
Auf der Leipziger Buchmesse 2004 erhielt der französische Autor Eric-Emmanuel Schmitt trotz Plagiatsvorwürfen für seinen Bestseller "Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran" den Deutschen Bücherpreis, mit dem seit 2002 die besten Bücher des Jahres ausgezeichnet werden. Wie passend, dass am selben Tag auch der gleichnamige Film anlief. Doch wo das Buch ein Juwel ist, dass es zu entdecken lohnt, ist der Film ein müder Abklatsch, der nur aufgrund der ausdrucksstarken Züge, welche Omar Sharif (besonders bekannt aus "Dr. Schiwago" und "Lawrence von Arabien") der Figur des Ibrahim verleiht, Farbe gewinnt.
Der Schauplatz ist die Rue Bleue im Paris der sechziger Jahre. Die Musik ist laut und aufregend, die Prostituierten flanieren auf und ab. Dies ist die Welt des Moses, genannt Momo (Pierre Boulanger), eines vierzehnjährigen Juden, der sein Sparschwein schlachtet, um den ersten Sex seines Lebens zu erkaufen. Seine Mutter (Isabelle Renauld) hat die Familie vor langer Zeit verlassen und sein Vater (Gilbert Melki), von Verdauungsproblemen und Traurigkeit geplagt, vergleicht Moses dauernd mit seinem perfekten Bruder Popol, der mit seiner Mutter aus ihrem Leben verschwand. Momo entdeckt nun die Frauen und freundet sich mit dem muslimischen Lebensmittelhändler Monsieur Ibrahim an, der von allen nur "der Araber" genannt wird und dem der Bengel ständig Konserven klaut. Diese Freundschaft lehrt den Jungen viel über die Schönheit des Lebens und die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Religionen, und Ibrahims Rolle als Ersatzvater für Moses erlangt bald unerwartet ein ganz neue Dimension.
Obwohl das Drehbuch von Roman-Autor Schmitt und Regisseur Francois Dupeyron gemeinsam ausgearbeitet wurde, so lässt es doch die schönsten und markantesten Passagen des Buches aus. Gerade die Bedeutung der religiösen Sinneserfahrungen für Momo lässt sich im Film kaum erahnen. Das Hinzufügen der Figur eines Nachbarsmädchens, in das sich Momo verliebt, ist hingegen nicht mehr als ein konventionelles Plotelement und bringt uns Moses nicht wirklich näher. Das Ende schließlich bietet kein Potential für Zukunft und Versöhnung, die das Buch bereithält, was wirklich schade ist.
Und doch bietet auch dieser Film uns etwas ganz Besonderes: Der nunmehr 71-jährige Omar Sharif fühlt sich sichtlich wohl in der Rolle des weisen Monsieur Ibrahim. Eine Begründung dafür ist in seinem Leben zu finden, denn im Privaten wie in der Öffentlichkeit spricht sich Sharif seit Jahren für religiöse Toleranz aus. So ist Sharif ein glaubwürdiger Monsieur Ibrahim, der den stechenden Blick eines Dr. Schiwago nun getauscht hat mit den weisen Augen eines Philosophen. Die Wahl Pierre Boulangers für die Rolle des Momo hingegen macht aus dem so verstörten Jungen aus dem Buch einen pubertierenden Teenager, mit dem die Identifikation recht schwer fällt.
Wer das Buch nicht gelesen hat, dem wird der Film wohl besser gefallen als Kennern der Vorlage, doch kann auch dies über weite Passagen der Langeweile nicht hinwegretten. Sharif-Fans kann man ihn aber empfehlen, da Omar Sharif in seinem Alter einer Figur eine solch ruhige Tiefe verleiht, dass es ein wirklicher Genuss ist.
Allen Eric-Emmanuel Schmitt-Fans sei gesagt, falls ihnen Bücher und Filme nicht genügen: Schmitts Stück "Enigma" wird im nächsten Jahr von Volker Schlöndorff mit Mario Adorf in der Hauptrolle in Berlin inszeniert. Allen anderen sei gesagt: Setzt euch mit dem Buch ins Grüne. Es ist fast schneller gelesen als es dauert, den Spielfilm zu sehen.
Neuen Kommentar hinzufügen