Die vierköpfige Punkband „Ain't Rights“ – Sänger Tiger (Callum Turner), Gitarrist Pat (Anton Yelchin), Bassistin Sam (Alia Shawkat) und Drummer Reece (Joe Cole) – touren mit ihrem Van durch die USA, „old school“: Minigigs für so gut wie keine Gage, Benzinklau statt Benzingeld, Leben von der Hand in den Mund. Als ein Konzert im schönen Astoria in Portland ins Wasser fällt, verschafft der Veranstalter Tad (David W. Thompson) der Band ein brisantes Ersatzkonzert: in einem abgelegenen Schuppen voll von Skinheads und Neonazis. Der Gig selbst geht relativ gut vonstatten, aber anschließend stolpert die Band im Backstagebereich im titelgebenden grünen Raum über ein Mordopfer – und wird von den Neonazis dort kurzerhand festgesetzt. Draußen planen die Neonazis unter der ruhigen Hand des eingetroffenen Clubbetreibers Darcy (Patrick Stewart), wie sie die Band beseitigen können, drinnen rüstet sich die Band plus Amber (Imogen Poots), der Freundin des Mordopfers, für den Angriff ihrer Belagerer...
Jeremy Saulnier ist ein junger Regisseur, den man mittlerweile auf dem Zettel haben muss. Vor drei Jahren hinterließ er mit „Blue Ruin“ eine starke Visitenkarte, das Selbstjustizdrama schaffte es in Deutschland aber nur im Rahmen des Fantasy Filmfest auf ein paar Leinwände, bevor es auf Heimvideoformaten veröffentlicht wurde. Wir geben hier ausdrücklich mal einen Videotipp ab, zumindest für Zuschauer, die sehen wollen, wie Selbstjustiz und Survival aussehen, wenn der Held nicht ganz magisch Fähigkeiten im Nahkampf oder im Umgang mit Waffen bekommt, die er eigentlich gar nicht haben dürfte. Gleichzeitig hat Saulnier mit „Blue Ruin“ eine thematische Vorlage gegeben, die er nun in „Green Room“ konsequent weiterdenkt. Hier wie dort werden Normalos in blutige Ereignisse verwickelt – in „Blue Ruin“ selbstgewollt, hier mehr oder weniger fremdverschuldet – für die sie ganz eindeutig nicht vorbereitet sind, und eine große Faszination dieser beiden Filme liegt darin, diesen ungewöhnlichen Protagonisten dabei zuzusehen, wie sie irgendwie versuchen aus der immer brenzligeren Situation einigermaßen heil herauszukommen. Im Grunde genommen sind sowohl „Blue Ruin“ als auch „Green Room“ waschechte Survivalthriller.
Im Vergleich zum Vorgänger hat Saulnier sein Vorgehen noch mal verfeinert, hat etwa die Momente des Leerlaufs und der gewollten artiness, die „Blue Ruin“ zu einem Film machten, der nicht für Jedermann ist, abgemildert, ohne dabei seinen Blick darauf, was seine Protagonisten und ihre Umgebung einzigartig macht, aufzugeben. Dadurch sind gerade die Szenen, in denen es nicht brutal zur Sache geht, ausgesprochen gelungen, etwa wenn Saulnier in den ersten zwanzig Minuten in wenigen komprimierten Momenten das Leben einer jungen Band on the road und ohne Kohle einfängt. Die andere Stärke Saulniers ist, dass er ähnlich wie Kollege Jeff Nichols im sehr feinen „Midnight Special“ das Hollywood-übliche Übererzählen zugunsten des Publikums vermeidet. So entdeckt der Zuschauer bestimmte Details oder Fähigkeiten der Protagonisten für sich selbst, etwa wenn Drummer Reece auf einmal Hebelgriffe anwendet, die ihn als vermutlichen Judoka in High School-Zeiten identifizieren. Aber das wird hier eben nicht groß diskutiert, das ist halt so. Die knappe, aber liebevolle Charakterisierung wird dann auch für einen ganz lustigen Running Gag benutzt, wenn die Ain't Rights zu Anfang ihre „Bands für die einsame Insel“ benennen und diese dann im Angesicht des drohenden Todes revidieren.
Das andere Ass, das Saulnier aus dem Ärmel zieht, ist eine nochmal aufgemöbelte Besetzungsliste und natürlich der Coup, Patrick Stewart als Boss der Neonazibande zu besetzen. Nachdem Stewart ja hauptsächlich als weiser Gutmensch aus den „X-Men“- und „Star Trek“-Franchises bekannt ist, ist dies so ein bisschen sein Henry Fonda in „Spiel mir das Lied vom Tod“-Moment. Stewart gibt Darcy zudem eine eisige Kälte und Logik, die seine Figur trotz verhältnismäßig kurzer Leinwandzeit zur Wohl eindrucksvollsten hier macht. Wenn Darcy etwa der panischen Band in ruhigem Ton vorlügt, es ginge ihm nur um eine illegale Waffe, die verschwinden müsse, will man ihm fast glauben, eben weil es Patrick Stewart ist. Das ist zwar eine Art stunt casting, aber wenn das so gut gemacht ist wie hier, dann funktioniert es eben auch.
In den Reihen der Jungstars haben nicht alle ausreichend Zeit, viel Eindruck zu hinterlassen, bevor die ersten Verluste zu beklagen sind, aber ein Anton Yelchin zeigt hier trotzdem noch mal nachhaltig, warum er seit ein paar Jahren zu den besten Jungdarstellern gezählt wird, und die bisher eher nur in Nebenrollen in Erscheinung getretene Imogen Poots dürfte nach diesem Film hoffentlich auch dem ein oder anderen im Gedächtnis bleiben, und das nicht nur wegen ihrer Skinbrautfrisur. Und letztlich muss man auch Macon Blair, den damaligen Hauptdarsteller aus „Blue Ruin“ hervorheben, der hier abermals erinnerungswürdig den in der Nahrungskette der Nazis eher im unteren Bereich angesiedelten Gabe spielt.
„Green Room“ lebt nach der Etablierung der Belagerungssituation vor allem von den parallelen Vorbereitungen beider Seiten auf die unausweichliche Konfrontation. Während die verängstigten Bandmitglieder improvisieren müssen, um Waffen oder eine Fluchtstrategie zu bekommen, setzen die Neonazis unter Darcys Führung strategisch und mit an ihre Vorbilder erinnernder brutaler Logik ihren Plan um, die Band verschwinden zu lassen, ohne all zu viele unbequeme Fragen gestellt zu bekommen. Das ist sehr spannend anzusehen, wird zudem von Saulnier noch mit der ein oder anderen Überraschung angereichert, wie etwa dem Nebenstrang um den Neonazi Daniel, dessen Punkbruder die Band unwissentlich in die Misere geschickt hat.
„Green Room“ ist eine kleine aber feine und vor allem ziemlich fiese Keule von einem Survivalthriller, der sich wohltuend von den Erwartungen und Klischees dieses Subgenres absetzt und daher auch eine deutlich niedrigere Vorhersehbarkeit als ähnliche Genreware für sich verbuchen kann. Ein ganz klarer Geheimtipp für Freunde des härteren Films und solche, die es vielleicht noch werden wollen.
PS: Es ist vielleicht nur ein Zufall, aber es fällt natürlich auf, dass Saulnier zwei thematisch ähnlich gelagerte Filme gemacht hat, die jeweils eine Farbe und ein einsilbiges Wort mit R im Titel haben. Gibt es da vielleicht eine Trilogie und wir können uns demnächst auf „White Ride“, „Red Rain“ oder „Yellow Raid“ freuen? Das wäre doch eine Überlegung wert...
PPS: „Green Room“ verzichtet zwar auf explizite Splatter- oder ausgewalzte Gewaltszenen und setzt stattdessen lieber auf kleine, aber wirkungsvolle Gewaltspitzen. Wie dieser Film aber mit einer Freigabe ab 12 (!) davongekommen ist, weiß wiederum nur die diesmal ausgesprochen großzügige FSK...
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