"Dem Himmel so fern" ist ein Film, wie sie heutzutage nicht mehr gemacht werden. Das ist kein melancholisches Urteil über den qualitativen Niedergang der heutigen Kinolandschaft, sondern eine Tatsache, denn "Dem Himmel so fern" ist vor allem eine Stilübung, die den Geist klassischer amerikanischer Gesellschafts-Melodramen der 50er Jahre aufleben lassen will. Diese sehr stark in den sozialen Situationen und Gepflogenheiten ihrer Zeit verwurzelten Filme sind so etwas wie die Urahnen aller heutigen TV-Soaps, denn sie definierten den Stil der dramatischen Überhöhung: nirgendwo litten die Protagonisten so sehr wie hier, kam Selbstaufopferung so tragisch daher, war gesellschaftlicher Druck so verheerend für das Glück des Einzelnen. Alles war geradezu hyperreal, und das schlug sich vor allem im Stil nieder: überall leuchtende Farben übers ganze Spektrum des Technicolor, schwelgende Kamerafahrten getrennt durch sanfte Schnitte, Dialoge wie aus dem Lehrbuch des Alltags-Knigge. Diese Theatralik schlug sich auch in den Titeln nieder, so dass die berühmtesten Werke dieser Ära Namen wie "All that Heaven allows", "Written on the Wind" oder "There's always tomorrow" trugen (dies übrigens alles Filme des stilprägenden Melodrama-Regisseurs Douglas Sirk, geboren in Hamburg als Detlef Sierck, der zusammen mit dem Rest der deutschen künstlerischen Elite vor den Nazis nach Amerika flüchtete und quasi im Alleingang dieses Genre prägte).
Dieser kleine filmhistorische Exkurs ist notwendig, wenn man "Dem Himmel so fern" überhaupt richtig verstehen will, denn Regisseur Todd Haynes versuchte hier eine detailversessene Ode an dieses verstorbene Genre, die einerseits zwar bravourös gelungen ist, andererseits aber relativ befremdlich wirken dürfte, wenn man sich ihr mit einem heutigen Kinoblick nähert. Die Regeln des Melodramas und seiner Inszenierung haben sich in den letzten 50 Jahren geändert, so dass "Dem Himmel so fern" in undifferenzierter Betrachtung notwendigerweise antiquiert und unecht wirkt.
Gerade dieser Bruch ist jedoch die volle Absicht von Haynes' filmischem Experiment, der vollkommen unironisch den Geist der 50er Melodramen aufzuwecken weiß, gleichzeitig jedoch Grenzen überschreitet, über die sich damals niemand wagen konnte, denn "Dem Himmel so fern" ist eine Geschichte vom Kampf mit gesellschaftlichen Tabubrüchen, wie sie in den spießigen 50ern nur leise angedeutet, aber nicht ausgesprochen werden durften. Hauptfigur ist die Bilderbuch-Hausfrau Cathy Whitaker (Julianne Moore wieder einmal grandios), die mit erfolgreichem Ehemann und zwei Kindern den amerikanischen Vorstadt-Traum verwirklicht und geradezu wie aus einem Werbeprospekt für "Schöner Leben" ausgeschnitten wirkt. Diese Idylle bricht nach und nach zusammen, als ihr Gatte Frank (Dennis Quaid) seine unterdrückte Homosexualität nicht mehr zu kontrollieren weiß und sich die Whitakers mit etwas auseinandersetzen müssen, was in den 50ern noch als therapierbare Krankheit angesehen wurde. Von ihrem Mann immer mehr entfremdet, findet Cathy Freundschaft und Halt bei ihrem eloquenten Gärtner Raymond Deagan (Dennis Haysbert). Der ist jedoch schwarz, und so führt bereits eine einzige ungezwungene Plauderei in der Öffentlichkeit zu bösen Gerüchten und schiefen Blicken.
So offen wie hier konnte in keinem 50er Film mit den Themen Homosexualität und Beziehungen zwischen Schwarz und Weiß umgegangen werden, im Geiste dieser Zeit und ihrer Filme kommt Haynes jedoch zu demselben Schluss: Bei allen gesellschaftlichen Restriktionen und Regeln ist es zumindest den Männern noch möglich, ein neues Leben anzufangen und sich von alten Wurzeln zu lösen. Frauen jedoch bleiben zu jeder Zeit Opfer des indoktrinierten sozialen Kodex, müssen stets den schönen Schein waren, können nie wirklich sie selbst sein und sind deshalb immer die tragischen Verlierer.
Inhaltlich geht "Dem Himmel so fern" weiter, als es originalen 50er Melodramen möglich war, stilistisch bleibt er ihnen fast bis ins kleinste Detail treu: Farben, Kamerabewegungen, Schnitte, Dialoge, Musik, selbst die Closing Credits sind absolut stilecht aus den Vorbildern übernommen und kreieren in ihrer Gesamtwirkung nicht nur den oben beschriebenen typischen Hyperrealismus der zitierten Filme, sondern machen "Dem Himmel so fern" so auch zum wohl konsequentesten "period piece", das es im Kino je zu sehen gab: Dies ist gleichzeitig ein Film der 50er, ein Film über die 50er, und ein Film über die Filme der 50er.
Todd Haynes macht alles richtig und liefert hier eine wundervolle Detailarbeit ab, da es bei "Dem Himmel so fern" aber mindestens genauso sehr (wenn nicht mehr) darum geht, wie er gemacht wurde, als wovon er handelt, wird gerade dies zu seiner Krux: Denn man kann bei aller Begeisterung für die Umsetzung nicht leugnen, dass sich der Film in gewisser Weise in sich selbst verliert. Selbst wenn man ganz richtig feststellt, dass "Dem Himmel so fern" eines der besten und beispielhaftesten 50er Melodramen ist, so kann er für diesbezüglich noch unbedarfte Zuschauer trotzdem nicht sein eigener Referenzrahmen sein. Einfacher gesagt: Wer noch nie wenigstens einen der hier kopierten Filme gesehen hat, wird die eigentliche Leistung dieses Werks nicht wirklich nachvollziehen können.
So traurig das ist: "Dem Himmel so fern" schließt ganz automatisch ein filmhistorisch nicht entsprechend vorgebildetes Publikum aus, und kann sich daher auch nicht wirklich eine Höchstwertung verdienen. Dennoch sei der Film auch Nicht-Kennern von Douglas Sirk und Konsorten wärmstens empfohlen, einerseits als sehr passender Einstieg ins Melodrama-Genre, andererseits als schlichtweg großartig inszenierter und gespielter Film, der sich jenseits seiner eigentlichen Thematik allein fürs Handwerk jedes Lob verdient hat.
Originaltitel
Far from heaven
Land
Jahr
2002
Laufzeit
107 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
Bilder: Copyright
Concorde Film
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