
Der Legende nach kennt man sie heute als die "Blutgräfin": Die ungarische Gräfin Erzebet Bathory (1560-1614) soll von der Idee besessen gewesen sein, das Blut jungfräulicher Mädchen verhelfe ihr zu ewiger Jugend und Schönheit. Reihenweise habe sie angeblich junge Mädchen umbringen lassen, um ihren eigenen Körper durch deren Blut jung zu halten. So weit jedenfalls die Legende, an der sich Julie Delpy in ihrer zweiten Regiearbeit nach "2 Tage Paris" orientiert, bei der sie zudem die Hauptrolle übernommen, das Drehbuch geschrieben und die Filmmusik komponiert hat.
"Die Gräfin" beginnt mit einem Schnelldurchlauf durch die Kindheit der Protagonistin. Schon früh wird die junge Erzebet dazu erzogen, ihre Gefühle hinter einer sterilen Fassade zu verbergen und keinerlei Schwächen zu zeigen. Bereits als Kind macht sie sich Gedanken über das Altern, den Tod und die Vergänglichkeit allen Lebens und beginnt, eine starke Abneigung gegenüber dem unweigerlich fortschreitenden "Verrotten" des menschlichen Körpers schon zu Lebzeiten zu entwickeln. Anschließend springt die Geschichte ins Erwachsenenalter der Gräfin, die nun verheiratet ist und drei Kinder hat. Kurz nachdem ihr Mann nach der Rückkehr von einem Feldzug stibt, lernt sie den fast 20 Jahre jüngeren Istvan Thurzo (Daniel Brühl) kennen und verliebt sich in ihn. Die beiden beginnen eine Affäre, womit sie jedoch das Missfallen von Istvans Vater, Graf Gyorgy Thurzo (William Hurt), erregen. Um seinen Sohn von der Gräfin fernzuhalten, schickt er ihn ins Ausland. Erzebet erfährt davon nichts und glaubt, Istvan habe das Interesse an ihr verloren und sich in eine andere, jüngere Frau verliebt. Sie steigert sich immer mehr in ihren Schmerz hinein und greift schließlich zu drastischen Mitteln, um ihrem alternden Körper seine jugendliche Schönheit wieder zu geben.
Julie Delpy porträtiert Gräfin Bathory als mächtige Frau, die sich in einer von Männern dominierten Gesellschaft Respekt und Reichtum erarbeitet hat, als Preis dafür jedoch ihr Innenleben vor der Außenwelt verschließen muss. Delpys Drehbuch sowie ihr Schauspiel zeigen die äußerliche Stärke der Gräfin ausgiebig in ihrer fehlenden Wärme und Herzlichkeit beim Umgang mit Anderen. Hinweise auf ihr Innenleben erhält der Zuschauer aber lediglich in Form eben jener dazu komplementären Sehnsucht nach mehr Nähe und Geborgenheit, die in der kurzen, aber intensiven Beziehung zu Istvan zum Ausdruck kommt. Davon abgesehen gibt der Film kaum Aufschluss darüber, was sich hinter ihrer starren Fassade verbirgt. Die zu Beginn gegebenen Einblicke in Erzebets Kindheit sollen in Verbindung mit der relativ knapp geschilderten Liebesgeschichte wohl ausreichen, um die emotionalen Schmerzen der Gräfin nachvollziehen zu können und einen Grund für ihre bald folgenden, grausamen Taten zu liefern.
Leider geht diese Gleichung aber nicht ganz auf. Denn obwohl hier alle Darsteller in ihren Rollen vollkommen überzeugen können, reicht der Einblick in das Denken und Fühlen der Hauptfigur, den Delpys Schilderung der Ereignisse bietet, nicht ganz aus, um Erzebet Bathory als lebendige und vielschichtige Figur zu erleben, an der man über 90 Minuten echtes Interesse entwickeln kann. Die Schlussfolgerung, dass unerwiderte Liebe in Verbindung mit der Angst vor dem Älterwerden zu Schönheitswahn und schließlich in die Verrücktheit führt, erscheint ein wenig zu einfach, um vollkommen glaubhaft zu wirken. Da die Darstellung der Gräfin aber weitestgehend auf diese Kette von Ereignissen beschränkt bleibt, berührt einen die Geschichte um den tragischen Werdegang der Bathory nicht so sehr, wie das wohl von Delpy beabsichtigt ist.
Die Frage, wie weit Bathory für ihr Ziel, Jugend und Schönheit zu erlangen, schließlich gehen wird, verleiht dem Film dennoch einen sich langsam aufbauenden Spannungsbogen. Im Verlauf des Films werden die grausamen Morde, die die Gräfin begehen lässt, jedoch nur angedeutet und ein Splatter-Festival darf man hier freilich nicht erwarten; Blut bekommt man nur wenig zu sehen. Dasselbe gilt leider auch für Daniel Brühl und William Hurt, deren Leinwandzeit ruhig etwas üppiger hätte ausfallen können, um ihre Figuren stärker in die Geschichte einzubinden und auch ihnen mehr Tiefe zu verleihen.
Mit dem heute wohl mehr denn je um sich greifenden Jugend- und Schönheitswahn bedient sich Julie Delpy eines zeitlosen Themas und geht in ihrem Film zudem am Rande auch noch auf die Gleichberechtigung der Geschlechter, Homosexualität und Sadomasochismus ein. Damit verpackt sie moderne Themen in eine mittelalterliche Geschichte, die aber leider etwas zu oberflächlich bleibt, um wirklich in allen Facetten überzeugen zu können.
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