Eigentlich sollte dieser Film ein Selbstgänger sein. Filmreifes Material bietet das Leben der Edith Gassion, genannt "la môme piaf" (das Sperlingskind) und später dann nur noch Edith Piaf, ja einiges. Von der bettelarmen Kindheit, dem Verlassenwerden durch die Eltern, der Aufzucht zwischen Gosse und Puff und der Entdeckung durch den Nachtclubbesitzer Louis Leplée (Gérard Depardieu), über die ersten großen Erfolge als unvergessene Chanson-Sängerin und die letztlich tragisch verlaufende große Liebesgeschichte mit Boxer Marcel Cerdan (Jean-Pierre Matins) bis hin zum traurigen Ende als nicht einmal 50jährige mit dem zerfallenen Körper einer 80jährigen. Einzig, der Film weiß mit dieser Vorlage nichts anzufangen.
Das größte und fast fatale Problem schafft sich "La Vie En Rose" selbst mit einer völlig unnötig sprunghaften und zerhackten Erzählstruktur. Wie hier zwischen unterschiedlichen Zeitebenen hin- und hergesprungen wird, da fühlt man sich ja fast wie in einem Inarritu-Film. Das Problem: "La Vie En Rose" tut dieser Ansatz überhaupt nicht gut. Regisseur Olivier Dahan wird weder der Künstlerbiographie noch der Künstlerin selbst gerecht, sondern verheddert sich, in dem er zuviel will, und das in einer zu wenig durchdachten Form.
Natürlich machen z.B. Rahmengeschichten oder Sprünge zwischen verschiedenen Karrieremomenten gerade bei Filmbiographien Sinn. Schließlich ist kaum etwas langweiliger als eine rein chronologische Nacherzählung. Dem folgten auch die meisten erfolgreichen Vertreter der letzten Jahre, von "Ray" bis "Walk The Line", die sich dieser Kunstgriffe bedienten. Wo das in jenen Filmen aber zumeist gut durchdacht war, bleibt das Konzept hier diffus, bis man dann überzeugt ist, dass es gar kein wirkliches Konzept gibt. Denn während die Sprünge am Anfang zwischen Piafs schwerer Kindheit und ihren nicht minder schweren, von Krankheit bestimmten letzten Lebensjahren durchaus Sinn machen, werden dann in der Folge die Hüpfer immer hektischer und konzeptloser. Da gibt's dann mal fünf Minuten Piaf in den USA im Jahr 1959, dann geht es ne halbe Minute ins Todesjahr und wieder zurück zum Anfang der Karriere.
Nicht nur diese Sprunghaftigkeit stört, sondern auch, dass Dahan dabei offenbar selbst den Faden verloren hat. Während es zumindest eine komplett überflüssige Szene gibt (ein nichtssagender Ausflug in der Wüste), kommen andere Szenen und Charaktere zu kurz. So wird Piaf zum Beispiel fast ihre gesamte Weltkarriere lang von ihrem treuen Manager Louis "Loulou" Barrier begleitet - aber uns zu erzählen, wie und wo die beiden sich kennen gelernt und ihre innige Freundschaft begründet haben, hält der Film offenbar nicht für nötig. Ähnlich Piafs große Liebe zu Boxer Marcel Cerdan (der in seinem letzten Fight übrigens gegen "Raging Bull" Jake LaMotta boxte), die als emotionales Zentrum des Films geplant ist, aber durch diese Schnipselform nie überzeugen kann.
Kurzum: Es bleibt alles Stückwerk. Schlimmer noch: ein Puzzle, bei dem wichtige Teile fehlen. Denn eins ist klar: Wer nichts oder wenig über Edith Piafs Leben weiß, der wird hier auch nicht schlauer. Stattdessen wird man durch die Präsentation nachhaltig frustriert, weil die einzelnen Teile durchaus interessant aussehen und auch interessiert anzuschauen sind, aber eben auf schlechtmöglichstem Weg zusammengesetzt wurden. Denn interessant und aufregend war das Leben von Edith Piaf ohne Frage, einzig, es wird in "La Vien En Rose" nicht in passender Form präsentiert. Womit dieser Film wohl nur eingefleischten Piaf-Fans Spaß machen wird.
Auch andere Dinge stören den Filmgenuss, etwa das ständig am Rande der Hysterie stehende Spiel der meisten Darsteller. Da Piaf ein wahres Gossenkind und ihre Gesellschaft bis zum Durchbruch auch nicht gerade die Allerfeinste war, kann man ja schon nachvollziehen, dass sie und ihr Umfeld laut und wenig zurückhaltend sind. Aber das ständige Geschreie und Gekeife hier, das zumindest den ersten Filmteil beherrscht und in der zweiten Hälfte zumindest von la môme selbst beibehalten wird, zehrt schon ein wenig an den Nerven.
Der Hauptschuldige ist dann natürlich schnell ausgemacht, in Regisseur und Co-Drehbuchautor Olivier Dahan. Der war letztmals mit dem völlig misslungenen "Die Purpurnen Flüsse 2" unangenehm aufgefallen und scheint seine Fähigkeiten nicht rasend verbessert zu haben. Noch immer scheint ihm ‚Stil statt erzählerische Substanz' ein akzeptables Motto, und einem geübteren Ohr wären die teilweise arg blechernen Dialoge wohl auch aufgefallen. Schade eigentlich, denn "La Vie En Rose" hätte eine ganz feine Angelegenheit werden können, da fürs Auge einiges geboten wird. Ob das tolle Ausstattungsdesign von Oliver Raoux, die schönen Kostüme von Marit Allen oder die hervorragende Kameraarbeit von Tetsuo Nagata: alles erlesen. Und natürlich hat der Film ein absolutes Trumpfass im Ärmel, das da Marion Cotillard heißt.
Wäre dies ein amerikanischer Film über einen amerikanischen Star - Frau Cotillard könnte den Kaminsims für die Oscarstatue wohl schon freistellen. Ist es aber nicht, und damit wird es wohl nur zum französischen Äquivalent, dem César, reichen. Alles andere wäre auch frech, denn Cotillard leistet Herausragendes in der Titelrolle. Die überzogenen Manierismen von Piaf, die einzigartige Stimme - all das stellt Cotillard perfekt nach. Auch der alte Oscar-Gewinner-Trick "Mut zur Hässlichkeit" spielt hier eine Rolle, denn noch erstaunlicher wird die Verwandlung, wenn man weiß, dass Marion Cotillard eigentlich eine ausgesprochen hübsche junge Dame ist, die mit dem von ihr hier so überzeugend dargestellten Charakter überhaupt nichts gemein hat. Das ist ganz große Schauspielkunst, und Marion Cotillard ist nicht nur der Haupt-, sondern eigentlich auch der einzige Grund, sich "La Vie En Rose" anzuschauen.
Ein besonderes Lob muss in diesem Zusammenhang allerdings auch der Make Up-Abteilung gemacht werden. Wie sie Cotillard überzeugend nicht nur in die junge bis mittelalte Piaf verwandelt, sondern auch in das von Drogenmissbrauch und Krankheit schwer gezeichnete Wrack der letzten Lebensjahre - das ist ebenfalls jede Anerkennung wert. Alters-Make Up, traditionell eine der größten Herausforderungen, einmal richtig gemacht und vollkommen überzeugend. Da kann sich selbst Hollywood mal ein Beispiel dran nehmen, wenn man da so an die eher leidlichen Versuche denkt, etwa Heath Ledger und Jake Gyllenhaal gegen Ende von "Brokeback Mountain" in Männer mittleren Alters zu verwandeln.
Und dann bleiben da natürlich die Lieder, all die großen Chansons, für die man die Piaf liebte und verehrte. Das für den deutschen Titel verwendete Stück ist natürlich ebenso dabei wie "Padam" und ihr letzter großer Erfolg, der gleichzeitig als Epitaph und Lebensmotto Berühmtheit erlangte: "Non, je ne regrette rien". Wenigstens hier ist man kein Risiko eingegangen und blamiert sich nicht. Cotillard wird die Singstimme geliehen, später hört man auch Originalaufnahmen.
"La Vie En Rose" ist vor allem eins: eine verpasste Chance, einer tollen Schauspielleistung auch den gebührenden Rahmen zu verpassen. Schade, schade, schade. Da darf Herr Dahan nicht mitsingen, wenn es gegen Ende heißt "Je ne regrette rien". Denn von seiner Warte aus gibt es leider doch den einen oder anderen filmischen Fehlgriff zu bedauern. Aber la Cotillard als la môme? Formidable, magnifique, impeccable.
Neuen Kommentar hinzufügen