Die Liebesfälscher

Originaltitel
Copie conforme
Jahr
2011
Laufzeit
106 min
Genre
Release Date
Bewertung
9
9/10
von Patrick Wellinski / 13. Oktober 2011

Da dies ein Film über zufällige Irritationen, über die Ausstrahlung eines Originals und die Verwechselbarkeit einer Kopie ist, sollten wir erstmal vom deutschen Verleihtitel ein bisschen Abstand nehmen. Ohne allzu kleinlich zu wirken: In Abbas Kiarostamis „Die Liebesfälscher“ geht es eben nicht um das suggerierte Fälschen, also das bewusste Nachahmen von Dingen zu Betrugszwecken. Die LiebesfälscherDer Iraner hat ein - wie es der Originaltitel „Copie Conforme“ viel besser auf den Punkt bringt - überaus komplexes und gleichzeitig sehr subtiles Verwirrspiel über das Authentische einer Liebesbeziehung inszeniert, das ganz nebenbei auch noch die Erinnerung an die stärkste Zeit des europäischen Autorenkinos wachruft.

In seinem ersten vollständig in Europa gedrehten Film lässt Kiarostami einen Mann und eine Frau durch die malerische Landschaft der Toskana fahren und wandern. Eine Französin (Juliette Binoche) besucht eines Tages die Buchvorstellung eines englischen Schriftstellers (William Shimell) in einer italienischen Kleinstadt. Sie mag sein Buch. Sie will mit ihm nach der Lesung sprechen. Und so ziehen die beiden los und reden, einen Tag lang, während die Spätsommersonne die Umgebung in zarte Terrakottafarben taucht.

Es dauert auch nicht lange, da werden im Dialog die ersten Risse deutlich. Fragen beginnen sich zu häufen: Sind sich die beiden wirklich fremd? Handelt es sich nicht viel eher um ein Ehepaar, das sich nun nach langer Zeit endlich die Verfehlungen des anderen an den Kopf wirft? Zwischen diesen Polen pendelt der Inhalt des Films, und das macht er derart filigran und unauffällig, dass man inständig hofft, die Macher wissen um den großen Wurf, den sie hier geschaffen haben.

Die LiebesfälscherKiarostami lässt sein Pärchen durch malerische Zypressen-Alleen laufen, geht mit ihnen in Museen, lässt sie auf Hochzeitspärchen treffen und in Restaurants Krisen durchleben – und in jeder Szene spiegelt sich die Ausgangsfrage: Kann die Kopie einer Beziehung den Status einer wahren, sprich originalen entwickeln? Ein sehr schönes Gleichnis hierfür inszeniert der Regisseur in der Szene, in der die beiden in einem Museum vor einem Mariengemälde stehen. Sie schließen sich ganz dreist einer Touristengruppe an, die gerade die Geschichte dieses Kunstwerkes erzählt bekommt. Jahre lang glaubte man, das ausgestellte Stück sei das Original. Als sich nach dem Zweiten Weltkrieg herausstellte, dass diese Maria „nur“ eine Kopie sei, wollte man das Original ausstellen. Doch die Menschen des Ortes waren dagegen. Für sie war die Kopie das wahre Original, weil es für sie und ihre Erinnerung mittlerweile einen viel authentischeren Wert erlangt hatte. So scheint in „Die Liebesfälscher“ in jedem sorgfältig ausgearbeiteten Detail die Grundidee des Films durch, ohne sich jemals plump als verkopftes Konstrukt seiner Macher zu offenbaren.

Das gelingt dem iranischen Meisterregisseur auch deshalb, weil er eine umwerfend tiefgreifende Kenntnis der europäischen Filmgeschichte besitzt und sich von dieser in seiner Inszenierung hat leiten lassen. Anstatt seinen poetisch-minimalistischen Stil in einen europäischen Kontext einzubetten, lässt er sich von den Geschichten und Bildern leiten, die wir an diesen Orten schon mal gesehen haben. Es ist daher sicherlich kein Zufall, dass Kiarostami mit Juliette Binoche eine der wichtigsten Darstellerinnen des Die Liebesfälschereuropäischen Autorenkinos besetzt hat. Sie stand in ihrer Karriere nicht nur vor der Kamera der großen französischen Regisseure wie Jean-Luc Godard, André Téchiné oder auch Jacques Doillon, sondern auch beim Polen Krzystof Kieslowski oder dem Briten Anthony Minghella. Sie ist für Kiarostami nicht nur eine geniale Darstellerin, sondern ein Gesicht, das viele Geschichten erzählt, viel mehr als sie sein Film zu erzählen vermag. Auch deshalb betrachtet er sie einmal Minuten lang beim Schminken.

Es geht in „Die Liebesfälscher“ also auch um die Erinnerung und die Sehnsucht nach einer anderen Art des Geschichtenerzählens. So fühlt man sich bei Abbas Kiarostami ständig an Roberto Rossellinis „Reise in Italien“ und Alains Resnais' „Letztes Jahr in Marienbad“ erinnert, ohne dass der Regisseur dafür zu offensichtlichen Zitaten greifen müsste. Bei Rossellini reisten Ingrid Bergmann und George Sanders durch Italien, als Ehepaar, das spätestens am Vesuv die Vergänglichkeit ihrer längst kaputten Ehe erfahren musste. Und Resnais' Film war der inständige Versuch allein durch die Erinnerung an die einstige Wucht einer vergangenen Liebe zu gelangen und sie so zu rekonstruieren.

Und es wären noch sicherlich ganz andere Verweiswerke zu nennen, die einem in den Sinn kommen, während man Binoche und Shimell dabei beobachtet, wie sie um die eigene Position in dieser improvisierten Beziehung ringen. Aber das alles ergibt nun mal den Gesamteindruck, den der Rezensent für sich mit dem Etikett „Bester Film des Jahres“ markiert hat. Es muss wohl erst ein Iraner kommen und einen Film mit einer Französin und einem englischen Opernsänger in Italien drehen, um uns hier auf dem alten Kontinent endlich wieder daran zu erinnern, dass auch in Europa einmal Filme gedreht wurden, die noch etwas essentielles über uns, unser Verhalten und die Welt, durch die wir wandern, zu erzählen hatten. Wenn das mal keine große Leistung ist.

Bilder: Copyright

4
4/10

Tolle Kritik des Films. Mir haben die langen umständlichen Dialogszenen nicht gut gefallen, wenn sie auch durch Binoches hervorragende Schauspielleistung schön anzusehen waren. Die Hinweise auf Rossellinie und Resnais sind mir wertvoll, werde mir die Filme noch mal vornehmen,
Ich habe in meinem Blog Movie-gesindel auf Eric Rohmer verwiesen, dessen Sommeridyllen sich mir aufdrängten. Der persische und französische, sicher auch italienische Titel paßt hervorragend, warum im Deutschen nicht entsprechendes wie "originalgetreu".

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