Code 46

Originaltitel
Code 46
Jahr
2004
Laufzeit
92 min
Bewertung
von Simon Staake / 16. November 2010

So viele Filme leiden an Ideenlosigkeit, "Code 46" weiß dagegen gar nicht wohin mit all den Ideen. Das Drehbuch vereint so viele Einfälle, zum Teil nur als dahin geworfene Details, dass es gar nicht alles erklären oder aufklären kann. Einige Zuschauer wird dies vielleicht frustrieren, genau wie der langsame, nachdenkliche Erzählstil und die kühle Inszenierung. An all diesen Dingen schieden sich beim amerikanischen Kinostart von "Code 46" die Geister (der deutsche Kinostart war leider quasi nicht existent), von Begeisterung bis Verriss und viel dazwischen waren alle Meinungen vertreten. Eins aber ist klar: Wer mit den richtigen Erwartungen an diesen Film herangeht, der wird nicht enttäuscht werden. Denn "Code 46" ist intelligente Science-Fiction, die statt auf Action oder Effekte auf Atmosphäre und Ideen setzt. Wem also "Solaris" oder "Gattaca" gefiel, der wird hier auch fündig werden. Denn obgleich sich einige Details dieser von Drehbuchautor Frank Cotrell Boyce gut durchdachten Welt vielleicht erst beim zweiten Anschauen erschließen, so ist schon nach kurzer Zeit klar: Diese Zukunftsvision ist konsequent aus der jetzigen Zeit fortentwickelt und in sich stimmig.

Bestes Beispiel ist die in der abgebildeten Welt gesprochene Sprache. Englisch hat sich endgültig durchgesetzt, dabei aber alle anderen Sprachen assimiliert, was sich in Bruchstücken aus Spanisch, Französisch, Mandarin und Arabisch widerspiegelt. Diese Entwicklung scheint - im Gegensatz zu vielen anderen Zukunftsfilmen, in denen es bizarre Entwicklungen gibt - durchaus logisch und konsequent, wie auch die gezeigten Folgen des Ozonlochs. In der Welt von "Code 46" findet das Leben nachts statt, während man tagsüber schläft, denn die unbarmherzige Sonne ist der ärgste Feind. In einer der bemerkenswertesten Szenen des Films laufen die Protagonisten unter dem Schutz ihrer Jacken - aber es ist nicht der Regen, vor dem sie sich schützen, sondern die gleißende Sonne. Und so setzen sich die guten und glaubwürdigen Ideen zu einer nahen Zukunft fort, darunter auch die Reglementierung des Sexlebens aufgrund des durch Klonen und künstliche Befruchtung beeinflussten Genpools der Bevölkerung.
Und zu eben jenen tollen Ideen gehört auch der titelgebende "Code 46". Ansonsten will man nicht zuviel verraten, denn der Film lebt auch von seinen dramatischen Wendungen. Daher nur soviel: William Geld (Tim Robbins, "Mystic River"), dank eines Empathie-Virus ein mit besonderen Fähigkeiten gesegneter Ermittler, wird nach Shanghai geschickt. Aus der dortigen Zentrale der ‚Sphinx' - der das Zusammenleben leitenden Staatsbehörde - werden "Papelles" herausgeschmuggelt und illegal verteilt. Diese sind eine Mischung aus Ausweis und Visa. Robbins findet in Maria Gonzalez (Samantha Morton, "Minority Report") schnell eine Verdächtige, aber die junge Frau hat eine merkwürdige Anziehungskraft auf ihn. Als beide eine Affäre beginnen, müssen sie diese vor den allgegenwärtigen Augen der Staatsmacht verbergen….

Wie fast schon üblich im Genre zeigt auch "Code 46" kein sehr angenehmes Bild von der Zukunft. Dabei lässt das Drehbuch durchaus seine Vorbilder durchscheinen, neben dem "Blade Runner" besonders die Dystopie-Klassiker "Brave New World" und "1984". Dem "Big Brother is watching you"-Motto des Letzteren wird hier als Entsprechung "The Sphinx knows best" entgegengestellt, die Klon- beziehungsweise Gen-Thematik könnte dagegen locker aus Aldous Huxleys Zukunfts-Roman stammen. Und die Figur des Ermittlers sowie der beeindruckende Neo-Noir-Look erinnern sowohl an "Gattaca", einem anderen sehr gelungenen Film über das Thema Genetik, als auch an Ridley Scotts Replikanten-Klassiker. Nein, richtig originell sind Konzeption und Geschichte von "Code 46" wahrlich nicht, aber das trübt das Sehvergnügen so gut wie gar nicht. Denn um die Geschichte selbst geht es eigentlich kaum, vielmehr um die Ideen dahinter. Und die sind wie gesagt reichlich und faszinierend.

Vom Wert der Erinnerung über die Frage nach Schicksal und den ethischen Aspekten der Genmanipulation wird hier so ziemlich alles an wichtigen philosophischen Fragen zumindest angeschnitten, neben auch aktuelleren sozial-kulturellen Themen wie dem Angriff auf die Privatsphäre oder das Leben in einem Klassensystem. Dafür bleiben andere Fragen offen, etwa warum William so sehr von Maria angezogen ist. Vielleicht durch den Empathie-Virus, der sein Gefühlsleben durcheinander bringt?
Diese und andere Fragen muss der Zuschauer des öfteren allein beantworten, man muss also aufmerksam dabeibleiben. Wer bei "Code 46" mal eben fünf Minuten Getränkenachschub holt, dürfte sich im Folgenden schnell verloren vorkommen. Dabei ist der Film sicherlich nicht perfekt, übernimmt sich mit Manchem und lässt auch einiges im Unklaren, über das man gern mehr erfahren hätte. Aber es ist ein Film zum Mitdenken und zum Nachdenken, eine immer rarer werdende Spezies. Und als wolle man den enormen Geistesgehalt etwas erträglicher machen, ist es zudem ein herausragend gefilmtes Werk voller beeindruckender Aufnahmen. Gerade in Anbetracht des geringen Budgets, das keinerlei gebaute Kulissen zuließ und Drehen im Guerilla-Stil an Originalschauplätzen (Shanghai, Dubai, Jaipur) mit möglichst futuristischem Look diktierte, ein kleines Wunder.

Das Bild der DVD (Breitbild-Format 2.35:1) ist sehr gut, so dass die kühnen und beeindruckenden Bildkompositionen perfekt zur Geltung kommen. Besonders die ausgebleichten Bilder im Sonnenlicht sind makellos, einzig bei dunklen Szenen treten sehr selten geringes Flächenrauschen oder kurze Unschärfen auf. Alles in allem ist der Transfer also sehr gut. Noch mehr begeistern kann der Tonmix, denn hier werden endlich mal alle Möglichkeiten (sprich: Lautsprecher) genutzt. So ist besonders in der ersten Filmhälfte auf den Surround-Lautsprechern ständig was los, und das räumliche Gefühl durch Geräuschkulisse oder Musikeinsatz ist exzellent. Wie von Sunfilm gewohnt gibt es zu den deutschen und englischen 5.1-Mixen noch eine deutsche DTS-Spur. Einziger Wehrmutstropfen im Bereich Ton: Die englische Tonspur ist beizeiten asynchron zum Bild, gerade bei zwei Szenen (grob um die 20- und die 40-Minutenmarke) fällt dies störend auf. Allerdings läuft der Ton nach diesen Aussetzern wieder ausreichend synchron, vom Benutzen der Originaltonspur sollte man sich davon also nicht zwangsläufig abhalten lassen.
Zu dem Film hat man noch eine Handvoll Extras spendiert. Neben den zu erwartenden Bio-/Filmografien und dem Filmtrailer kann man sich noch einige zurecht entfallene Szenen (3 Minuten) anschauen. Hauptextra ist aber ein etwa 16-minütiges Making Of, "Obtaining Cover: Inside Code 46". Obwohl extra für das Heimkino erstellt, hat das Making-Of leider einigermaßen hohen Werbecharakter und ist zu kurz, um auf alle wichtigen Aspekte der Filmproduktion einzugehen. Trotzdem kommen eine Handvoll interessanter Kommentare herum, was daran liegt, dass sowohl Tim Robbins als auch Regisseur Michael Winterbottom intelligente und artikulierte Menschen sind. Bei einem solch reichhaltigen Film wie diesem würde man sich allerdings einen Audiokommentar wünschen, auf den Winterbottom leider verzichtet hat. Zumindest verlängern die soliden Extras das Filmvergnügen etwas und die technische Qualität der Disc ist wie gesagt sehr gut. Einzig den Gestaltern der DVD-Cover sollte man beim DVD-Vertrieb Sunfilm mal auf die Finger klopfen, die haben es nämlich mal wieder geschafft, das Bildformat falsch anzugeben.

"Code 46" ist ein wirkliches kleines Juwel, dem hoffentlich auf DVD mehr Zuschauer eine Chance geben als im Kino. Verdient hat es diese ausgesprochen interessante Zukunftsvision allemal.


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