Man möge den Überbringer der schlechten Nachrichten bitte nicht köpfen, wie es beizeiten üblich war, aber leider muss hier konstatiert werden, dass die bisher schwache Blockbustersaison weitergeht. Nach den unterdurchschnittlichen "Wolverine", "Terminator - Die Erlösung" und "Transformers - Die Rache" sollte doch "Public Enemies" den Hebel umlegen, und neben dem eher aufs Teeniepublikum zugeschnittenen Actionorgien auch noch erwachsenes Popcornkino bringen. All dies ist nun misslungen, "Public Enemies" reiht sich leider nahtlos in die Reihe der Enttäuschungen ein, und das obgleich des fraglos riesigen Potenzials: Michael Mann im Regiestuhl und mit den Herren Depp und Bale zwei der besten momentan zu habenden Schauspieler in den Hauptrollen. Dazu ein ohne Frage interessantes Thema, die Jagd der Behörden auf den Staatsfeind Nummer Eins, Bankräuber John Dillinger (Johnny Depp) und seine Komplizen.
Es ist 1933, die große Depression ist in vollem Gange, die größte Verbrechenswelle in der US-Geschichte ebenso. "Pretty Boy" Floyd, "Babyface" Nelson (Stephen Graham) und eben Dillinger rauben Banken gleich reihenweise aus und sind nationale Berühmtheiten. Edgar J. Hoover (Billy Crudup) versucht, seine Polizei-Behörde zur Verbrechensbekämpfung auf nationaler Ebene auszuweiten, um in diversen Bundesstaaten agierende Verbrecher wie Dillinger verfolgen zu können, und dafür braucht er Erfolge. Diese soll ihm Melvin Purvis (Chrsitian Bale) bringen, der sich durch Hartnäckigkeit und Präzision als Gewehrschütze einen Namen macht. Doch John Dillinger nimmt die Herausforderung nur zu gerne an, denn neben dem Geld ist ihm sein zweifelhafter Ruhm mindestens ebenso wichtig....
"Public Enemies" ist quasi ein doppelter Doppelgänger. Dillinger ist nach Jaques Mesrine ja schon der zweite Staatsfeind Nummer Eins auf der Leinwand dieses Jahr, und auch eine Filmbiographie von John Dillinger gibt es schon. Der knapp und prägnant "Dillinger" betitelte Streifen aus dem Jahr 1973 stammte aus Roger Cormans B-Film-Schmiede, ging aber weit über den doch eher kümmerlichen Durchschnitt vieler seiner Kollegen hinaus, was zu großen Teilen auch an den sich duellierenden Hauptdarstellern lag. Mit Warren Oates und Ben Johnson standen sich zwei der großen, damals wie auch heute noch gnadenlos unterschätzten Charakterdarsteller gegenüber. Regie führte übrigens in seinem Debüt Waffenfetischist John Milius, später hauptsächlich für rechtsreaktionären Dreck wie "Red Dawn" verantwortlich.
"Dillinger" machte filmisch auch all die Dinge, die "Public Enemies" nicht macht: Kameramann Jules Brenner bannte von Patina gegilbte Bilder aufs Zelluloid, die den amerikanischen Mitwesten der 1930er so wiedergaben, wie man ihn aus Fotos kennt und sich ihn vor dem geistigen Auge vorstellt. Genau mit dieser Art der klassischen Darstellung, die in so gut wie jedem Gangsterfilm zur Epoche zum Einsatz kam - inklusive dem Standardwerk "Bonnie und Clyde" -, bricht Michael Mann in seinem Film. Er hat seinen Fetisch für Hi-Def-Digitalvideo mitgebracht, und Stammkameramann Dante Spinotti filmt damit "Public Enemies" wie noch keinen Gangsterfilm zuvor. Ob das eine gute Sache ist, darüber lässt sich formidabel streiten.
Denn während die Handkamera und Digitalvideoästhetik dem Film gerade zu Anfang eine Frische verleihen, die man von einem "period piece" nicht erwartet, werden im Verlauf auch die zweifellos großen Schwächen des Mediums immer deutlicher. Immer wieder gibt es Sequenzen, die aussehen wie ein privates Heimvideo eines der Akteure. Auffällig dabei, dass Digitalvideo in Außenaufnahmen mit natürlichem Licht und Weitwinkel weitaus besser funktioniert als in Groß- und Innenaufnahmen, während Nachtaufnahmen auch qualitativ Licht und Schatten zeigen. Besonders auffällig ist dies bei dem Angriff auf einen Rückzugspunkt der Gangster tief im Wald, der als ein Höhepunkt des Films geplant ist, aber dank der Schwächen der Kamera beizeiten aussieht, als würde der Schauspielclub Wanne-Eickel im Wald Räuber und Gendarm abfilmen.
Den Vorwurf muss sich Michael Mann schon gefallen lassen, dass er unterschätzt hat, wie sehr Material und Form hier teilweise auseinander gehen. Auch die typisch "hartgesottenen" Dialoge und der klassische, teilweise überdramatische Score verhaken sich manchmal mit der modernen Videoästhetik, da hätte Mann dann doch radikal auch den Score modernistischer anlegen können, um wirklich eine komplett neue Gangsterfilm-Ästhetik zu kreieren. Er hätte vielleicht auch ahnen können, dass die fiebrigen modernen Nachtstreifzüge von "Collateral" und "Miami Vice" mit dieser nervösen Kamera hervorragend funktionierten, weil sie von ihrer Vorwärtsenergie lebten. Die fehlt bei "Public Enemies" allerdings völlig - einem Film, bei dem man gut vorher wissen kann, wie er ausgeht (das historische Ende von John Dillinger ist schließlich kein Geheimnis, sondern vielmehr eine oft zitierte Anekdote).
Das Hauptproblem von "Public Enemies" liegt aber nicht im Wie, sondern im Was, denn wenn der Film einen packen würde, könnte man auch über die unausgegorene Mixtur von Inszenierung und Geschichte hinwegsehen. Aber das ist (wieder mal) das Problem, Mann hat einen perfekt ausgestatteten, hervorragend besetzten Film geschaffen, aber einen Film ohne Emotion und Herz, und leider auch ohne große Höhepunkte. Flach und immer nur halbinteressant geht "Public Enemies" durch seine zu lange Laufzeit, die diesmal auch durch nichts gerechtfertigt ist. Normalerweise macht Mann lange Filme, weil sie unheimlich viel Material zu bearbeiten haben, aber schon bei "Miami Vice" zeichnete sich ab, dass er mittlerweile lange Filme dreht, weil er lange Filme mag, nicht weil sie besonders episch sind. Und während der Autor dieser Zeilen auf den unterschätzten "Miami Vice" auch weiterhin nichts oder wenig kommen lässt, sind die damaligen Kritikpunkte hier noch stärker im Fokus: Kein Zugang zu den Figuren, keine Charakterentwicklung, kein Zug in der Geschichte.
Überhaupt, die Geschichte: Geschichts- und Faktenfreunde sollten das Notizbuch besser daheim lassen, denn der Film ändert Fakten nicht nur recht großzügig ab, er ist zu drei Vierteln Fiktion, weswegen sich die Frage stellt, warum Mann überhaupt die Rechte an der dokumentarischen Buchvorlage von Bryan Burrough gekauft hat. Bereits die ersten Szenen, die uns die Protagonisten vorstellen (Dillinger bricht aus dem Gefängnis aus, während Purvis einen berühmten Gangster zur Strecke bringt), haben sich allesamt nie so zugetragen, und mit der Chronologie seiner Ereignisse geht der Film geradezu lachhaft um. All dies wäre einem ja völlig egal, wenn einen der Film mitreißen würde, aber so eignet er sich nicht einmal als Geschichtsstunde, auch weil Mann wenig Gespür für die Epoche beweist. So wird überhaupt nicht darauf eingegangen, wie die Prohibition Gangster vom Schlage Dillingers hervorbrachte, oder warum er in der großen Depression zu einem Robin Hood-artigen Volkshelden aufsteigen konnte.
Dass der Film so flach und ohne emotionale Bindung daherkommt, hat viel mit dem mäßigen Drehbuch von Ronan Benett, Mann und Ann Biedermann zu tun, die so gut wie keiner Figur einen Hauch Tiefe zugestehen. Christian Bale etwa sieht man nicht in einer einzigen Szene, in der er nicht mit zusammengekniffenen Lippen grimmig in die Kamera starrt, weil Dillinger ihm wieder mal entkommen ist oder sein inkompetenter Mitarbeiterstab wieder mal versagt hat. Als Charakter bleibt er ein vollständiges Fragezeichen, wie auch Dillingers Komplizen, die man ständig sieht, aber nichts über sie erfährt.
Ach, der arme Christian Bale. 2009 hätte doch eigentlich sein Jahr werden sollen, in dem er sich nach seinen "Batman"-Filmen mit "Terminator: Die Erlösung" und "Public Enemies" endgültig als Superstar etabliert. Aber zwei schwache Filme mit auch von ihm wenig beeindruckenden Leistungen später sieht das ganz anders aus. Und Depps Dillinger, die einzige Figur mit überhaupt so etwas wie Charakterprofil, kommt auch falsch herüber - ob nun aufgrund des Drehbuchs oder Depp selbst kann man nicht hundertprozentig sagen. Er wirkt nicht wie ein charismatischer Bandenführer, sondern wie ein über den Dingen stehender introspektiver Mann des neuen Jahrtausends, nicht der 1930er. Und die Wichtigkeit seiner Romanze mit Billie Frechette (Oscar-Preisträgerin Marion Cotillard, "La Vie en Rose") wird überbetont, ohne dass der Film davon sonderlich profitiert oder man so richtig verstehen könnte, warum Dillinger sich so komplett auf diese Frau fixiert.
Darum ist die wohl größte Enttäuschung hier, wie Michael Mann seine erlesene Besetzung verschleudert. Trotz der Überlänge bekommen Könner wie Billy Crudup, Lili Taylor, Giovanni Ribisi oder Stephen Lang nur Nebenrollen, die mit ihren wenigen Szenen kaum bessere Cameos sind. Teeniestar Channing Tatum etwa darf in seiner einzigen Szene als "Pretty Boy" Floyd einzig von Purvis über den Haufen geschossen werden. Und im Falle von Ribisis Figur Alvin Karpis versagt das Drehbuch vollkommen, dem Publikum auch nur im Ansatz klarzumachen, wer das ist und warum er für die Geschichte wichtig ist.
Ist er an sich auch gar nicht, aber auch nur, weil Mann ein halbes Dutzend Nebenplots anfängt und nicht weiter ausführt. Die einführende Szene, in der der so sträflich unterbenutzte Crudup als J. Edgar Hoover dafür kritisiert wird, keinen einzigen Kriminellen je persönlich festgenommen zu haben, hätte perfekt ergänzt werden können mit einer abschließenden Szene, in der Hoover Karpis festnimmt, womit gleich zwei lose Enden auf einmal verbunden gewesen wären. Aber Michael Mann hat sich offenbar nicht nur bei der Konzeption seines Films, sondern auch im Schneideraum gehörig verzettelt.
"Public Enemies" ist weit davon entfernt, ein völliges Desaster zu sein, dafür ist Mann zu sehr Perfektionist und handwerklich immer noch viel zu stark, aber auch deshalb ist sein Film die bisher wohl größte Enttäuschung des Jahres. Dass ein McG das "Terminator"-Revival in den Sand setzen oder der ohnehin wenig gewünschte X-Men-Nachschlag "Wolverine" nicht die Wurst vom Teller reißen würde, war anzunehmen. Aber dass Michael Mann mit "Public Enemies" seinen schwächsten Film seit "Ali" an den Start bringt und ein mit dermaßen Potenzial ausgestattetes Projekt so in seine Einzelteile zerfallen lässt, ist so überraschend wie ernüchternd. Schade, schade, aber man muss hier dem Zuschauer fast ans Herz legen, sich entweder dem Staatsfeind Jaques Mesrine zuzuwenden, oder aber statt dem Kinoticket lieber den alten "Dillinger"-Streifen zu besorgen. Der ging zwar genauso lax mit den historischen Fakten um, war aber zumindest für seine knackigen anderthalb Stunden Laufzeit durchgehend unterhaltsam, was man von "Public Enemies" leider nicht behaupten kann.
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