Jetzt ist die Schraube endgültig überzogen. Es mag sich ja finanziell lohnen, aber zum neuesten (denn wer weiß schon mit Sicherheit zu sagen, ob es nun wirklich das letzte ist) Kapitel über die Umtriebe des charismatischen Menschenfressers Hannibal Lecter fallen einem nur noch ein paar ziemlich unfreundliche Adjektive ein. Was schon bei der Ankündigung sehr, sehr fragwürdig und überflüssig erschien, erweist sich nach Betrachten des Endprodukts als ein Film, der alle Befürchtungen, die man haben konnte, nicht nur bestätigt sondern sogar noch übertrifft.
Die knapp zwanzig Minuten, in denen Anthony Hopkins im "Schweigen der Lämmer" zu sehen war, genügten vollauf um einen mehr als bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Dass diese Figur dabei irgendwie mysteriös blieb und nicht als eindimensionaler Bösewicht abgehakt werden konnte, machte sie eigentlich erst wirklich interessant, und die herausragende Darstellung von Hopkins machte sie unvergesslich.
Der Erste, der diese bis dahin in zwei Romanen nur als Nebenfigur aufgetretene Schöpfung schließlich nochmal verkaufsfördernd in den Vordergrund stellte, war dann aber nicht die bezüglich solcher Taten immer verdächtige Filmindustrie, sondern Buchautor Thomas Harris selbst. Hollywood griff aber selbstredend dankend zu, Mr. Hopkins konnte sich in "Hannibal" nun in epischer Breite austoben und das Ganze geriet zumindest noch einigermaßen unterhaltsam, auch wenn es da bereits nach einem kühl durch kalkulierten Geschäft roch und sich die Absage von Jodie Foster für die Rolle der Agentin Sterling schmerzlich bemerkbar machte. Selbst den "Roten Drachen" von vor ein paar Jahren konnte man noch akzeptieren, bot diese Neufassung des ersten Hannibal-Romans (in den 80er Jahren zuvor ohne Hopkins schon Mal ohne großes Aufsehen von Michael Mann verfilmt) doch schließlich eine hervorragende Geschichte und glänzte zudem noch mit Edward Norton und Ralph Fiennes in weiteren starken Rollen.
Soviel zur Historie, aber wer geglaubt (oder vielleicht auch gehofft) hatte, damit sei es nun endgültig gut, der unterschätzt offensichtlich die Geldgier von Thomas Harris und der Produzentenfamilie De Laurentiis. Fortsetzung sowie Remake bereits erledigt und Anthony Hopkins steht nun endgültig auch nicht mehr zur Verfügung? Alles kein Problem, man könnte ja dann noch ... die Jugend des Goldesels erzählen, eben wie er zu dem wurde was er ist (oder isst?). Das könnte der Hopkins eh nicht machen, also gerät man da schon mal nicht in Erklärungsnöte. Und etwaige Zweifel, ob man dem Charakter damit letztendlich nicht all das nimmt, was ihn so interessant machte, nämlich seine Ungreifbarkeit, die eigentlich unerklärliche Dualität einer genauso intelligenten und kultivierten wie abartigen und perversen Persönlichkeit?
Doch nicht bei Thomas Harris, in der Rolle des willigen Erfüllungsgehilfen, der ganz offensichtlich darauf pfeift, auch den letzten Rest schriftstellerischen Anspruchs und Glaubwürdigkeit zu verspielen. Der schreibt das benötigte Drehbuch diesmal gleich selbst, natürlich nicht ohne den neuen "Roman zum Film" gleich hinterher zu schieben. Eine Dreistigkeit, die man ja fast schon wieder bewundern könnte.
Aber auch nur fast, denn das was uns nun präsentiert wird, ist leider an Einfallslosigkeit nicht zu überbieten und derart uninspiriert umgesetzt, dass man sich nur an den Kopf fassen kann. Womit wir nun an dem Punkt angelangt wären, an dem auch mal ein paar Worte über den Film "Hannibal Rising" selbst verloren werden. Aber mehr als diese paar sind auch nicht nötig, denn die hier gezeigte Entwicklung des Hannibal L. entstammt anscheinend dem Werk "Psychologie für Grundschüler".
Kurz gesagt läuft es auf Folgendes hinaus: Im zweiten Weltkrieg hat der junge Hannibal Übles zu erleiden. Die Eltern Lecter werden bei einem Bombenangriff der Nazis getötet, seine geliebte kleine Schwester später von einer Horde hungernder Söldner aus Not verspeist. Unterkunft findet der junge Mann dann nach dem Krieg bei seiner einzigen noch lebenden Verwandten, der eleganten Lady Murasaki, bei der er eine exzellente Ausbildung genießt und sich im Umgang mit asiatischen Waffen vertraut macht.
Da kann man dann eigentlich auch gar nicht anders, als erstens zum gnadenlosen Rächer werden, der sich jeden der damals Beteiligten brutalstmöglich vorknöpft (im Schnitt so fünfzehn Minuten Spielzeit pro Opfer), dies mit zweitens der angeeigneten höflichen Ausdrucksweise tun und schließlich drittens aufgrund des erlittenen Traumas selbst zum Kannibalen werden. Genau so haben wir uns das gedacht, diese Genesis des kannibalischen Mörders birgt nun nicht mehr den Hauch von Rätselhaftigkeit, sie erscheint vielmehr absolut gradlinig, folgerichtig und unvermeidlich. So einfach ist das also mit den Serienkillern, da kann man die umständlichen Profiler eigentlich auch alle entlassen.
Wie "unvermeidlich" also diese Entwicklung ist, versucht uns der Film zusätzlich noch durch auffällig inszenierte Bilder zu verklickern, die immer wieder Bezug auf bekannte Motive des späteren Lecter nehmen. Krönung dieses billigen Tricks ist die berühmte Maske, die nicht nur plakativ das Filmposter schmückt, sondern vom jungen Hannibal irgendwann in der Sammlung seiner Tante entdeckt und prompt unter großem musikalischen Getöse aufgesetzt wird. Was dann wohl zeigen soll, woher sein "Markenzeichen" stammt. Schade nur, dass er sich diese Maske zig Jahre später gar nicht selbst aufsetzte, sondern sie ihm als Sicherheitsmaßnahme von den Ordnungskräften verpasst wurde. Nicht die einzige Szene mit gewollt hohem Wiedererkennungswert, aber ohne jeglichen Sinn.
Es ist überhaupt erstaunlich, wie es der nicht gerade subtil und unauffällig vorgehende Hannibal geschafft haben soll, trotz der Schneise der Verwüstung, welche er hinter sich herzieht, jahrzehntelang unentdeckt zu bleiben. Aber genug der deprimierenden Logikfragen. Kommen wir lieber zum deprimierenden Rest. Denn da ist ja auch noch der arme Gaspard Ulliel in der Hauptrolle, über dessen Bemühungen es nicht viel mehr zu sagen gibt, als dass er von vornherein keinerlei Chance hat. Nicht gegen das überlebensgroße Vorbild und nicht gegen das katastrophale Drehbuch. Gong Lis Lady Murasaki ist zwar auch nicht eben gerade das, was man eine besonders glaubwürdige Figur nennt, bringt aber zumindest etwas Exotik und schauspielerische Klasse ins Geschehen.
Ansonsten werden zumindest alle die Zuschauer gut bedient, die sich an ein paar hübsch choreographierten Metzeleien erfreuen können, bei denen auch ordentlich Blut spritzt. Nach gut zwei Stunden hat der talentierte Mr. Lecter dann seinen Feldzug beendet, aber wir wissen ja, dass es damit noch nicht getan ist. Und es steht zu befürchten, dass wir uns in ein paar Jahren wieder treffen, zu "Hannibal Developing", seinen bisher noch unverfilmten Gesellenjahren von Mitte Dreißig bis Anfang Vierzig.
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