Hamburg 1939, das NS Regime ist seit nunmehr 6 Jahren an der Macht und dennoch hat es eine Gruppe Jugendlicher bis zu diesem Zeitpunkt geschafft, von HJ und ähnlichen Einbindungen in die Propagandamaschinerie der Nazis verschont zu bleiben. Sie selbst nennen sich „SWING KIDS“, kleiden sich britisch elegant, pflegen den Slang der New Yorker Bronx und tanzen ausgelassen zu den Rhythmen von Jazzgrößen wie Benny Goodman und Duke Ellington. Daß Gruppen wie diese nicht in das uniformierte, brachial-volkstümliche Bild der NS-Weltanschauung passen, liegt auf der Hand, und so finden an den abendlichen Wirkungsstätten der Swing Kids, wie dem legendären Café Bismarck, regelmäßig Kontrollen und Razzien statt.
Auch Peter (Robert Sean Leonard) und Thomas (Christian Bale), beste Freunde, zählen sich zu den Swing Kids. Gemeinsam mit ihren Kumpanen Arvid (Frank Whaley) und Otto (Jayce Bartok) bilden sie eine Clique, die sowohl Schul- als auch Freizeit miteinander verbringt, und die vor allem eines eint: die Liebe zum Swing und die damit zusammenhängende Sicht der Dinge. Während Peter bereits unliebsame Bekanntschaft mit der radikalen Vorgangsweise der exekutiven Behörden gemacht hat (sein Vater, Geiger und Universitätsprofessor, wurde 4 Monate lang von der Gestapo dermaßen gefoltert und zermürbt, daß er seine Freilassung nur kurze Zeit überlebte), ist die wohlhabende Familie Thomas‘ bis dato von polizeilichen Übergriffen verschont geblieben. Wenngleich auch in Teilen dieser besser betuchten Kreise der Aufstieg des kleinen Mannes mit Unbehagen registriert wird. Doch der unmittelbare Kontakt der swinging Kids mit offiziellen Organen des Reiches und den ‚Milchgesichtern‘, wie HJ-Rekruten von den Tänzern abschätzig genannt werden, beschränkt sich bis jetzt auf die erwähnten Razzien und vereinzelte Straßenprügeleien, die die Divergenz der Anschauungen widerspiegeln. Besonders Arvid ist ob seines körperlichen Handicaps – er hinkt – und seiner strikten Loyalität zur Musik dankbares Opfer für, von der herrschenden Normengesellschaft animierte, brutale Übergriffe.
Erst als Peter bei dem Versuch, mit Thomas ein Radio zu klauen, das ein unbedeutender Naziblockwart bei der Enteignung einer Familie für sich reklamiert hat, erwischt wird, werden die beiden Jungen aus ihrem Tänzerdasein tiefer in den Sog des nationalsozialistischen Räderwerks gezogen. Zwar entgeht Peter durch die Unterstützung eines einflußreichen Gestapomannes (Kenneth Branagh), der seiner Mutter (Barbara Hershey) den Hof macht, Schlimmerem, dennoch muß er sich daraufhin zur HJ melden, um sich und seiner Mutter tiefgreifendere Unannehmlichkeiten zu ersparen. Aus Freundschaft und Loyalität tritt auch Thomas in die HJ ein und ab diesem Punkt beginnt für die beiden das Versuchsprojekt ‚HJ bei Tag – Swing Boys bei Nacht‘.
Der Film entwickelt sich in weiterer Folge zu einem der schönsten Stücke Erzählkino, das in den letzten Jahren auf die Leinwände unserer Kinosäle projiziert wurde. Er erzählt über Freundschaft, Musik und über den ergreifenden Kampf zwischen der Bewußtseinsbildung innerer Überzeugung und dem Nachgeben gegenüber Forderungen, die aus allen Ecken der unmittelbaren Umwelt gestellt werden. Das alles vor dem Hintergrund des schwärzesten Kapitels der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert, wohl wissend, daß es die Bewegung der Swing Kids in dieser Zeit tatsächlich gegeben hat.
In der einen Minute juckt es den Zuseher in den Füßen angesichts der mitreißenden Tanzszenen, um sich kurze Zeit darauf die Gänsehaut abzuschütteln ob der berührenden dramaturgischen Entwicklungen. Man kommt nicht darum herum, sich mit dem Hintergrund dieses Filmes gedanklich auseinanderzusetzen. Dieses Bedürfnis ist durchaus positiv zu bewerten und der stilvollen Inszenierung zuzuschreiben, doch wenngleich der Streifen zum Nachdenken anregt, ist er meilenweit davon entfernt ein Moral-movie zu sein.
Mit den ursprünglichsten Mitteln des Kinos, ohne Zuhilfenahme aufwendiger computeranimierter special effects, schaffen es Thomas Carter und Kameramann Jerzy Zielinski, auch dank eines großartigen Buches von Jonathan Marc Feldman, das Publikum in den Bann dieser Geschichte zu ziehen. Grandios auch die schauspielerische Darbietung der Darsteller. Sowohl in den Tanzsequenzen als auch in den Szenen, die Ausdrucksstärke und Gefühl für die Rolle verlangen, sind die Protagonisten, allen voran Robert Sean Leonard, Christian Bale und Frank Whaley, geradezu atemberaubend überzeugend.
Bei diesem Projekt haben sich, wie der Zufall es wollte, die richtigen Leute zum richtigen Zeitpunkt zusammengefunden um einen Film zu produzieren, der dem Kino im Allgemeinen, und gerade in Zeiten des specialeffect-überfrachteten Junk-Kinos unserer Tage, nur zuträglich sein kann. Mag sein, daß nicht jedermann/-frau diesem Werk soviel abgewinnen kann, aber für all jene, die in einem Film eine gut erzählte Geschichte verfolgen wollen, deren Bandbreite von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt reicht, ist dieser gelungene Steifen eine gute Gelegenheit sich mal wieder so richtig mitreißen zu lassen.
Arvid: "Quiz time: ‘Got your glasses on‘."
Thomas: "What?"
Arvid: "It means you don´t know who your friends are..."
Originaltitel
Swing Kids
Land
Jahr
1993
Laufzeit
114 min
Genre
Regie
Bewertung
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