Vor wenigen Monaten beendeten wir unsere Rezension zu "Collateral" - angesichts der dort zu beobachtenden, beeindruckenden Wandlung von Jamie Foxx zum Charakterdarsteller - mit einer gewagten Prognose: Dass er binnen weniger Jahre der nächste schwarze Oscar-Gewinner werden würde. Manche Prophezeiungen erfüllen sich jedoch schneller als erwartet, denn nach Sichtung von Foxx' Vorstellung als Ray Charles in der Filmbiografie über die blinde Musiklegende kann das Urteil eigentlich nur lauten: Oscar, und zwar schon dieses Jahr. Zugegeben, für das Abräumen Prestige-trächtiger Preise ist dies eine sehr dankbare Rolle. Doch auch wenn man bei der Darstellung eines weltbekannten, blinden, lange Zeit drogensüchtigen Musikers mit sehr prägnanter Körpersprache eine Riesenshow abziehen kann - überzeugen ist immer noch das erste Gebot. Und Jamie Foxx' Verkörperung des großen Ray Charles ist so detailliert, so punktgenau und präzise in jedem einzelnen Aspekt von den typischen Manierismen bis hin zur Sprache, dass man nur hochachtungsvoll applaudieren kann - und nachhaltig den Oscar fordern.
Dass diese Lobeshymne an Jamie Foxx am Anfang steht
hat gute Gründe,
denn seine Vorstellung ist das Herz, die Seele, das
Zentrum und
der wahre Höhepunkt von "Ray" - eine Biografie, die
ansonsten schön rund gemacht ist, keinen Grund zur Klage
gibt,
aber auch nicht richtig zu begeistern weiß. Wobei man
sowohl
Regisseur Taylor Hackford ("Blood In, Blood Out", "Im
Auftrag des Teufels") als auch Ray Charles selbst, der das
Projekt bis zu seinem Tode im vergangenen Jahr begleitete,
zugute
halten muss, dass sie auf Glamour und Verherrlichung
verzichten,
und Rays Lebensweg entlang den dunklen und dreckigen
Pfaden schildern,
die er tatsächlich gegangen ist - hin zur Erfüllung des
ur-amerikanischen Traums, aus dem Nichts zum Weltruhm
aufzusteigen
einzig dank des eigenen Willens und Talents.
Der
Film beginnt mit der Busfahrt des jungen Ray Charles
Robinson circa
1930 aus dem heimischen Florida bis nach Seattle, wo er in
der lokalen
Jazz-Szene Fuß zu fassen versucht. Über erste Engagements
und erste schmerzhafte Erfahrungen mit den üblen Tricks
des
Geschäfts (schon bald lässt sich Ray seine Gage nur noch
in Ein-Dollar-Noten auszahlen, damit ihn niemand übers Ohr
hauen kann) steigt das Piano-Genie vom Begleitmusiker zum
Bandleader
auf und erhält schließlich seinen ersten Plattenvertrag
bei der legendären Independent-Firma Atlantic Records.
Doch
Ray frönt nicht nur dem Gesang, auch Weib und Wein (oder
Drogen
im Allgemeinen) sind gern genutzte Freuden. Obwohl er
schon früh
seine Frau Della Bea (Kerry Washington) heiratet und sich
als Familienvater
versucht, führt Ray ein Zweitleben auf Tour, in dem seine
Background-Sängerin
Margie Hendricks (Regina King) zu seiner Zweitfrau wird.
Unterdessen
nehmen auch die schlimmen Auswirkungen von Rays
langjähriger
Heroinsucht immer mehr zu, und obwohl er am laufenden Band
die amerikanische
Musik neu definiert durch die Vermischung von Elementen
aus Gospel,
Rhythm & Blues, Rock'n'Roll und Country, kämpft er
doch
stetig weiter an gegen die inneren Dämonen seiner
traumatischen
Kindheit.
Ray
Charles' Schlüsselerlebnisse als Kind, als er den Tod
seines
kleineren Bruders mit ansah und wenig später als
7-jähriger
sein Augenlicht verlor, werden im Film durch mehrfache
Flashbacks
sowie qualvolle Visionen aufgearbeitet - was einerseits
zwar durchaus
Wirkung zeigt, andererseits aber ein überdramatisierter
Faktor
in einem Film ist, der sich ansonsten erfolgreich an einer
fast
schon dokumentarischen Distanz versucht. Soll heißen: Als
Abhandlung über Ray Charles' Leben und Karriere, mit
Berücksichtigung
aller wichtigen Stationen, Wendungen und Entwicklungen,
ist "Ray"
ein unterhaltsamer, informativer und flott erzählter Film,
der trotz zweieinhalb Stunden Laufzeit sehr schnell
vergeht. Versuchen
Hackford und sein Autor James L. White jedoch das
Innenleben des
Sängers einzufangen, dann verlassen sie effekthascherisch
die
Tatsachenebene und versuchen sich an psychologischen
Mätzchen,
die nicht wirklich überzeugen können - vor allem
angesichts
einer schlussendlich überhasteten Auflösung.
Doch dies bleiben kleine Schönheitsfehler in einer
ansonsten
exzellent ausgeführten Film-Biografie. Mit viel Liebe zum
Detail
werden die historischen Settings - von verrauchten
Jazz-Spelunken
bis zu glamourösen Konzertsälen - zum Leben erweckt, die
sozial-kulturellen Ereignisse eingearbeitet (wie Ray
Charles' Involvierung
in die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung) und vor
allem
die wichtigsten stilistischen Wendungen in Charles' Musik
auch für
den Laien begreiflich gemacht - auch wenn die
anekdotenhaft dargestellte
Entstehung seiner größten Hits wie "Unchain my heart",
"Hit the
road, Jack" oder dem unvergesslichen "What I'd say"
(kürzlich in die Top Ten der besten Songs aller Zeiten
gewählt)
etwas unglaubwürdig wirkt. Der Film beschränkt sich zudem
auf den wichtigsten (und dramatisch interessantesten) Teil
in Ray
Charles' Leben, endet im Prinzip im Jahr 1966 und spart so
mehr
als 30 Jahre seiner Karriere aus, ebenso wie ein gutes
Dutzend weiterer
Kinder von ähnlich vielen Frauen. Doch übermäßige
biographische Daten-Akribie kann und darf man von solch
einer Dramaturgisierung
auch nicht erwarten, und nichtsdestotrotz bekommt man hier
in kompakter
Form immer noch ein entscheidendes Stück Musikgeschichte
vermittelt
- mit viel Sex, Drugs, und Rock'n'Roll. Getragen wird das
Ganze
von einem durch die Bank überzeugenden Ensemble,
denkwürdig
bleiben dabei vor allem die Newcomerin Sharon Warren als
Rays unbeugsame
Mutter Aretha, Harry Lennix als sein später Manager Joe
Adams,
und das unaufhaltsame Energiebündel Regina King ("Jerry
Maguire") als Tour-Gattin Margie.
Doch über allem krönt Jamie Foxx, nach zweieinhalb Stunden Laufzeit immer noch so beeindruckend wie am Anfang, als unersetzlicher Glanzpunkt dieser Biografie. Mit seiner Hilfe gelingt es Hackford, der Legende Ray Charles ein monumentales Denkmal zu setzen, seiner inspirierenden Karriere gerecht zu werden und Charles' Erlebniswelt seinem Publikum näher zu bringen. Und mehr kann man von diesem Film eigentlich auch nicht verlangen.
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