgends zu sehen sind oder zur damaligen Zeit keine ausreichende Lobby hatten. Dass dem Juden Spielberg sein Vorgehen von pro-israelischer Seite als Nestbeschmutzung ausgelegt werden würde war dabei zu erwarten, ist aber nicht gerechtfertigt.
Denn abgesehen davon, dass die Geschichte ihm recht zu geben scheint (wie die jüngsten, durch ehemalige Hardliner erzielten Verhandlungserfolge belegen), ergreift er hier eben keinerlei Partei für eine der beiden Seiten, sondern setzt sie nur in ihrem Vorgehen und ihren Methoden gleich. Dabei wird auch nicht die zuerst begangene Tat der Palästinenser beschönigt. Wen vorübergehend dieses Gefühl beschleicht, dem wird es spätestens mit der finalen Darstellung des Blutbads am Flughafen wieder entzogen.

So beeindruckend der Mut und die Deutlichkeit sind, mit denen Spielberg sein Thema präsentiert, so zwiespältig ist manchmal die Umsetzung des Ganzen in die Dramaturgie eines Spielfilms. Bei allem Verständnis für Genauigkeit will sich einem doch nicht so recht erschließen, warum nun wirklich jedes einzelne Attentat nacheinander ausführlichst abgearbeitet wird. Dementsprechend besteht ein Großteil des fast drei Stunden langen Films aus der Planung und mehr oder minder erfolgreichen Durchführung dieser Aktionen. Da sich in der Gefühlswelt des auftragsgemäß agierenden Kommandos auch lange Zeit überhaupt Nichts verändert, führt dies zu einer manchmal doch recht ermüdenden Abfolge ähnlicher Szenen.
Eine wirkliche Entwicklung durchläuft dabei letztendlich auch nur die Figur des Anführers Avner, während seine Helfer (darunter der neue "James Bond" Daniel Craig) durchgehend eindimensional angelegt sind, ihrer Arbeit meist stoisch nachgehen und dem Zuschauer daher nicht besonders nahe kommen. Avner dagegen, vom Wunsch beseelt seine Mission zu beenden und zur Familie zurückkehren zu können, distanziert sich schließlich von seinen Auftraggebern. Eric Bana fehlt dabei aber leider, wie schon in seinen bisherigen Arbeiten (z.B. "Hulk", "Troja"), einfach etwas das Charisma, um diese Wandlung nachvollziehbar genug zu gestalten. Zudem kommt sie eher plötzlich und gipfelt auch noch in der am Wenigsten sinnstiftenden Einstellung des gesamten Films, als Avners Sex mit seiner Frau plötzlich von Bildern des Geiselmassakers überlagert und so eine emotionale Verbindung konstruiert wird, die nicht wirklich funktioniert.

So ergibt sich von "München" insgesamt das Bild eines mutigen und wichtigen Films, meistens interessant und immer engagiert. Es fehlt ihm allerdings ein wenig die "Seele", und auch dramaturgisch zeigt Spielberg diesmal doch ein paar ungewohnte Schwächen.


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