
Auch wenn der Rest von "Saving Private Ryan" durchaus Anlass für kontroverse Diskussionen bot, die Darstellung der Normandie-Invasion in der ersten halben Stunde hat Geschichte geschrieben - und das Kriegsfilm-Genre revolutioniert. Diesen Eindruck gewinnt man jedenfalls, wenn man sich Ridley Scott's "Black Hawk Down" ansieht. Denn der "Gladiator"-Regisseur adaptiert in seinem von Popcorn-Ikone Jerry Bruckheimer produzierten Schlachtgemälde Spielberg's semi-dokumentarischen Ansatz besagter Anfangssequenz und dehnt ihn kompromisslos auf einen ganzen Film aus - mit sehr beeindruckendem Ergebnis.
Thema von "Black Hawk Down" ist eine tragisch fehlgeschlagene Mission der US-Armee während des humanitären Einsatzes im vom Bürgerkrieg zerrütteten Somalia im Oktober 1993. Der Plan klingt nach Routine: Mit Hubschraubern und Hum-Vees weit in die Hauptstadt Mogadischu hinein, in einem Haus des Kriegsherrn Mohammed Farrah Aidid eine Razzia durchführen, und dabei zwei seiner wichtigsten Handlanger festnehmen. Hört sich an wie eine simple Rein-Raus-Mission, und so raten die erfahrenen Soldaten einem Frischling beim Zusammenpacken ihrer Ausrüstung auch davon ab, Wasserflasche oder Nachtsicht-Gerät mitzunehmen. Das unnötige Gewicht belastet nur, und außerdem sind sie sowieso in ein paar Stunden zurück in der Basis. Sind sie nicht, und die zurückgelassenen Utensilien hätten sich als sehr nützlich erwiesen.
Aufgrund schlechter Erkundungsinformationen stechen die Soldaten unwissentlich mitten ins Wespennest und sehen sich schlagartig von Hunderten Somalis mit Maschinengewehren und Raketenwerfern umzingelt. Mit letzteren wird erst einer, bald darauf ein zweiter der amerikanischen "Black Hawk"-Helikopter vom Himmel geholt. Und so wird der verzweifelte Fluchtversuch aus dieser Höhle des Löwen plötzlich zu einer Rettungsmission der abgestürzten Hubschrauber-Besatzungen, getreu des Schwurs: "Keiner wird zurückgelassen."
Jene Kollegen unter den amerikanischen Kritikern, die immer was zu meckern haben müssen, werfen "Black Hawk Down" vor allem fehlende Charaktertiefe vor. Das ist im Prinzip zwar richtig, gleichzeitig aber auch eine der größten Stärken des Films: Scott stattet seine Figuren nur mit minimalen Hintergrundstorys aus und schiebt so von vornherein einen Riegel vor allzu viel tränenrührigen Kitsch. Wenn einer der Soldaten in aussichtsloser Situation ein Foto von Frau und Tochter hervorholt und sich in seinen scheinbar letzten Momenten daran krallt wie an seinen größten Schatz, dann ist dies gerade deshalb wirksam, weil man eben nicht zuvor erzählt bekommen hat wo das Paar seine Flitterwochen verbracht hat und wie der kleine Engel von Tochter heißt. Gesten wie diese erhalten in "Black Hawk Down" eine Allgemeingültigkeit eben weil sie in ihrer Semi-Anonymität Beispielcharakter gewinnen: In diesem einen Soldaten sieht man im selben Moment die zahllosen anderen, die in ähnlichen Momenten zu ähnlichen Fotos gegriffen haben. Statt zum forcierten Tränenschocker zu verkommen, gewinnt der Film in diesen Szenen eine erstaunliche Ehrlichkeit.
In ähnlicher Weise fungieren die meisten Figuren in "Black Hawk Down" mehr als Archetypen denn als Charaktere. Bei mehr als zwei Dutzend nahezu gleichwertigen Rollen kann der Zuschauer ohnehin kaum sämtliche Namen behalten und verbindet lediglich die Gesichter mit den entsprechenden, spezifischen Krisensituationen in diesem Szenario des Chaos. Viele leidlich bekannte Stars finden sich hier wieder, doch keiner wird mit mehr Aufmerksamkeit bedacht als seine Mitläufer: "Pearl Harbor"-Teenieschwarm Josh Hartnett als Sergeant, dem mehr Verantwortung auferlegt wird, als er eigentlich haben wollte; Ewan McGregor als Papiertiger, der vor lauter Bürojobs zwar perfekt Kaffee kochen gelernt hat, aber noch nie in einem Kampfeinsatz war; Tom Sizemore als knochenharter Veteran mit ungebändigtem Willen; William Fichtner als wandelnde Trainingsmission, der seine Ausbildung so verinnerlicht hat, dass er in jeder Situation rein instinktiv richtig handelt; Sam Shepard als vor den Scherben seiner eigenen Planung stehender General; Orlando Bloom als übermütiger Frischling; sie alle verschmelzen zu einem enorm harmonischen Ensemble, dass sich vorbildlich in der Dramatik des Augenblicks verliert und so in der Tat einen Eindruck der Gleichwertigkeit vermittelt: Jeder ist hier so wichtig wie der nächste.
Einziges Ziel des Films ist eine möglichst realitätsnahe Adaption der tatsächlichen Hölle von Mogadischu, in der sich die Soldaten damals wiederfanden. Und dies gelingt geradezu erschreckend gut: Der Film ist kaum eine halbe Stunde alt, als der Einsatz los geht, und für die nächsten 90 Minuten bekommt der Zuschauer kaum einen ruhigen Moment geboten. Dank der grandiosen Kameraarbeit von Slavomir Idziak taucht man mit den Soldaten in die Straßenschluchten hinein, fürchtet sich bei jeder Tür und jeder Straßenecke vor dem womöglich dahinter lauernden Somali (und es steht ein Mann mit Maschinengewehr hinter jeder Tür und jedem Fenster in diesem Film), kriegt die Ausweglosigkeit der Situation in voller Breite zu spüren. Selten wurde im Kino ein "Da kommen die nie raus"-Gefühl so wirksam vermittelt wie hier. Die endlosen Straßenkämpfe ziehen sich allerdings ein wenig, und angesichts dessen, dass der Film eigentlich aus kaum etwas anderem besteht, ist er eindeutig zu lang ausgefallen. Gut zwanzig Minuten hätten wohl auf dem Fußboden des Schneideraums bleiben können, ohne dass "Black Hawk Down" signifikant darunter gelitten hätte. Dennoch bleibt Ridley Scott's "Cinema verité"-Ansatz beeindruckend und reißt den Zuschauer ähnlich mit wie das Vorbild von Spielberg.
Mit diesem teilt er allerdings auch ein grundlegendes Dilemma moralischer Natur, eingefangen im besagten Schwur: "Keiner wird zurückgelassen". An einer Stelle im Film meint ein Soldat zum anderen, dass die Leute, die es nicht miterlebt haben, es nicht verstehen werden - damit hat er recht. Wenn sich die Einsatztruppe bei einsetzender Dämmerung zum zweiten Hubschrauber durchschlagen will, um zwei bekanntermaßen tote Kameraden zu bergen, wird unweigerlich die Frage aufgeworfen, ob dies noch gerechtfertigt ist: Dutzende von Menschenleben aufs Spiel setzen um ein paar Leichen zu retten erscheint, bei aller Ehrenhaftigkeit, noch fraglicher als die "Saving Private Ryan"-Mission, wo acht Männer sterben, um einen zu retten. Für die Soldaten im Kampf mag das Sinn machen, für einen außenstehenden Pazifisten macht es keinen.
Bedenklich ist ebenfalls die Nebensächlichkeit, mit der zahllose Somalis dahingemetzelt werden. Natürlich geht es hier vornehmlich um die amerikanischen Soldaten und deren Schicksal, angesichts der nackten Statistik, dass dieser Einsatz 19 tote US-Soldaten und über 1000 tote Somalis zur Folge hatte (und man ist geneigt zu glauben, jeden einzelnen Toten auf der Leinwand zu sehen), wirkt die Darstellung beizeiten erschreckend einseitig.
Der Gesamteindruck bleibt jedoch eindeutig ein positiver: In seiner Schnörkellosigkeit konsequent und beeindruckend, bleibt "Black Hawk Down" als ein sehr guter, wenn auch nicht essentieller Kriegsfilm in Erinnerung. Das zugrunde liegende moralische Dilemma mit seiner leichtfertigen Auflösung hinterlässt zwar einen leicht bitteren Nachgeschmack, ändert aber nichts daran, dass dieser Film vor allem dank der nahezu makellosen Inszenierung Ridley Scotts und der grandiosen, hautnahen Kamera Slavomir Idziaks zu einem zumindest handwerklichen Triumph wird.
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