Wes Anderson hat in seiner mittlerweile 25-jährigen Regie-Karriere einen derart markanten, eigenwilligen Stil entwickelt, dass auch eine KI eine sehr klare Vorstellung hat, wie ein Anderson-Film ungefähr auszusehen hat - selbst wenn er "Star Wars" drehen würde. Inzwischen dürfte auch jeder Mensch, der sich halbwegs mit Kino auskennt, eine Vorstellung davon haben, was ihn in einem Anderson-Film erwartet - und entsprechend wissen, ob das etwas für ihn/sie ist oder nicht. Eine irgendwie geartete Anbiederung an ein Mainstream-Publikum hat es bei Anderson nie gegeben und findet auch in seinem neuesten Werk nicht statt. Tatsächlich ist es schon fast ein Spaß für sich, beim Betrachten solch eines Anderson-Films sich einen Normalo-Kinogänger vorzustellen, der völlig unbedarft in diesen Film stolpert, 100 Minuten später wieder rauskommt und sich wütend ärgert, was zum Henker er sich da gerade für einen Quatsch angesehen hat.
Das Schräge, Exzentrische und Absurde war von jeher Andersons Metier, und das ändert sich auch in "Asteroid City" nicht. Mit Wonne versponnen wie eh und je verpackt Anderson seinen Ausflug ins 1950er Jahre "Atomic Age" in eine Meta-Konstruktion, in der uns ein Erzähler (Bryan Cranston) von der Entstehung eines neuen Theaterstücks des Autors Conrad Earp (Edward Norton) erzählt, worauf wir dann jenes Stück quasi als Film sehen, aus dem die Schauspieler dann aber immer mal wieder ausbrechen, um wiederum Szenen aus der Genese des Stücks zu präsentieren, in denen sie dann halt nicht mehr ihre Rolle, sondern deren fiktive Darsteller sind.
Die Handlung selbst - sofern man das eine Handlung nennen kann - spielt sich am titelgebenden Mini-Ort mitten im Nirgendwo der Wüste im südwestlichen Amerika ab. Dort versammelt sich eine kleine Gruppe von Eltern mit ihren jeweiligen Teenager-Kindern zu einer Nachwuchs-Erfinder-Preisverleihung mit astronomischem Rahmenprogramm. Und während allerlei absurde Dinge passieren, steht im Zentrum der frisch verwitwete Fotograf Augie Steenbeck (Jason Schwartzman), der mit seinen Kindern den Tod von Ehefrau und Mutter verarbeiten muss und dabei eine zarte Beziehung zu Star-Schauspielerin Midge Campbell (Scarlett Johansson) aufbaut.
Es treiben sich noch ungefähr ein Dutzend relevante Figuren in "Asteroid City" herum, so ziemlich jede von einem namhaften Hollywood-Star verkörpert, so dass sich die Besetzungsliste auch dieses Anderson-Films mal wieder sehr beeindruckend liest und reihenweise übliche Anderson-Verdächtige ihren (oft nur winzigen) Auftritt haben. Das resultiert in einem Sammelsurium von Momentaufnahmen, die alle einen einheitlichen Charme haben und ein perfekt harmonisierendes Ganzes ergeben, aber eben auch häufig einfach nur für sich selbst stehen und einmal mehr unterstreichen, dass "stringenter Plot" ein Begriff ist, der für Anderson schlicht keine Rolle spielt.
Wie immer bei Wes Anderson ist der Film ein kleiner visueller Rausch. Jede Einstellung ist perfekt komponiert, jede Kamera-Bewegung von mathematischer Präzision, jedes Detail der in typischen, übersättigten 50er-Jahre-Farben gestalteten Bilder genauestens ausgewählt. Das ist filmische Kunst in eigentümlicher Reinform, die sich selbst genügt und in Kombination mit Andersons unnachahmlich trockenem Humor allein durch ihre Form unterhält.
Doch tatsächlich geht es hinter all den wie immer vollkommen stoischen, oftmals provokant ausdruckslosen Gesichtern und Intonationen aller Figuren emotionaler tiefgängiger zu als in allen bisherigen Anderson-Filmen. Denn nicht nur in der Verarbeitung des frischen Todesfalls durch Augie und seine Kinder, auch im Ringen der Darsteller in der Meta-Ebene der Theaterproduktion mit den Details des aufgeführten Stücks geht es mal direkt, mal metaphorisch um sehr Existenzielles. Um Leben und Tod, um Sinnsuche, um Einsamkeit, um die Irrationalität des Daseins und die Schwierigkeit, genau damit klarzukommen. Wenn gegen Ende ein Schauspieler hadert "Ich verstehe das Stück immer noch nicht", und sein Regisseur ihm sagt "Das ist unwichtig, spiel' einfach die Geschichte weiter", dann geht es hier eigentlich um etwas deutlich Größeres als das Stück.
"Ich verstehe das Stück immer noch nicht" mag der oben angesprochene, unbedarfte Zuschauer sich indes auch denken bei Betrachten dieses Films. "Asteroid City" ist letztlich nur etwas für Menschen, die Anderson kennen und lieben. Die werden sich hier wie immer bestens amüsieren. Beim Rest besteht ohnehin wenig Gefahr, dass er sich in diesen Film verläuft. Und wer es trotzdem mal ausprobieren will - einfach mal den oben verlinkten YouTube-Clip angucken. Wer sich von der dortigen Ästhetik angesprochen fühlt, wird vielleicht auch noch zu einem Anderson-Fan.
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