Regisseure mit eigenem, unverkennbarem Stil findet man im heutigen (Mainstream-)Kino immer seltener, denn durch die aktuelle Superhelden- und Sequel-Politik rückt die individuelle Arbeit des Regisseurs/der Regisseurin oftmals hinter den angestrebten Einheitslook des jeweiligen Franchise (die kontrovers diskutierte „Star Wars“-Interpretation von Rian Johnson stellt dabei eine Ausnahme dar). Die Arbeit des britischen Regisseurs Guy Ritchie („Snatch“, „Bube, Dame, König, GrAs") lief ebenfalls Gefahr, sich diesem Prinzip unterzuordnen: Mit seinen letzten beiden Filmen „Aladdin“ und „King Arthur“ sorgte Ritchie für viel Gesprächsstoff in der Fangemeinde und einer ebenso großen Spaltung unter den Kritikerstimmen. Dass Ritchie dazu in der Lage ist, einen eigenen Stil zu verfolgen haben indes Filme wie der 2000 erschienene „Snatch“ , sowie der 2015 erschienene „Codename U.N.C.L.E“ eindrucksvoll und mit viel britischem Humor unter Beweis stellen können, wodurch Ritchie zum Kult-Regisseur avancierte.
Mit seinem neuesten Film „The Gentlemen“ versucht Ritchie wieder zu alter Stärke zu finden und widmet sich dafür seinem favorisierten Genre: Der Thriller-Komödie. Und er hat dabei jede Menge Stars im Gepäck. Neben Matthew McConaughey dürfen unter anderem Charlie Hunnam, Michelle Dockery, Hugh Grant sowie Colin Farrell und Jeremy Strong ihre schauspielerischen Fähigkeiten zum Besten geben. Die erzählerische Ausgangssituation in Verbindung mit dem eindrucksvollen Cast tun den durchaus hohen Erwartungen keinen Abbruch - ganz im Gegenteil: Die Rückbesinnung zu zwielichtigen, ambivalenten Figuren im mafiösen Milieu versprechen einen Guy Ritchie in Höchstform.
Erzählt wird die Geschichte des Drogenbarons Mickey Pearson (Matthew McConaughey), der sein kriminelles Marihuana-Imperium an den US-Milliardär Matthew Berger (Jeremy Strong) aus Oklahoma verkaufen und sich in den Ruhestand verabschieden will. Die Nachricht macht in der Szene schnell die Runde und Mickey Pearson wird zur Zielscheibe und zum Objekt der Begierde unter den hochgradig dubiosen Branchen-Konkurrenten, die allesamt das große Geld wittern und nicht vor rabiaten Vorgehensweisen halt machen.
Ritchie hat mit „The Gentlemen“ einen selbstreferentiellen Film gedreht, der sich – ähnlich wie Tarantinos „Once Upon A Time… in Hollywood“ – wie ein Spätwerk anfühlt. Die Handlung wird innerhalb des Films wie die Nacherzählung eines Drehbuchs inszeniert, vor allem die von Hugh Grant verkörperte Figur des korrupten Privatdetektivs Fletcher spielt hier eine entscheidende Rolle: Immer wieder kommentiert er das Geschehen aus Sicht eines Regisseurs. Diese postmodernen Einschübe äußern sich ebenfalls durch einen offenen Umgang mit dem Medium Film und finden im Finale ihren Höhepunkt. Was man grundsätzlich von selbstreferentiellen Kino halten mag, sei jedem selbst überlassen, jedoch schlägt Ritchie in „The Gentlemen“ hier und da etwas über die Stränge und reizt diese Aspekte wirklich bis zum Äußersten aus, anstatt einen eher subtileren Ansatz zu wählen.
Die gezeigte Handlung ist eng an die Erinnerungen einzelner Figuren gebunden, weshalb es sich stets um unzuverlässige Erzähler handelt. Ritchie inszeniert seinen Plot wie ein Spiel mit der Wahrheit, was der ohnehin schon wahnwitzigen Grundprämisse eine weitere Unterhaltungsebene hinzufügt. In typischer Krimi-/Action-Manier spitzt sich die Handlung immer weiter zu und die Motive der Figuren scheinen von Minute zu Minute klarer zu werden, ehe mit einem neuen Twist wieder alles über den Haufen geworfen wird. Zwar versteht es Ritchie, an den richtigen Stellen neue Handlungsimpulse zu geben, gerade in den Schlussminuten jedoch übernimmt sich die Erzählung mit all ihren Strängen ein wenig, was leider dazu führt, dass sich gegen Ende auch die letzten Ansprüche auf Ernsthaftigkeit in Luft auflösen.
Grundsätzlich darf und sollte bei einem Guy Ritchie-Film auch nichts anderes erwartet werden, der bereits angesprochene selbstreferentielle Ansatz sowie vereinzelte Kommentare über die gesellschaftliche Situation in den englischen Armenvierteln suggerieren jedoch über weite Teile des Films, dass Ritchie einen tiefergehenden Anspruch verfolgen könnte, was sich letztlich leider nur in sehr geringem Maße vorfinden lässt.
Eine von Ritchies großen Stärken findet sich auch in „The Gentlemen“ wieder: Abgedrehte, unterhaltsame, lässig-coole Charaktere. Dass aber ausgerechnet Hugh Grant mit seiner Rolle des schmierigen und eigenwilligen Privatdetektivs Fletcher aus dem fulminant besetzten Cast hervorsticht, erweist sich dann doch als kleine Überraschung. Hugh Grant ist die Spielfreude an dem extrovertierten und notorisch fluchenden Fletcher zu jeder Minute anzumerken – womöglich weil sich diese Figur beinahe konträr zu den Charakteren verhält, auf die er sonst abonniert ist.
Aber auch der weitere Cast kann – bis auf ein paar kleine Ausnahmen – überzeugen, obschon nahezu alle Figuren recht eindimensional und stereotypisiert gezeichnet sind. Durch das hohe Erzähltempo und die Dichte an Charakteren bleibt wenig Zeit für eine feinfühlige Ausarbeitung der Figuren. Meist genügt ein Spitzname, um die Eigenschaften eines Charakters verständlich zu machen. Allerdings bedient sich Ritchie hier auch einiger fragwürdiger Stereotype, was die Herkunft seiner Figuren betrifft.
"The Gentlemen" bietet keine klare Identifikationsfigur an, einen wirklichen Sympathieträger bleibt er dem Publikum schuldig. Dadurch ergibt sich das Prinzip des „morally preferable characters“: Welcher Charakter ist das geringste Übel und somit die Identifikationsfigur für den Zuschauer? Die mit dieser Frage einhergehende Ambivalenz verleiht der Handlung einen besonderen Reiz – zumal auch auf erzählerischer Ebene immer wieder mit der Grenze zwischen Gut und Böse gespielt wird.
Hinsichtlich der Dialoge schwankt „The Gentlemen“ zwischen toll geschriebener Unterhaltung und anstrengender Übertreibung: Nahezu jeder Dialog besteht aus ambitionierten Allegorien und Metaphern, die mal mehr und mal weniger gelungen daherkommen. Einige Höhepunkte ergeben sich daraus aber dennoch: Gerade wenn Charlie Hunnam mit seiner Sauberkeitsneurose versucht, minderjährige Junkies davon zu überzeugen, seinen Befehlen Folge zu leisten, befindet sich Ritchie mit seiner Dialogarbeit auf absoluter Höchstform. „The Gentlemen“ sollte jedoch – falls möglich – unbedingt im Original geschaut werden. Beinahe jede Figur ist mit einem eigenen Akzent und Dialekt ausgestattet, was den Dialogen einen besonderen Charme verleiht. Hinzu kommen außerdem ein buntes Szenenbild sowie ein großartiges Kostümdesign, was „The Gentlemen“ zwar wenig substance aber ungemein viel style verleiht.
Guy Ritchie entwirft (endlich mal wieder) Wohlfühlkino für Liebhaber der stilsicheren Charakter- und Action-Inszenierung, das zwar immer wieder etwas überambitioniert daherkommt, insgesamt jedoch großen Unterhaltungswert bietet. Die Rückkehr zu seinen Ursprüngen tut dem Gesamtwerk des britischen Regisseurs und Drehbuchautors augenscheinlich gut und sorgt für ein kurzweiliges und angenehm unkonventionelles Kinoerlebnis.
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