
Ein jugendliches Genie, das von seiner Umwelt
nicht akzeptiert wird. Ein väterlicher Mentor, der sich
des jungen Außenseiters annimmt und den selbst ein Geheimnis
umgibt. Wer
jetzt bereits „Good Will Hunting“ ruft, erhält entweder
einen Achtungspreis für sein Filmwissen oder hätte
lieber nicht allzu viel bei dieser Frage setzen sollen, denn
die richtige Antwort könnte genauso gut „Forrester - Gefunden!“
lauten. Daß der Regisseur beider Filme Gus Van Sant heißt,
mag den Zuschauer dann endgültig in seiner Ansicht bestärken,
daß er diesen Film nicht unbedingt auch noch zu sehen
braucht. Was schade wäre, denn trotz der offensichtlichen
Ähnlichkeiten mit seinem oscarprämierten Werk von
1997 hat Van Sant auch mit „Forrster - Gefunden!“ einen durchaus
sehenswerten Film geschaffen. Und für den albernen deutschen
Titel kann er ja sowieso nichts.
Sean Connery spielt die Figur des legendären William Forrester.
Der hat vor mehr als 40 Jahren DEN Roman des zwanzigsten Jahrhunderts
geschrieben. Ein Werk, das noch heute in jedem Literaturkurs
behandelt wird und in den Büchereien stets vergriffen ist.
Offensichtlich konnte Forrester mit seinem frühen Erfolg
jedoch nicht umgehen und schrieb nie mehr einen Nachfolger.
Er verschwand sogar völlig von der Bildfläche und
niemand weiß, was aus ihm geworden ist. Gefunden wird
er in unserer Gegenwart dann eher unbewußt durch den 16jährigen
Jamal Wallace.
Jamal ist in erster Linie ein hoffnungsvoller Basketballspieler
und eher nebenbei talentierter Schriftsteller und Liebhaber
der gehobenen Literatur. Seine Freunde in der New Yorker Bronx
beeindruckt er eher durch seine sportlichen Leistungen und durch
gelegentliche Mutproben. Eine dieser Mutproben besteht darin,
in die Wohnung des wunderlichen alten Kauzes einzudringen, der
in einem Hochhaus nahe Jamals Schule lebt, den noch nie einer
wirklich gesehen hat und den alle nur „Das Fenster“ nennen,
da er von dort aus mit seinem Fernglas die Umgebung beobachtet.
Jamal steigt ein, flieht überhastet und läßt
seinen Rucksack mitsamt der selbstverfassten Gedichte und Texte
zurück. Die bekommt er später zurück, allerdings
korrigiert von jemandem, der offensichtlich einiges vom Schreiben
versteht. Jamal findet Zugang zu dem alten Mann und erfährt
bald, daß es sich um eben jenen berühmten William
Forrester handelt, dessen Buch er im Literaturkurs seiner neuen
Schule behandelt.
Jamal verspricht, seine Entdeckung für sich zu behalten
und auch keine Fragen wie „Warum nur ein Buch?“ zu stellen.
Forrester erklärt sich im Gegenzug bereit, Jamals Talent
zu fördern. Dessen Leben steht in vielerlei Hinsicht vor
entscheidenden Einschnitten, muß er doch mit den Eindrücken
einer neuen privaten Eliteschule in Manhattan, der Beziehung
zu einem Mädchen, das aus einer gänzlich anderen sozialen
Schicht stammt, und nicht zuletzt einem feindseligen Literaturprofessor
zurechtkommen. Wird Jamal die Hindernisse in dieser entscheidenden
Phase seines Lebens meistern? Wird Forrester ihm helfen, seinen
Elfenbeinturm verlassen, um selbst ins Leben zurückzufinden?
Es ist nicht nötig, diese Fragen ernsthaft zu beantworten,
denn natürlich folgt „Forrester - Gefunden!“ gängigen
Erzählmustern und hält sich mit unerwarteten Wendungen
stark zurück. Die Entwicklung und Reifung der Charaktere
im Verlauf der mehr als zwei Stunden Laufzeit bleibt daher auch
recht vorhersehbar. Doch das macht
wenig, denn der Film lebt von der Warmherzigkeit seiner Geschichte
und den durchweg guten Leistungen seines Ensembles. Sean Connery
fügt seiner ohnehin schon beeindruckenden Filmographie
ein weiteres hübsches Stückchen hinzu und zeigt sich
trotz aller Sturheit und Knorrigkeit seiner Figur erwartungsgemäß
als letztendlich liebenswerte oder auch bedauernswerte Kreatur.
Rob Brown als sein jugendliches Gegenüber spielt hier seine
erste Filmrolle überhaupt und schafft es recht mühelos,
mit Connery mitzuhalten. Das Dilemma seiner Figur ist die Zerrissenheit
zwischen zwei Welten: Der vertrauten, aber perspektivlosen Heimat
in der Bronx, in der seine Freunde darauf warten, daß
er mal wieder Zeit für ein Basketballspiel mit ihnen findet,
und die vielversprechende Privatschule in Manhattan mit Empfängen,
schöngeistigen Künsten und einem Match im Madison
Square Garden.
Browns eher zurückhaltendes Spiel überzeugt und läßt
die wenigen Momente, in denen er sich gegen Forresters starre
Regeln auflehnt, um so überzeugender erscheinen. Auflehnen
tut er sich auch gegen seinen ungerechten Lehrer
Crawford. Mit dieser Rolle gibt F. Murray Abraham eine nahezu
deckungsgleiche Neuauflage seines oscargekrönten Auftritts
als Mozarts Gegenspieler Salieri in „Amadeus“ von anno 1984.
Hier wie dort ein biederer Handwerker im Schatten eines wahren
Genies (diesmal Forrester), dessen eigenes Mittelmaß ihn
zu einem verbitterten Intriganten macht. Allerdings ist
seine Figur auch notwendig, um zumindest etwas Spannung und
Bedrohung in die Handlung zu bringen. Bei diesen Machtkämpfen
bleibt für eine starke Frauenfigur leider kein Platz mehr.
Anna Paquin, durch „Das Piano“ entdeckt und durch die „X-Men“
dem Mainstreampublikum bekannt geworden, darf dann auch nicht
viel mehr als hübsch und lieb sein.
Der vielleicht bemerkenswerteste Unterschied zu „Good Will Hunting“
liegt denn auch nicht in den Charakteren, sondern in der Darstellung
des sozialen Umfeldes, für das sich „Forrester - Gefunden!“
viel Zeit nimmt. Waren im erstgenannten Film die Personen doch
sehr auf sich konzentriert, so spielen hier die Erfahrungen
und Einflüsse von außen eine deutlich größere
Rolle. Bemerkenswert ist außerdem die überraschende
Schönheit der Bilder, da man dies von den Hochhäusern
der Bronx und der heruntergekommenen Wohnung Forresters eigentlich
gar nicht erwarten würde. Aber die ruhige Kameraführung
und
die Warmherzigkeit der Charaktere sorgen dafür, daß
auch die eher triste Umwelt eine Art Symbiose mit der schönen
Kunst gehobener Literatur eingeht.
Allerdings läßt sie einem auch genügend Zeit,
um über einige durchaus vorhandene Unwahrscheinlichkeiten
der Story nachzudenken. So wundert sich nicht nur Professor
Crawford darüber, wie es einem sechzehnjährigen Farbigen
aus der Bronx möglich ist, sowohl hochtalentierter Basketballspieler
als auch begnadeter Schriftsteller und außerdem noch ein
in Literaturgeschichte dem eigenen Lehrer überlegener Schüler
zu sein. Und so ganz überzeugend wirken auch die Erklärungen
für Forresters jahrzehntelange Isolation nicht.
Aber zugegeben, schöne Märchen mit Moral benötigen
ab und zu ein paar Zufälle und Unwahrscheinlichkeiten,
um zu funktionieren, und bei „Forrester - Gefunden!“ handelt
es sich letztendlich um nichts anderes. Gus Van Sant hat einen
stimmungsvollen Charakterfilm mit feinen Schaupielern gemacht
, der aber seine strukturelle Ähnlichkeit mit „Good Will
Hunting“ nicht verbergen kann und daher nicht mehr ganz so beeindruckt.
Neuen Kommentar hinzufügen