Groß war die Kritik, die Politik, Medien, Pharmaindustrie und der Weltgesundheitsorganisation WHO entgegen schlug, als es darum ging, Schweinegrippe, Vogelgrippe und EHEC in die rechte Größenordnung zu bringen. Folgte man der Berichterstattung, konnte durchaus der Eindruck entstehen, die Menschheit stehe am Abgrund. Nach wenigen Monaten war dann von der einstigen Panik(mache) nicht mehr viel zu spüren. Einzig die Massen an Impfstoffen, auf denen die Arztpraxen sitzen geblieben waren, zeugten noch vom Virus-Alarm. Regisseur Steven Soderbergh hat die reale Story nun in fiktiver Form weiter gesponnen und ein Szenario entworfen, in dem Millionen von Menschen tatsächlich einer Seuche zum Opfer fallen – und das binnen weniger Tage.
Als Beth Emhoff (Gwyneth Paltrow) von einer Geschäftsreise aus Hongkong nach Minneapolis zurückkehrt, fühlt sie sich krank. Kopfschmerzen, Übelkeit, Fieber. Nichts Ernstes. Doch zwei Tage später ist sie tot. Ebenso wie ihr fassungsloser Mann Mitch (Matt Damon) stehen die Ärzte vor einem Rätsel. Es bleibt nicht beim mysteriösen Einzelfall: Auch in Hongkong und Chicago, einer Zwischenstation von Beths Flug, sterben Menschen, die vor wenigen Tagen noch kerngesund waren. Die Anzahl der Opfer erhöht sich rasant und zwar in Metropolen auf dem gesamten Planeten. Dr. Ellis Cheever (Laurence Fishburne) von der amerikanischen Seuchenbekämpfung sucht nach dem Ausgangspunkt der Krankheit und gleichzeitig nach einem wirkungsvollen Gegenmittel. Seine jüngere Kollegin Dr. Erin Mears (Kate Winslet) fliegt ebenso wie Dr. Leonora Orantes (Marion Cotillard) von der Weltgesundheitsorganisation um die halbe Welt, um das Ausmaß der Katastrophe zu erfassen. Und der selbstverliebte Blogger und selbsternannte Journalist Alan Krumwiede (Jude Law) bringt eifrig Verschwörungstheorien unters Volk. Die Angst vor dem Virus schlägt weltweit in Panik um, Plünderungen und Überfälle sind keine Seltenheit mehr. Und ein Impfstoff, der immer noch nicht gefunden ist, bräuchte Monate, um in Massenproduktion gehen zu können....
Selten zuvor hat man eine Oscar-Preisträgerin, die zudem auf dem Filmplakat mit Namen und Gesicht für sich wirbt, so schnell wieder von der Leinwand verschwinden sehen. Nach zehn Minuten ist Gwyneth Paltrows Einsatz beendet und spätestens jetzt weiß jeder, dass es Soderbergh ernst meint mit seinem Virus. In rasantem Tempo hetzt der Kult-Regisseur durch Städte, Einzelschicksale und Behörden, deren Namen man sich im Einzelnen nicht merken muss, die aber ein klares Bild von der globalen und komplexen Gemengelage zeichnen. Während die Musik die Handlung pulsierend vor sich hertreibt, wächst die Zahl jener, deren Puls nicht mehr schlägt, bald in den siebenstelligen Bereich. Riesige Turnhallen werden angemietet, um die Infizierten unterzubringen. Irgendwann müssen die Amerikaner Leichensäcke in Kanada nachbestellen, da der eigene Vorrat erschöpft ist.
Nach seinem rasanten Einstieg dreht Soderbergh Schritt für Schritt an der Eskalationsstufe, ohne jemals richtig vom Tempo zu gehen. Allein die Vielzahl seiner Protagonisten ermöglicht es ihm, die Handlung zügig voranzubringen. Während Ärzte, Forscher und selbst der etwas paranoide Blogger nach dem Impfstoff suchen, taugt der von Matt Damon gespielte Durchschnitts-Mann Mitch als emotionaler Fixpunkt. Im Gegensatz zu ihm selbst ist sein Kind nicht immun gegen den Virus, und muss daher beschützt werden – insbesondere vor Kontakten jeglicher Art mit anderen Personen, aber auch vor einer Gemeinschaft, die sich zunehmend der Anarchie preisgibt und menschliche Werte – sofern Zusammenhalt einer davon ist – in Vergessenheit geraten lässt.
Soderberghs weniger als Horror-Thriller, vielmehr als Drama konzipiertes Schaulaufen zahlreicher Oscar-Preisträger und -Nominierter (und des Deutschen Armin Rohde in einer kleinen Rolle) nimmt den einen oder anderen Schritt zu schnell, bleibt aber stets glaubwürdig und wohl auch realistisch. Vereinzelt erreicht „Contagion“ eine Intensität unangenehmen Ausmaßes. Allerdings hält Soderbergh leider auch Maß; nie wird es so bedrückend, so schockierend, dass man hinterher ernsthaft in Versuchung gerät, seinen Umgang mit anderen Menschen gründlich zu hinterfragen. Für die Dauer seiner Laufzeit funktioniert „Contagion“ hervorragend – aber auf Dauer in Erinnerung bleibt er nicht.
PS: Damit das mit dem Nicht-in-Erinnerung-bleiben auch bei kleinen Kindern in Bezug auf die aufgeschnittene Schädeldecke von Gwyneth Paltrow der Fall ist, sollten Eltern von der Möglichkeit, Kinder ab sechs Jahren in ihrer Begleitung mit in diesen FSK-12-Film zu nehmen, keinen Gebrauch machen.
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