Frauenboxen kann begeistern, wie man spätestens seit der letztjährigen Oscarverleihung weiß, als Clint Eastwoods Alterswerk "Million Dollar Baby" alle Konkurrenten im Ring besiegte. Doch was die Nachwuchsregisseurin Catharina Deus in ihrem Abschlussfilm an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin so austeilt, haut selbst den geduldigsten Zuschauer k.o. - gleichzeitig wünscht sich dieser, er wäre schon vor dem Film bewusstlos geworden.
Am Ende der Welt im brandenburgischen Eberswalde versucht die 19-jährige Johanna (Katharina Wackernagel), von allen nur Joe genannt, mit dem Leben und sich selbst klarzukommen. Ihre Jobs verliert sie nach kürzester Zeit wegen ihrer Aggressionen, doch gleichzeitig ist sie zu schüchtern, um sich zu wehren, wenn man sie schlecht behandelt. Ihre Mutter (Manon Straché) ist Alkoholikerin und ihre einzige Freundin Stella nach Berlin gezogen. Ausgestoßen und unverstanden, entschließt sich die eher jungenhafte Joe, wie ihr verstorbener Vater Boxer zu werden.
Spätestens nach den ersten paar Minuten zieht man die Augenbrauen hoch, wie fern der Realität das Drehbuch ist. Joe wird von allen ausgelacht, weil sie und ihre Mutter die einzigen Arbeitslosen sind und von der Stütze leben (nur so zur Info: in Eberswalde sind fast 13% der Einwohner arbeitslos). Joes Mutter bezahlt ihre Lebensmittel mit ihrem Körper. Dann pfändet der Gerichtsvollzieher auch noch ausgerechnet den Küchentisch (völlig realitätsfern).
Das sind nur die ersten unlogischen Aspekte, aber nun geht's richtig zur Sache im Kampf um das schlechteste Drehbuch: Was mit den Figuren angestellt wird, darüber kann man nur noch den Kopf schütteln. Man kann sich das etwa so vorstellen: Joe ist Boxerin und ziemlich burschikos mit Mofa und Parka. Das schreit doch gerade danach, sie nun lesbisch werden zu lassen (Klischee tut nie weh). Nachdem sie also eine Beziehung zu ihrer mittlerweile heimgekehrten Freundin Stella (Fanny Staffa, "Barfuß") aufgebaut hat, wird sie jedoch plötzlich wieder heterosexuell. Nicht nur das, sondern sie kommt ausgerechnet mit dem Atze-Schröder-artigen Oberproll und Discobesitzer Mario (Devid Striesow, "Der Untergang") zusammen, sehr zum Missfallen seiner bauchfreien und mit ihren Inline Skates verwachsenen (Ex-)Freundin Mandy (Pluspunkt für den Klischeenamen). Mario bemerkt Joe erst wirklich, als sie mal nicht im Parka unterwegs ist, sondern im heißen Dorfschnitten-Outfit den Karaoke-Wettbewerb gewinnt. Nachdem er sie gerade nur im Schneckchenlook mochte, findet er sie auf einmal auch im Parka cool. Jetzt ist Mario also auf einmal lieb, fürsorglich, Automechaniker und ganz und gar unprollig. Irgendwann muss man diesen Nebencharakter aber wieder loswerden, also ist er plötzlich wieder ganz doof.
Die Szenen scheinen ohne Sinn und Verstand aneinandergereiht, nichts lässt irgendwie eine Entwicklung klar werden, und zwischen den verschiedenen Episoden fährt Joe auf ihrem Mofa durch Brandenburg. So trist wie die Landschaft ist auch die Inszenierung: Es baut sich weder Spannung auf, noch kann man sich auf die Charaktere verlassen, die dauernd ihr Profil ändern oder auch gleich aus der Handlung verschwinden, als hätte man sie einfach irgendwo vergessen.
Ein ebenso großes Problem ist, dass sich die Damen Catharina Deus und Martina Klein anscheinend überhaupt nicht entscheiden konnten, was sie hier eigentlich machten. Soll "Die Boxerin" ein Coming-Out-, Coming of Age-, Milieu- oder Sportfilm sein? Das fragt sich jedenfalls der Zuschauer entnervt. Das Coming Out wird ja wieder vergessen, das Coming of Age verläuft eher im Sande als zielgerichtet ins Erwachsensein zu führen, das Milieu wird zwar dauernd eingebracht, aber auch nicht sinnstiftend eingesetzt für eine Aussage jedweder Art. Doch besonders die Klischees des Sportfilms sind es, die den Zuschauer am meisten irritieren: Da prügelt Joe dauernd auf ihres Vaters Sandsack ein, wird von den Jungs im Boxclub abgelehnt, dann fast vergewaltigt. Weil man aus dieser Situation wohl nicht so einfach herausfand, wird später einfach kurz klargemacht, dass sich die Jungs entschuldigt haben. Das Boxen scheint immer dann vorzukommen, wenn einem nichts anderes einfiel. Besonders der Endfight des Films, Joes erster Wettbewerb, scheint nur in diesem Streifen zu sein, weil man das in einem Sportfilm halt so macht.
Es gibt eine einzige Stärke des Films: Sie heißt Katharina Wackernagel. Intensiv und aufwühlend porträtiert sie Joe, kommt aber leider gegen das lausige Drehbuch und die lachhafte Regie einfach nicht an. Und so ist "Die Boxerin" ungefähr so schön wie ein Schlag in die Magengrube. Der Zuschauer fühlt sich geistig k.o. und wünscht sich nur eins: Dass man Deus an der Filmhochschule hätte nachsitzen lassen.
Doch dafür ist es jetzt zu spät. "Die Boxerin" gewann 2005 unfassbarer Weise das Oldenburger Filmfest, und so hat Deus einen Punktsieg errungen, den ihr keiner mehr streitig machen kann. Doch Entscheidungen von Kampfrichtern und Jurys sind ja auch im Sport (und im Film) oft schwer nachvollziehbar.
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