Der brillanteste Trick an "Amadeus", der vielleicht besten Filmbiografie überhaupt, ist, dass es gar keine Filmbiografie ist. Während sich andere Biopics stetig damit schwer tun, ihrem legendären Subjekt gerecht zu werden, ohne es jedoch gleichzeitig völlig unreflektiert zu glorifizieren, portraitiert "Amadeus" seine vermeintliche Hauptfigur aus den Augen eines anderen: Antonio Salieri, zu Lebzeiten von Mozart Hofkomponist des österreichischen Kaisers Joseph II., und - soweit man diesem Film glauben mag - heimlich der ärgste Widersacher des vielleicht größten musikalischen Genies der Geschichte. Ein alter und ergrauter Salieri ist es, der sich in der Eröffnungsszene aus Selbstvorwürfen über den von ihm verschuldeten Tod Mozarts das Leben zu nehmen versucht, und anschließend in ein Irrenhaus eingeliefert wird. Dort legt er vor einem Priester in einer Art Lebensbeichte sein Schicksal - und damit auch das von Mozart - nieder: Seit seiner Kindheit von der Kraft der Musik verzaubert, träumt der streng religiös erzogene Salieri von einer großen Karriere als Komponist und bietet Gott quasi als Tausch für Eingebung und Talent seine lebenslange Enthaltsamkeit an. Und dieses Wunschgebet scheint sich auch zu erfüllen: Salieri macht Karriere, kommt nach Wien an den Hof des Kaisers und erreicht enormen Einfluss und Anerkennung. Sein eitler Wunsch nach Ruhm und Unsterblichkeit scheint wahr zu werden, bis sich eines Tages seine Wege mit denen des überall als musikalisches Wunderkind bekannten Wolfgang Amadeus Mozart kreuzen: Von dessen unglaublichem Talent längst überzeugt, ist Salieri schockiert, als er bei ihrer ersten persönlichen Begegnung einen überdrehten, obszönen Lüstling trifft. Und der soll tatsächlich Gottes musikalisches Werkzeug sein? Mozart, ein fröhlich saufender, furzender und Frauen nachsteigender Spaßvogel, dem es vollkommen an Ehrfurcht und Bescheidenheit mangelt? Zutiefst getroffen, dass diese ungehobelte "Kreatur" von Gott mit dem Genie ausgestattet wurde, für das er selbst sein Leben lang gebetet hat, erklärt der gekränkte Salieri seinem Schöpfer den Krieg und setzt von nun an all sein Einfluss und Geschick ein, um den verdienten Aufstieg Mozarts wo es nur geht zu blockieren.
"Amadeus" basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück des Autors Peter Shaffer, der auch das Drehbuch verfasste, und diese Bühnenherkunft ist in der Rahmenhandlung, der Zwei-Personen-Konstellation von Salieri und seinem Beichtpriester, auch deutlich zu erkennen. Es war an Milos Forman, gebürtiger Tscheche und unbestreitbar einer der größten Regisseure unserer Tage, diesen Dauerdialog in einen prachtvollen Rokoko-Bilderreigen zu verwandeln, und er triumphiert dabei auf ganzer Linie: Die verschwenderische Überschwänglichkeit jener Tage wird in einem atemberaubenden Detailreichtum eingefangen und lässt "Amadeus" so schon rein von der Ausstattung her zu einem der größten Triumphe der jüngeren Kinogeschichte werden. In all dem Pomp verliert Forman - und dies zeichnet ihn besonders aus - aber nicht den Blick für die hässlichen Details einer in ihrer obersten Spitze vielleicht hoch kultivierten, ansonsten aber stark verrohten Gesellschaft. Kleine, subversive Fußnoten, die "Amadeus" die nötige Authentizität verleihen.
Trotz des Schwelgens im epochalen Bombast des 18. Jahrhunderts bleibt "Amadeus" in seinem Inneren aber doch die einfache und hochdramatische Geschichte eines im Verborgenen stattfindenden Krieges, von dem der eine Beteiligte gar nicht weiß, dass er ihn führt: Mozart feiert Musik und sein Leben in exzessiver Leidenschaft, und verstößt damit gegen alles, an das Salieri glaubt. Er wird für ihn zum ideologischen Feind, zu einem Gegner, der schon allein deshalb keinen Erfolg und Achtung haben darf, weil er sich nicht an die Regeln hält. Mozart wird zum Advokat der einfachen Freuden des Lebens, all den schönen Dingen, denen sich Salieri in ewiger Selbstqual verleugnet, und ist vielleicht gerade deshalb in der Lage, aus seiner Musik eine pure Begeisterung sprechen zu lassen, die sich Salieri gar nicht zu spüren erlauben würde.
Ob Mozart tatsächlich so ein lebensfroher Tunichtgut war, wie ihn "Amadeus" portraitiert, ist nebensächlich. Dies ist keine Biografie, die Anspruch auf historische Korrektheit erhebt, und wer mehr über das wirkliche Leben Mozarts erfahren möchte, ist mit einer Buchbiografie sicherlich besser bedient. "Amadeus" geht es um die Feier der musikalischen Freude, um den emotionalen Triumph von Mozarts Wirken, und auch in dieser Hinsicht ist die Wahl von Salieri als Erzähler ein Geniestreich: Während sich die Handlung an Mozarts größten Werken entlang hangelt (seine vier Oper-Meisterwerke "Entführung aus dem Serail", "Die Hochzeit des Figaro", "Don Giovanni" und "Die Zauberflöte" bilden quasi das strukturelle Rückgrat des Films), dienen Salieris neidvolle Erläuterungen dem Zuschauer als Hilfe, um einen Einblick in das tatsächliche Genie Mozarts zu erhalten. Gleichzeitig verdeutlicht die Tatsache, dass von allen vermeintlich versierten musikalischen Beratern des Kaisers nur Salieri in der Lage ist, die wahre wegweisende Größe von Mozarts Werk zu erkennen (ein Volltreffer die berühmte Kritik des Kaisers an Mozarts erster Oper, dass sie einfach "zu viele Noten" habe), die altbekannte Weisheit, dass die größten Künstler ihrer eigenen Zeit stets weit voraus waren und ihnen somit die verdiente Anerkennung oft erst nach ihrem Tod zuteil wurde. Dass dies indes der Ruhm ist, der einen Künstler wirklich unsterblich werden lässt, diese Lektion hat der gealterte und längst vergessene Salieri ebenfalls lernen müssen: Als er zu Beginn dem Priester, der sich der verblassten Prominenz seines Gegenübers nicht gewahr ist, ein paar eigene alte Kompositionen vorspielt, die "zu ihrer Zeit sehr populär" waren, zuckt der Priester nur ratlos mit den Schultern. Als Salieri dann aber "Die kleine Nachtmusik" anstimmt, steigt der Geistliche begeistert ein. So findet sich in "Amadeus" auch eine kleine, aber weise Abhandlung über den Unterschied zwischen massenkompatibler (und schnell vergessener) Hit-Komposition und wahrlich großer Musik, an die sich die Menschen auch Jahrzehnte später erinnern werden.
Die epochale Tragik von Salieris Privatkrieg mit Gott entfaltet sich schließlich ebenso grandios wie leise in den Schlussminuten, als Salieri dem im Sterben liegenden Mozart hilft, sein weltberühmtes "Requiem" zu vollenden, und ihm so ein einmaliger Blick in den Schaffungsprozess dieses vielleicht größten Genies der Musikgeschichte gewährt wird. Erst hier und nur viel zu kurz erkennt Salieri, dass seine Aufgabe nicht darin lag, als Gottes Werkzeug vollkommene Musik zu erschaffen, sondern dem tatsächlichen Werkzeug Gottes - nämlich Mozart - durch seinen Einfluss zu helfen. Doch Salieri, der Gott nicht nur um das Talent, sondern auch um den Ruhm gebeten hatte, führte stattdessen einen Feldzug von verletzter Eitelkeit gegen Mozart, und erkannte in seiner aufgesetzten Demut und Selbstverliebtheit nicht die ihm zu Teil werdende Lektion: Dass Gott ihm nur die Fähigkeit gab, die tatsächliche göttliche Inkarnation zu erkennen, ist die Strafe für den egoistischen Wunsch nach endlosem Ruhm, und so auch ein kleiner Seitenhieb auf alle selbstgerechten Moralwächter, die in ihrer Tugendhaftigkeit glauben, das alleinige Recht auf Anerkennung und Urteilskraft zu besitzen.
Äußerlich ein pompöser und grandioser Höhepunkt des historischen Breitbildkinos, innerlich eine komplexe moralische Abhandlung über das klassische Motiv vom Eitlen, der sich mit höheren Mächten anlegen zu können glaubt, war "Amadeus" zurecht ein enormer Erfolg beschert und ausnahmsweise auch einmal die verdiente Anerkennung der Oscar-Akademie: neben den Preisen für den Besten Film, Regie und Drehbuch stach Salieri-Darsteller F. Murray Abraham seinen Mozart-Gegenüber Tom Hulce in der Hauptdarsteller-Kategorie aus (dass Abraham nie wieder an diese Meisterleistung anschließen konnte und seitdem eine mittelprächtige Karriere in ebenso mittelprächtigen Filmen fristet gilt als das Paradebeispiel für den so genannten "Oscar-Fluch"), die handwerkliche Perfektion des Films wurde mit Auszeichnungen für Ton, Maske, Kostüme und Ausstattung belohnt.
Ein triumphales Meisterwerk in beinahe allen Aspekten der Filmkunst, ist es schlussendlich die pure Leidenschaft für sein Subjekt, die "Amadeus" zu einem unvergesslichen Erlebnis macht: Von Beginn an in der überwältigenden Ausdruckskraft von Mozarts Werk badend, ist dies wahrlich die ultimative Verbeugung vor dem wundervollen Zauber großartiger, ja wirklich göttlicher Musik. Eine Ehrerbietung, die sich in ihrer schieren Begeisterung so überschwänglich auf den Zuschauer überträgt, dass man selbst als der Klassik eher abgeneigter Musikfreund ein unkontrollierbares Verlangen nach Opern, Symphonien und Suiten verspürt. Gerechter kann man dem überragenden Komponisten der Musikgeschichte nicht werden.
P.S.
Eine Anmerkung zu dem im Oktober 2002 auf DVD erschienen Director's Cut: die etwa 15 Minuten an zusätzlich eingefügtem Material dienen hauptsächlich einer konkreteren Zeichnung der Alltagssorgen Mozarts und seiner Frau Konstanze, dem verzweifelten Suchen nach Arbeit für den von Salieri heimlich sabotierten Komponisten. Diese Version enthält außerdem eine Szene, die das später sehr angespannte Verhältnis von Konstanze zu Salieri verdeutlicht: Um sie und damit ihren Gatten zu demütigen, verlangt Salieri von Konstanze eine sexuelle Gefälligkeit, bevor er Mozart zu einer wichtigen Anstellung verhilft. Als sich Konstanze vor ihm entblößt, ruft Salieri seinen Hausdiener und lässt die halbnackte Frau hinauswerfen. Diese kurze Oben-ohne-Szene war für die wieder einmal unwahrscheinlich prüden US-Zensoren übrigens Grund genug, das ursprüngliche PG-Rating von "Amadeus" (entspricht ungefähr einer Altersfreigabe ab sechs Jahren) für den Director's Cut auf ein R-Rating (äquivalent zu einer Freigabe ab 16) zu erhöhen.
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