Man mag von Baz Luhrmann's Umgang mit den Worten Shakespeares in seiner Neo-Adaption von "Romeo und Julia" halten, was man will: Da war etwas an diesem Film, dem man sich schwer entziehen konnte. In manchen Sequenzen lauerte eine unbändige, wilde Energie, wie sie nur selten im Kino zu sehen ist, und es war zu spüren, dass da ein Regisseur war, der etwas ganz Großes vollbringen könnte, aber sich noch nicht so recht traute. Fünf Jahre später hat er sich getraut. Baz Luhrmann's "Moulin Rouge" ist ein Feuerwerk der Sinne, der Bewegung, der Energie, der Gefühle, der Farben und allem anderen, was Kino zu dem macht, was es ist. Ein Film so reich an einfach allem, was man sich in einem Film wünschen kann, dass man fast Angst bekommt, vor Freude zu ersticken.
Mit dem weltberühmten Moulin Rouge hat das Ganze indes nur die Location gemeinsam, alles andere ist hier viel zu bunt, aufregend und wundervoll, um wahr zu sein: Der junge Schriftsteller Christian kommt Ende des 19. Jahrhunderts aus der französischen Provinz nach Paris, um über die Ideale der Bohemiens zu schreiben: Wahrheit, Schönheit, Freiheit und vor allem Liebe. Nur hat er die Liebe noch nie kennen gelernt. Das soll sich sehr schnell ändern: Von seinen neuen Freunden, dem Zwerg Toulouse Lautrec und seiner Schauspiel-Truppe, in den berühmten Cancan-Club Moulin Rouge geschleppt, verliebt sich Christian auf der Stelle in den Star des Etablissements, die bezaubernde Satine. Dank einer kleinen Verwechslung finden sich die beiden bald in intimer Zweisamkeit wieder, und schon ist's um beider Herzen geschehen. Beseelt von so viel Liebesglück schreibt Christian ein neues Stück, als dessen Star Satine endlich von der einfachen Tänzerin und Kurtisane zur richtigen Schauspielerin aufsteigen soll. Doch dem Glück im Wege steht neben dem gierigen Duke, der für seine finanzielle Unterstützung des Projekts nicht nur das Moulin Rouge, sondern auch Satine will, auch noch die Tuberkulose, die Satines Leben bedroht.
Wie die meisten Musicals wartet auch "Moulin Rouge" mit einer relativ simpel gehaltenen Geschichte um die große Liebe und ihre Bedrohung auf, schwingt sich dabei aber zu Höhen empor, die selten ein Film (und noch weniger ein Musical) erreicht hat. In einer Zügellosigkeit, die in der Filmgeschichte ihresgleichen sucht, rasen Luhrmann und seine überirdisch agierenden Hauptdarsteller durch die Achterbahnfahrt der Handlung. Eingebettet in rasant montierte Kollagen voller Farbe und Ekstase scheinen Kidman und McGregor geradezu vor Energie zu platzen, so wild und intensiv gerät ihr Spiel, so viel pure und ungebundene Freude sprüht aus ihren Vorstellungen.
In traumwandlerischer Sicherheit wandert "Moulin Rouge" über den schmalen Grat von der ekstatischen Komödie, in ihrer Absurdität hemmungslos albern, hin zur emotional überbordenden Love Story, um schließlich als beinah epische Tragödie zu enden. Ein Spektrum, das fast unmöglich erscheint, aber noch zu den kleinsten Wundern dieser filmischen Wundertüte zählt. Denn Baz Luhrmann bedient sich eines ebenso simplen wie brillanten Kniffs, um die richtige Stimmung zu erzeugen: Der Kraft der Musik, der Musik, die jeder kennt. Die größten Teile des Sing- und Tanzbetriebes in "Moulin Rouge" werden erfüllt und begleitet von Adaptionen legendärer Rock- und Popsongs in neuem Musical-Gewand. Von "Smells like teen spirit" bis zu "Roxanne", von Madonna bis Elton John bedient sich der Film in genialer Weise am Repertoire der jüngeren Musikgeschichte und bettet diese Stücke so elegant ein, als wären sie genau dafür geschrieben worden. Mehr noch: Manche Songs wachsen in Luhrmann's Variation noch weit über ihre ursprüngliche Größe hinaus. So erhält z.B. Queen's "The show must go on" hier eine so überlebensgroße Dramatik, dass jedes andere Adjektiv als episch zu klein geraten wäre.
Wie ein doppelter Best-of-Sampler vereinigt "Moulin Rouge" die Größten der Popmusik mit dem Besten, was die Kino-Kunst zu bieten hat. Man mag Luhrmann vorwerfen, dass das einzig Echte in seinem Film die Gefühle der Protagonisten seien, aber genau dies macht "Moulin Rouge" zu so einem großartigen Erlebnis: Er feiert das Kino als eine Welt der Illusionen, in der alles größer, schöner, bunter, schneller und wilder ist, oder kurz: Genau so, wie wir unser Leben gerne hätten. Entführt in einen heftig pulsierenden Mikrokosmos aus Bildern, Farben, Tönen und Musik darf der Zuschauer teil haben an der unbändigsten Feier der Möglichkeiten des Kinos, die es je zu sehen gab (zumindest kann sich der Rezensent an nichts vergleichbares erinnern).
Doch in der Mitte all dieser ungezügelten Wildheit, dieser Explosion von Kreativität und Schaffensfreude, verbleiben Satine und Christian als der Kern einer Geschichte, die bei all dem schönen Schein nicht für eine Sekunde vergisst, dass sie in ihrem Inneren eine einfache, wunderschöne, bittersüße und gnadenlos zu Herzen gehende Love Story ist. So hemmungslos wie Luhrmann's Feier der künstlerischen Freiheit, so groß sind die Gefühle seiner beiden Protagonisten. Und daher ist "Moulin Rouge" weit mehr als der unglaublichste Bilderrausch des Jahres. Manche Geschichten werden geschrieben, um die Liebe am Leben zu erhalten, und manche Filme werden gemacht, um das Kino am Leben zu halten. Und wenn dies beides gleichzeitig passiert, dann entsteht etwas, dessen Erlebnis nur noch eines ist: Einzigartig.
Originaltitel
Moulin Rouge
Land
Jahr
2001
Laufzeit
126 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
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