Ironie ist vorbei. So kann man den seit ein paar Jahren im Horrorgenre vorherrschenden Trend zusammenfassen. Nach dem im Fahrwasser von "Scream" jeder zweite Film selbstreferentiell dem Zuschauer zuzwinkerte, macht sich seit einiger Zeit wieder das bitterernste und im Ton ziemlich grimmige Grauen breit, deutlich inspiriert vom Hinterwaldhorror der 1970er Jahre. Und in die Reihe von "Wrong Turn" oder "Texas Chainsaw Massacre" kann sich ganz grob auch Alexandre Ajas "High Tension" stellen, der jetzt von McOne auf DVD veröffentlicht wird. Zumindest bitterernst und grimmig kann man ganz groß schreiben, denn ernster oder grimmiger als hier kann es gar nicht mehr werden. Nur ein Beispiel: Hier wird auch vor der Ermordung kleiner Kinder, sonst ja in Filmen unantastbar, nicht halt gemacht. Der Ruf von "High Tension" eilte schon weit voraus, und zwar nicht nur der des "besten Genrefilms, der je aus Frankreich kam". Sind ja nicht grad für ihre Wahnsinnstradition im Horrorgenre bekannt, die Käse- und Froschesser. Aber in den USA bekam "High Tension" allein aufgrund seiner äußerst unangenehmen Atmosphäre und den extremen Gewaltszenen ein NC-17 Rating. Was üblicherweise nur Pornos vorbehalten ist, denn in Sachen Gewaltdarstellung sind die Amis ja sonst nicht so. Also konnte man von "High Tension" richtig Furchteinflößendes (oder zumindest Respekteinflößendes) erwarten. Leider kann der Film dies nur ansatzweise erfüllen, was unter anderem auch an den in Sachen Gewaltdarstellung etwas anderen Gesetzmäßigkeiten hier in Deutschland liegt, aber dazu später mehr.
Der Film selbst gönnt sich nur eine knappe Viertelstunde zur Einleitung, in der die Studentinnen Marie (Cécile de France) und Alex (Maïwenn Le Besco) vorgestellt werden, die für ein Wochenende zu Alex' Eltern fahren, um dort ihre Prüfungen vorzubereiten. Dazu kommt es aber gar nicht, denn bereits in der ersten Nacht verschafft sich ein mysteriöser Fremder (Philippe Nahon) Zutritt zum Haus, und damit beginnt eine blutige Alptraumnacht, in der es an Marie ist, sich und ihre beste Freundin zu retten.
Über den Großteil seiner Laufzeit beweist Alexandre Aja in "High Tension", dass man auch altbekannten Szenen, gerade aus dem nicht gerade für Innovation bekannten Slashergenre, noch neues Leben einhauchen kann. Wichtigstes Mittel ist die exzellente Kameraarbeit von Maxime Alexandre, die geschickt mit der Vergabe und Herausgabe von Informationen spielt und auch die Klaustrophobie der verfolgten Opfer gut einfängt. Pluspunkte sind auch die beiden Hauptdarsteller Cécile de France und Philippe Nahon. De France gefällt mit kaum erwarteter Zähheit, während Nahon - schon in Gaspar Noes "Menschenfeind" der seelenlose Killer - als ständig nur undeutlich zu sehender, absolut erbarmungsloser (und dadurch übernatürlich wirkender) Killer überzeugt.
Überzeugen kann auch der Film als erbarmungsloser, dem Zuschauer keine Atempause lassender, fieser kleiner Reißer - jedenfalls bis kurz vor Schluss. Denn zehn Minuten vor dem Ende überrascht Regisseur Aja den Zuschauer eiskalt mit einer zentralen Storywendung und einem Trickende, das bestenfalls gemischte Reaktionen aufkommen lässt und definitiv die Gemüter erhitzen wird. Denn im Grunde bricht Aja schamlos sämtliches ‚Vertragswerk' zwischen Regisseur und Publikum ("Der Film lügt nicht"), um damit eine nicht vorhersehbare und auch relativ unnötige Wendung herbeizuführen, die in Ton und Stimmung dem zuwiderläuft, was der Film zuvor eineinviertel Stunden lang konsequent verfolgt hat. Denn auch wenn das Ende zumindest strukturell zu rechtfertigen ist, so macht es doch inhaltlich immer noch recht wenig Sinn und gibt auch der Homosexualität Maries einen unschönen Beigeschmack. Zumindest in der Meinung dieses Rezensenten ist das sich zwischen Hitchcock und Hooper einsortierende Ende mit seinen irritierenden parodistischen Anleihen beim "Blutgericht in Texas" ein Fehlschlag Ajas, der seinem Film eher schadet als nützt.
Neben einer Bild- und Tonqualität, an der es eigentlich nichts zu bekritteln gibt (in der französischen Originaltonspur sind die Stimmen manchmal vielleicht einen Tick zu leise), wird auch "High Tension" auf dem gewohnt hohen Niveau der Premium-Veröffentlichungen von McOne verpackt, mit schönem Pappschuber und als 2er-Disc-Set. Soweit, so gut. Auf Disc 1 gibt's noch die üblichen Auffüllartikel (Trailer, Biographien), die richtigen Extras befinden sich freilich auf der Bonusdisc. Den Anfang macht ein 36-minütiges Making Of, in dem Regisseur Aja mit Unterstützung seines Co-Drehbuchschreibers Gregory LeVasseur das Konzept des Films erklärt und ein paar Anekdoten vom Dreh preisgibt, durchsetzt von Filmszenen und Hinter-den-Kulissen-Aufnahmen. Erfreulich daran ist, dass man im Gegensatz zu vielen Making Ofs aus Hollywood hier nicht ständig noch für den Film wirbt. Dazu melden sich Frau Maiwenn, Herr Nahon und der italienische Make-Up-Spezialist Gianetto de Rossi für jeweils etwa fünf Minuten zu Wort und man kann sich eine Bildergalerie mit Fotos vom Dreh und Filmplakaten aus aller Welt anschauen. Das absolute Highlight ist aber ein gut zwanzigminütiges Interview mit Cécile de France, die sich dort so charmant und niedlich präsentiert, das man sofort hin- und weg ist. Oh la la, wirklich herzallerliebst, la chérie. Genau das Richtige nach der vorher so grimmigen Kost.
Aber damit ist auch schon Schluss mit Lustig, und zwar in mehr als einem Sinne. Grundsätzlich hat man ja Verständnis für die schwierige Situation im Zensurland Deutschland und den gerade bei einem Kleinanbieter wie McOne verständlichen Wunsch, präsent zu sein und ergo keine Indizierung der angebotenen Titel zu riskieren. Aber bei allem Verständnis: so wie hier geht es nicht. Ganz und gar nicht. Wie kann man denn einen Film mit dem Zitat "So kompromisslos wie hier wurde im Film schon lange nicht mehr gemordet" bewerben, bei dem man ebenso kompromisslos sämtliche so beschriebenen Mordszenen herausgeschnitten hat? Vom Originalfilm fehlen ca. zwei bis drei Minuten; dabei wurden nicht nur die in der Tat recht herben Gore-Szenen herausgeschnitten, sondern auch nicht gewalttätige, aber wohl in Ton und Stimmung als anstößig empfundene Szenen. Gut nachverfolgen kann man dies anhand des Making-Of, in dem sich absurderweise die diversen aus dem Film herausgeschnittenen Szenen in voller Länge bewundern lassen. Dazu sei angemerkt, dass es taktisch nicht sehr clever ist, den Zuschauer hier mit der Nase darauf zu stoßen, dass der zuvor gesehene Film massiv gekürzt wurde. Das halbwegs geübte Auge hat angesichts der ungelenken Schnitte in den betroffenen Sequenzen ohnehin schon erkannt, dass hier nachgestutzt wurde - ein Störfaktor, dem Genrefans grundsätzlich sehr entrüstet begegnen. Leider wird durch diese massiven Eingriffe auch die Wirkung des Films entscheidend geschwächt, denn die absichtlich schockierend gestalteten Morde in der ersten Filmhälfte sollen schließlich die anhaltend aussichtslose Atmosphäre der zweiten Hälfte vorbereiten. Jedenfalls ist es bei derart massiven (Selbst-)Zensureingriffen doch wohl mindestens angebracht, den Käufer mit einem Vermerk "gekürzte Fassung" irgendwo auf der Verpackung vorzuwarnen.
Deshalb nichts für ungut, liebes McOne-Team: Genial, dass Ihr uns "Donnie Darko" beschert habt. Schönen Dank für die beiden wunderbaren "Infernal Affairs". Und grundsätzlich auch sehr löblich, dass Ihr uns mit "High Tension" einen weiteren Geheimtipp bringen möchtet. Aber nicht in dieser Form. Denn auch die schönste Aufmachung nützt nichts, wenn sich darin nur ein Schnittmuster mit vermindertem Wert befindet.
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