Ob dieser Film nun wirklich die Kinobranche retten oder ihr zumindest einen dringend benötigten Wiederbelebungsimpuls geben kann, weiß man zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Vielleicht ist es doch ein bisschen unrealistisch diese Last nun ausgerechnet einem Christopher Nolan aufzubürden, dessen Filme ja eher verkopft als familienfreundlich daherkommen und auch nicht die Fans einer großen Franchise bedienen.
Ziemlich massentauglich sind sie in der Regel aber dennoch, und daher ist es auch absolut angebracht „Tenet“ als Event-Film anzupreisen. Denn ein Ereignis ist dieses Werk, dass den Zuschauer mit fantastisch choreographierten Actionszenen und einem so vielleicht noch nie erlebten Soundgewitter bombardiert, auf jeden Fall. Es ist aber auch ein Film, bei dem der Meister unter Verdacht steht, mit diesem visuellen Overkill darüber hinwegzutäuschen, dass die von ihm erzählte Geschichte die Tiefe und Komplexität, die sie uns vorgaukelt, nicht wirklich besitzt. Was zu der Frage führt: Ist dieser Nolan vielleicht doch ein Blender?
Die Geheimniskrämerei war groß, auch der Trailer sollte einem nicht mehr als eine ungefähre Ahnung davon vermitteln, worum es eigentlich geht. Nun werden also die Karten auf den Tisch gelegt, und was sich in der ersten Stunde von „Tenet“ entfaltet ist erst mal ein überraschend standardisierter Agententhriller, mit ständigen Schauplatzwechseln und eingestreuten Actionsequenzen. Es knallt schon in den ersten Minuten ordentlich, wenn eine Gruppe bewaffneter Kämpfer die Oper in Kiew stürmt und sich der Protagonist (John David Washington) bei diesem Einsatz bewährt, indem er sogar den Freitod wählt anstatt seine Kollegen zu verraten. Der bleibt ihm dann letztlich doch erspart, und stattdessen wartet ein neuer, noch viel größerer Auftrag auf ihn, für den er das Codewort „Tenet“ erhält. Es geht angeblich um das Schicksal der Welt, die durch eine Art Invasion aus der Zukunft bedroht ist.
Denn von dort gelangen anscheinend immer mehr „invertierte“ Gegenstände und Waffen, die sich rückwärts durch die Zeit bewegen, in unsere Realität. Mehr darüber scheinen nur die wenigen Personen zu wissen, die mit diesen invertierten Objekten handeln, und dabei steht vor allem der Waffenhändler Santor (Kenneth Branagh) im Zentrum der Ereignisse. Der Weg zu ihm führt über seine von ihm entfremdete Ehefrau Kat (Elizabeth Debicki), aber einfach so ist auch die nicht zur Mithilfe bereit. Schon der kleine Gefallen, den der Protagonist (dessen Namen wir nicht erfahren) und sein ihm neu zugeteilter Partner Neil (Robert Pattinson) ihr erweisen sollen, erfordert gigantische Logistik und Aufwand, ist aber dennoch nur der Auftakt einer wilden Reise.
Eine Reise, die über zweieinhalb Stunden zu keiner Sekunde langweilt, das sei gleich mal angemerkt. Und eine, bei der der Betrachter das eine oder andere Mal förmlich in den Sitz gedrückt wird, soviel Power und Druck entfalten sich auf der Leiwand und aus den Lautsprechern. Wenn dann irgendwann im Stadium „Inversion für Fortgeschrittene“ die eine Armeeeinheit vorwärts und die andere rückwärts durch die Zeit marschiert, das genauso für Flugzeuge, Hubschrauber und Schiffe gilt und das zudem absolut wortwörtlich zu nehmen und zu sehen ist – dann hat das schon einen ziemlichen „Wow“-Effekt und darf für sich die Aussage „so noch nicht gesehen“ in Anspruch nehmen.
Im Detail zu verfolgen, wer genau dann wo steht und was gerade bewirkt, ist aber kaum möglich und vermutlich auch gar nicht gewollt. Denn die Empfehlung, das Spektakel am Besten einfach nur auf sich wirken zu lassen ohne es komplett begreifen zu wollen, legt der Regisseur zuvor einer seiner Figuren direkt selbst in den Mund, wenn eine Wissenschaftlerin unserem verwirrten Protagonisten rät: „Versuchen Sie nicht es zu verstehen, fühlen Sie es einfach!".
Was aber eben auch eine recht lapidare Ausrede dafür ist, es dem Zuschauer praktisch unmöglich zu machen, das Geschehen im Verlauf komplett zu entschlüsseln oder überhaupt schon beim ersten Ansehen durchgehend den Überblick zu behalten. Wobei das bis etwa zur Hälfte des Films überhaupt kein Problem ist, erst dann geht es so richtig los, und einige Figuren beginnen in der Zeit zurückzugehen und erneut die Schauplätze aufzusuchen, die wir bereits gesehen haben und abgehakt glaubten.
Was zweifellos zu faszinierenden Momenten führt. Aber der Verdacht, dass es einfach nur die Idee selbst und die Möglichkeiten für deren spektakuläre Umsetzung waren, die zur Produktion von „Tenet“ führten, lässt sich nie ganz ausräumen. Denn letztlich ist das gesamte Konstrukt der Inversion zu absurd und zu unglaubwürdig, um es tatsächlich zu kaufen. Zumindest nicht in der hier präsentierten Form, wo man schon staunen darf, wie eher einfach gestrickte Soldaten es scheinbar mühelos durchblicken, stets den Überblick über das Chaos behalten und genau wissen, was sie darin zu tun haben.
Klar, im Tenet, ähem, Grundsatz funktioniert das schon und es ist auch absolut machbar dem zu folgen, was die designierten Weltenretter jeweils gerade aus welchem Grund erreichen wollen. Im Detail und bei näherem Nachdenken über die Logik der diversen geschehenen oder dann eben doch nicht (mehr) geschehenen Ereignisse ruckelt und hakt es aber gewaltig.Schuldig im Sinne des Vorwurfs „Style over Substance“ lautet daher diesmal recht eindeutig das Urteil, das bei dem artverwandten Vorgänger "Inception" noch nicht so eindeutig ausgesprochen werden konnte.
Und das bedeutet dann fast zwangsläufig auch, dass die Darsteller in so einem Werk überwiegend funktionale Bedeutung haben und nicht viel mehr als das notwendige Mittel zum Zweck sind. So bleibt der namenlose Protagonist von Denzel Washingtons Sohn John David ein Mann ohne klare Eigenschaften, ohne Geschichte und Hintergrund. Es wird dabei irgendwann zwar deutlich, warum das so sein muss, aber das ändert nichts daran, dass es halt keine Rolle ist, die großen Eindruck hinterlässt.
Auch Kenneth Branaghs brutale Schurkenfigur bricht nur selten aus bekannten Motiven aus, während es Elisabeth Debicki in der Rolle der gequälten Ehefrau doch gelingt ein paar wirklich intensive Momente zu kreieren. Als positive Überraschung und Szenendieb entpuppt sich letztlich ausgerechnet der von Robert Pattinson herrlich erfrischend gespielte Neil, der als Einziger eine gewisse Unbekümmertheit und dazu noch Witz und Charme in die Geschichte bringt.
Eine Geschichte, die nach allem Abwägen letztlich einfach ziemlicher Quatsch ist. Aufregender, opulenter und beeindruckender Quatsch zweifellos, aber im Kern halt nicht viel mehr als das. Von einem großen Kinozauberer mit viel Tamtam und Getöse so weit aufgeblasen, dass man zeitweilig wirklich glaubt, hier wird etwas wahnsinnig Originelles und Bahnbrechendes erzählt. Doch wenn der Rauch sich lichtet und der Rausch vorbei ist, bleibt nicht allzu viel davon übrig.
Das ist aber gar nicht so schlimm und im Grunde nicht mal ein echter Vorwurf, denn ein tolles Kinoerlebnis kommt dabei (endlich mal wieder) ja trotzdem zustande. Und dafür vielen Dank, Mister Nolan. Sie Blender.
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