Der Titel des neuen Films von Jean-Pierre Jeunet (Delikatessen, Die fabelhafte Welt der Amélie) verheißt ganz großes Gefühlskino. Und auch im Setting deutet alles darauf hin: Der Erste Weltkrieg geht seinem Ende entgegen, doch für Mathilde (Audrey Tautou) beginnt der härteste Kampf ihres Lebens. Die verwaiste Neunzehnjährige wartet im Haus ihres Onkels in der Bretagne auf ein Lebenszeichen ihres Verlobten Menach (Gaspar Ulliel) - obwohl dieser längst für tot erklärt wurde. Mathilde ist jedoch davon überzeugt, über ein unsichtbares Band mit Menach verbunden zu sein und so spüren zu können, dass er noch am Leben ist. Mathilde, die trotz ihrer Gehbehinderung aufgrund einer Kinderlähmung niemals so schnell aufgibt, kann jeder Situation positive Seiten abgewinnen - den bewussten Faden, sollte er sie nicht zu ihrem Geliebten führen, könnte sie immer noch als Strick benutzen, um sich daran aufzuhängen.
Um Menach wieder zu finden, investiert Mathilde das Erbe ihrer Eltern in einen Privatdetektiv - und stößt bei ihren Verwandten ob ihrer unbeirrbaren Hoffnung auf Unverständnis. Tatsächlich scheint es um Menachs Tod keine Geheimnisse zu geben: zusammen mit vier anderen Soldaten wurde er wegen Selbstverstümmelung zum Tode verurteilt. Die Verurteilten wurden ins Niemandsland gebracht und alles deutet darauf hin, dass sie dort zwischen den Fronten ihren Tod fanden. Doch mit Mathildes Nachforschungen wird der Fall immer rätselhafter und gibt tatsächlich immer wieder Anlass zu Hoffnungen - die sich allerdings ebenso schnell wieder zerschlagen. Die Spuren der Geschehnisse in den Kriegswirren und morastigen Schützengräben sind keineswegs eindeutig und leicht zu verwischen. Identifikationsnummern wurden getauscht, Augenzeugen halluzinieren, und eine weitere ermittelnde Geliebte eines der Soldaten hinterlässt eine blutige Spur...
Wer bis hierhin beim Lesen stutzig geworden ist und sich denkt, dass dies vielmehr nach einem Krimi denn einer großen Liebesgeschichte klingt, liegt völlig richtig. Sébastien Japrisot, Verfasser der Romanvorlage, ist ein populärer Krimiautor und Regisseur Jeunet liebte dessen "Die französische Verlobte" aus zwei Gründen: zum einen interessierte er sich für den Ersten Weltkrieg und das Paris der 20er Jahre. Zum anderen faszinierte ihn die Protagonistin, die mit ihrer Fähigkeit, Dinge zu sehen, die anderen verborgen bleiben, an Alice im Wunderland erinnert. Und damit Parallelen zu Amélie aufweist. Die Welt der in warmes Licht getauchten Bretagne mit kuchenbackenden Tanten, furzenden Hunden und skurrilen Briefträgern ist denn auch eine wunderbare Welt der Amélie - auch wenn Mathilde deren Leichtigkeit fehlt.
Dieser Welt steht der graue Mikrokosmos der Schützengräben gegenüber, mit hartem Licht und starken Kontrasten. So unvereinbar diese beiden Welten erscheinen, bleiben sie auch im Film - der verstörte junge Manech im Schützengraben scheint nichts mit dem Geliebten Mathildes zuhause in der Bretagne zu tun zu haben. Und hier scheitert "Mathilde - eine große Liebe" denn auch: Das Liebespaar Mathilde/Manech kommt dem Zuschauer nicht wirklich nahe. Manech wird wie seine Mitsträflinge - und hier geht Jeunet vielleicht auf allzu viele Schicksale ein - als Soldat eingeführt. Zuhause, in einer anderen Welt, hat er ein Mädchen, das auf ihn wartet - wie alle anderen Soldaten auch. Darüber, wie die Beiden zusammen kamen wird in wenigen Sequenzen erst rückblickend berichtet. Ebenso kurz ist der Bericht darüber, was der Krieg aus dem Jungen gemacht hat. Der blasse, kindlich wirkende Soldat scheint mehr ein jüngerer Bruder denn Geliebter zu sein und rückt bei der Suche mehr und mehr in den Hintergrund.
Die kriminalistische Suche Mathildes ist voller Überraschungen und plötzlicher Wendungen, gestützt auf die subjektiven Berichte verschiedener Zeugen, die von anderen Beobachtern oft genug revidiert oder ad absurdum geführt werden. Das Verfolgen dieser schnell springenden Handlungswendungen ist nicht immer einfach und der Reiz des Miträtselns, der Krimis per se ausmacht, geht somit verloren.
"Mathilde - eine große Liebe" bleibt irgendwo zwischen Krimi und Love Story hängen. Was bleibt, ist eine beeindruckende Audrey Tautou als etwas entrückte, aber sehr entschlossene Mathilde, und eindrucksvolle Aufnahmen der Bretagne und der Kriegsschauplätze. Jeunet hat sich damit einen Traum erfüllt, den er auf der Handlungsebene leider nicht ganz befriedigend umsetzt.
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