"Mystic River" erzählt die Geschichte von drei Männern, deren Lebenswege seit ihrer Kindheit miteinander verknüpft sind. Ein schreckliches Ereignis in der Vergangenheit trennte sie damals, ein schreckliches Ereignis in der Gegenwart führt sie wieder zusammen. Die Geschichte beginnt damit, dass die drei Freunde Jimmie, Sean und Dave als Kinder durch ihre Heimatstraßen in einem irisch geprägten Arbeiterbezirk Bostons streifen und in ein Stück noch feuchten Zement ihre Namen ritzen. Ein Auto hält, ein Mann gibt sich als Polizist aus und nimmt Dave mit. Der Mann ist ein Kinderschänder. Nach vier Tagen in der Gewalt seiner Peiniger gelingt Dave die Flucht. Doch sein Leben wird nie wieder dasselbe sein. Sein halbfertiger Name im Zement wird zur bleibenden Erinnerung an ein Leben, das mittendrin gestoppt und fast zerstört wurde. Oder, wie der erwachsene Dave (Tim Robbins) später zu seiner verängstigten Frau Celeste (Marcia Gay Harden) sagt: "Wer auch immer damals entkam, es war nicht der kleine Davie Boyle". Dieses schreckliche Ereignis zerbrach das Bündnis der drei Jungs, auch weil Sean und Jimmie Schuldgefühle plagen. So haben sich alle über gewundene Lebenswege ein eigenes Dasein eingerichtet: Jimmie (Sean Penn) wurde zum Kriminellen, ist jetzt rehabilitierter Besitzer des Lebensmittelgeschäfts um die Ecke und treusorgender Familienvater. Dave lebt verhuscht mit Frau und Sohn in derselben Nachbarschaft, die Frauen beider Männer sind Cousinen. Nur Sean (Kevin Bacon) hat es aus dem Viertel geschafft und ist jetzt in der Mordkommission Bostons. Eine fatale, ereignisreiche Nacht bringt die drei wieder zusammen: Jimmies Tochter Katie wird brutal ermordet. Der vor Schmerz und Wut fast explodierende Vater will das Gesetz selbst in die Hand nehmen. Sean versucht, seine persönlichen Beziehungen zu Dave und Jimmie nicht in den Fall einfließen zu lassen. Sein Partner Whitey (Laurence Fishburne) hält Dave für den Hauptverdächtigen. Dave wiederum kam in der Mordnacht blutverschmiert nach Hause und erzählte seiner Frau eine wirre Geschichte über einen angeblichen Raubüberfall. Und so werden die Leben der drei Jugendfreunde wieder unaufhaltsam miteinander verstrickt...
"Mystic River" ist Clint Eastwoods 24. Film als Regisseur und sein vielleicht bester. Zumindest ist es das erste wirkliche Meisterwerk, was der große alte Mann Hollywoods außerhalb des Westerngenres geschaffen hat. Und während seine letzte Regiearbeit ohne eigene schauspielerische Mitwirkung ganz furchtbar war (der stinklangweilige "Mitternacht im Garten von Gut und Böse"), so tut sie diesem Film gut, denn Eastwood scheint aufmerksam und konzentriert wie selten zuvor. Jede Einstellung, jedes Bild hat er im Griff. Und weil es ihm nur auf dem Regiestuhl zu langweilig war, hat er auch gleich noch die düstere Musik zu diesem ebenso düsteren Film selbst geschrieben (und seinen Stammkomponisten Lennie Niehaus zum reinen Orchesterchef "degradiert"). "Mystic River" lebt aber vor allem davon, dass sich Eastwood als Regisseur komplett zurücknimmt, so wie er es eigentlich immer getan hat: Hier gibt es keine selbstverliebten Mätzchen, keine doofen Spielereien, sondern Kino in seiner reinsten Form. Dieser Film ist grandios. Hier passt einfach alles. Von einer eleganten, mit brillanten Dialogen gewürzten Story (Brian Helgeland könnte dafür nach "L.A. Confidential" seinen zweiten Oscar in Empfang nehmen) über Eastwoods stilsichere Regiehand bis hin zu den Schauspielerleistungen.
Ah, die Schauspielerleistungen. Was für Vorstellungen! Eastwood vereint hier das beste Ensemble seit Jahren, einen absolut perfekten Cast, in dem keiner abfällt, sondern man sich gegenseitig in Grund und Boden schauspielert. Hier sitzt jeder Gesichtsausdruck und jede Geste. So kann zum Beispiel Laurence Fishburne beweisen, dass er mehr kann als im schwarzen Mantel cool auszusehen und dämliche martialische Reden zu halten. Laura Linney hat im Grunde genommen nur eine wichtige Szene, aber in der reißt sie als moderne Lady Macbeth diesen Film fast an sich. Und selbst die Kleinrollen wurden perfekt besetzt: Katie, das Mordopfer, sieht man nur fünf Minuten. Und trotzdem spürt man den Verlust durch ihre Ermordung, eben weil Emmy Rossum sie in kürzester Zeit erinnerungswürdig macht. Auch Nachwuchstalent Thomas Guiry als ihr Freund meistert die schwierige Teenagerrolle mit Bravour. In den Hauptrollen liefern sich dann Tim Robbins und Sean Penn ein schauspielerisches Duell der Extraklasse. Einzig Kevin Bacon kann durch die Limitiertheit seiner Rolle nicht groß auftrumpfen, was seinem zurückhaltenden, glatten Schauspielstil sehr zupasse kommt. Insofern auch eine mehr als passende Besetzung. Einzig der Nebenplot um seine ihn verlassende Ehefrau wirkt unglaubwürdig und überflüssig, ganz als wollte man ihn zusätzlich interessant, weil ebenfalls emotional angeschlagen, machen. Bei Robbins schwankt der Zuschauer zwischen Mitleid und Furcht, ist berührt, wenn Robbins in kindlicher Manier Vampirfilme als Metapher für seine geistige Verfassung gebraucht und hat Angst vor seinem typisch psychopathischen Blick, der einem immer noch durch Mark und Bein fährt. Aber im Grunde genommen gehört dieser Film Sean Penn. Nicht weil er sich selbstherrlich in den Mittelpunkt stellen würde, sondern weil er in einem fantastischen Ensemble der Beste ist. Seine Figur Jimmie Markum ist der perfekte Sean Penn-Charakter, eine Mischung aus Wut und Trauer, wie er sie in vielen großen Performances zeigte ("Aus nächster Nähe" und "Dead Man Walking", um nur einige zu nennen), aber niemals besser als hier. Wie er mühsam seine Wut zu kontrollieren versucht, seinen Kummer herausschreit und weint oder einfach mal gedankenverloren ganz still wird: Hier wird man Zeuge eines großen Schauspielers auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Addiert man noch seine grandiosen Leistungen der letzten Jahre (als Schauspieler und Regisseur) dazu, so m u s s man ihm im nächsten Jahr eigentlich den Academy Award als bester Hauptdarsteller zusprechen.
Bei einem Film, der so reichhaltig ist wie "Mystic River", fällt es schwer, alles aufzuzählen, was diesen Film so großartig macht. Es ist ein extrem spannender Krimi, der gleichzeitig das angewandte Whodunnit-Prinzip mit seiner Auflösung fast ad absurdum führt. Es ist ein Charakterdrama, in dem es Hollywood tatsächlich einmal gelingt, wahre und wahrhaftige Menschen auf die Leinwand zu bringen. Es ist eine fast klassische Tragödie von wiederum fast Shakespeareschem Ausmaße: Die furchterregende Symmetrie der Ereignisse in der Nacht von Katies Ermordung und in der Nacht von der Zuspitzung und Auflösung der Suche nach ihrem Mörder gehen Meilen über die simplen, bequemen und sattsam bekannten Plotstrukturen hinaus und bleiben dank Helgelands Skript doch immer noch glaubwürdig. Ist "Mystic River" als Polizeifilm bzw. Rachedrama getarnt, so lässt er dies spätestens in diesen Momenten locker hinter sich. Haben sich einmal alle Figuren positioniert, so sieht man das tragische Ende unausweichlich kommen. Und doch kann es niemand verhindern. "Mystic River" ist ein Film über Freundschaft und Entfremdung, über Loyalität und Zweifel, über die Sünden der Vergangenheit und die Sünden der Gegenwart, über Wunden - geistige und körperliche - die sich niemals schließen werden. Und vieles, vieles mehr.
Gleichzeitig ist "Mystic River" kein Film, der es einem einfach macht. Gerade seine spröde Art und die Ambivalenz, die Figuren und Geschichte umschließt, mag so manchen Zuschauer (und die Academy) abschrecken, aber wer sich auf diesen Film einlässt, der wird so manche Entdeckung machen. Etwa, dass "Mystic River" in seiner Schilderung und letztlich der Ablehnung von Gewalt das perfekte Pendant zu Eastwoods Oscar-prämiertem Klassiker "Erbarmungslos" ist. Jimmie Markum könnte, zwanzig Jahre in der Zukunft, ein ähnlich gebrochener Mann sein wie William Munny. Beide Charaktere gleichen sich ohnehin, sind (wenn man es denn so einfach ausdrücken darf) böse Männer, die sich in ihr Gutsein hereingekämpft haben, aber immer in der Gefahr sind, in alte Verhaltensweisen zurückzufallen. Und so ist auch das verstörend offene Ende mit dem Epilog durch Jimmies Frau zu verstehen: Von anderen Kritikern als überflüssig empfunden, ist diese Rechtfertigung eine neue Facette, die dem Film zugefügt wird, und den Zuschauer doch mit seiner Entscheidung allein zurücklässt: Kann man die Dinge so sehen, wie Annabeth es tut? Darf man es überhaupt? Und was sind nun die Konsequenzen für Jimmie und die anderen Figuren? Die Antwort kennt nur der Mystic River.
In einer Zeit, in dem einem Filme alle Antworten darlegen, sie vorkauen und ausbuchstabieren; in einer Zeit, in der die Filme lieber laut, schnell und doof sind, als subtil, langsam und intelligent; in dieser Zeit ist "Mystic River" ein Film, der aus seiner Zeit heraus fällt. Der an frühere, bessere Zeiten erinnert. Ja, es ist schon Klischee, aber man muss es trotzdem seufzen: They just don't make 'em like this anymore. Nur Eastwood, der störrische alte Hund, schert sich einen Dreck um Trends und Zielgruppenanalysen. Man möchte ihn küssen dafür. Und gerade weil dieser fantastische Film noch in einem Jahr herauskommt, in dem Hollywood sich fast exklusiv mit der Massenproduktion jener anderen Filme als generische Verdummungsprodukte begnügte, muss man hier einfach die Höchstnote vergeben. Dies ist der Film, an dem sich Hollywood in den nächsten Monaten wird messen müssen. Ein unter der kalten Oberfläche brodelndes, elegisches Meisterwerk.
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