Zumindest was die Ideen und Dreistigkeit seiner PR-Aktionen betrifft, bewies Sacha Baron Cohen schon vor Monaten, dass er nichts von seiner bekannten Stärke verloren hat, als er in Persona seiner neuen Kunstfigur, dem Nahost-Diktator Aladeen auf dem roten Teppich der Oscar-Verleihung auftauchte und dort die Asche seines kurz zuvor verstorbenen, nordkoreanischen "Kollegen" Kim-Jong Il verstreuen wollte. Das erinnerte an jene glorreiche Zeiten, als Cohen in seiner legendären Rolle als Borat es tatsächlich schaffte, die kasachische Regierung gegen sich aufzubringen. Angesichts solch gelungener Promo-Aktionen konnte man hoffen, dass Cohens neuester Kino-Streich zu einem ähnlich gnadenlosen Lach-Erfolg mit gelungenem Satire-Einschlag werden würde wie die Vorgänger "Borat" und "Brüno". Doch leider ist dem nicht so, weil Cohen und seine Kollaborateure auf genau jenes Mittel verzichtet haben, das die Vorgängerfilme und Cohens provokative Spaziergänge weit jenseits von Political Correctness und gutem Geschmack so erfolgreich machte: Die Konfrontation seiner Kunstfiguren mit ahnungslosen Normalbürgern in einem vorgetäuschten Dokumentarfilm-Szenario.
"Der Diktator" bietet nun stattdessen einen höchst konventionellen (um nicht zu sagen: reichlich platten) Plot: Aladeen beherrscht seinen Staat am roten Meer mit typisch diktatorischer Hand und dem dazugehörigen, eigenwilligen Personenkult. Doch auch wenn er sich mit seinem irrwitzigen Vermögen jeden Sexual-Wunschpartner der Welt einkaufen kann, so wollen sie doch alle - wie beispielhaft von Megan Fox vorgeführt - nach vollendetem Akt so schnell wie möglich abzischen, so dass Aladeen mit seinem innigen Wunsch nach ein wenig zärtlichem Gekuschel allein bleibt - armer, einsamer Diktator. Als Aladeen anlässlich einer Rede vor den Vereinten Nationen nach New York reist, nutzt seine linke Hand Tamir (Ben Kingsley) die Gelegenheit für einen heimlichen Staatsstreich: Er ersetzt Aladeen durch einen willfährigen (heißt: strunzdummen) Doppelgänger und will das Original unauffällig liquidieren lassen. Wie das Schicksal es will, landet Aladeen statt im Jenseits jedoch "nur" mittellos und seines markanten Bartes beraubt auf den Straßen New Yorks und wird von der herzensguten Polit-Aktivistin Zoey (Anna Faris) für ein unschuldiges Opfer seiner eigenen Diktatur gehalten. Wird es Aladeen gelingen, Tamirs Pläne zu durchkreuzen? Und findet der Diktator in Zoey womöglich zum ersten Mal die wahre Liebe?
An diesen zwei banalen Plot-Motiven hängt "Der Diktator" seine äußerst dünne und hanebüchene Handlung auf, die ohnehin nur ein Gerüst darstellt, um möglichst viele politisch unkorrekte Witze zu reißen über die sehr eigenwillige Weltsicht des Diktators und deren Zusammenprall mit dem politischen Freigeist von New York, betreibt Zoey doch einen als feministisches, veganes Non-Profit-Kollektiv organisierten Spezialitätenladen. Wenn Aladeen nun also Zoey und ihre Angestellten mit seinen eigenen Ansichten über Themen wie Integration und Frauenbildung konfrontiert, erntet Cohens Kunstfigur in diesem durchinszenierten Film von den Schauspielern um sich herum genau die Reaktionen, die gewünscht und erwartet werden. Was in den meisten Fällen der "Das hat der jetzt nicht wirklich gesagt/gemacht!"-Unkorrektheit des Cohen-typischen Humors nichts nimmt (und entsprechend immer noch durchaus komisch ist), aber leider eben jene satirische Schärfe entfernt, welche die Vorgängerfilme zu mehr als bloßem Klamauk gemacht hat, zu einem bissigen Spiegel der amerikanischen Gesellschaft und ihren tief verwurzelten Vorurteilen und bigotten Einstellungen.
Bestes Beispiel ist eine Szene, in der Aladeen zusammen mit einem Kompagnon und zwei nichts ahnenden Amerikanern einen Touristen-Rundflug über New York unternimmt, während dem die beiden Araber sich über einen Crash unterhalten, den Aladeen mit seinem neuen Porsche 911 fabriziert hat. Die Amis verstehen nichts außer der gestischen Darstellung eines Crashs und den Schlagworten "911 2012" (im Übrigen einer von mal wieder zahlreichen Gags, die in der deutschen Synchronisation kaum gelingen können, da nur auf Englisch die Bezeichnung "nine-eleven" sowohl den Porsche als auch die Terroranschläge vom 11. September bezeichnet) und reagieren entsprechend sehr beunruhigt. Das ist ganz lustig, aber wieviel facettenreicher hätte dieselbe Szene sein können, wenn man darin Borat-Style-mäßig ein paar ahnungslose Normalos konfrontiert hätte?
Es sind solche Momente entlarvender satirischer Schärfe, in denen die kollektive ignorante Angst vor allem Arabischen bloßgestellt wird, die im "Diktator" eben gänzlich fehlen und dem Film damit über weite Strecken seinen potentiellen Biss nehmen. Nur in einer Szene weist "Der Diktator" wahres satirisches Genie auf, wenn Aladeen die Vorzüge einer Diktatur im Vergleich zu einer Demokratie anpreist - und dabei nur Dinge aufzählt, die in der angeblich größten Demokratie der Welt, den USA faktisch alle gegeben sind.
Der Rest des Films bleibt eine ohne allzu große Inspiration oder Sinnhaftigkeit abgespulte Nummernrevue von verlässlich erprobtem Cohen-Humor, immer zielsicher jenseits des guten Geschmacks. Seine lahme Entschuldigung eines Plotgerüsts nimmt der Film dabei aber immer noch so ernst, dass er bei seinem relativ platten Klamauk nicht alle Bremsen löst, was zumindest anarchische Albernheit im "Nackte Kanone"-Stil ermöglicht hätte. Da die Grundprinzipien von Cohens Kunstfigur-Komödien nunmal verlangen, dass alle Akteure außer ihm sich normal zu verhalten haben, damit der Kontrast zwischen Cohens Persona und der Welt um ihn herum möglichst groß (und damit im Optimalfall möglichst komisch) ausfällt, darf sich hier leider auch niemand außer Cohen selbst zum Affen machen. Womit "Der Diktator" als Eben-nicht-Mockumentary doch so einiges verschenkt.
Um die zentralen Stärken seiner Quasi-Vorgänger beraubt, ist "Der Diktator" damit 'nur' ein durchaus amüsanter Kino-Klamauk, dem es aber an wirklich zündender Originalität mangelt, und der es wegen seines eintönigen Humors sogar noch schafft, trotz sehr überschaubarer Laufzeit noch langatmig zu wirken. Alles in allem: Irgendwie überflüssig und enttäuschend.
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