Boyhood

Originaltitel
Boyhood
Land
Jahr
2014
Laufzeit
163 min
Genre
Release Date
Bewertung
9
9/10
von Margarete Prowe / 3. Juni 2014

“Gibt es eigentlich Magie in der Welt, Dad?” fragt der kleine Mason (Ellar Coltrane) seinen Vater Mason Senior (Ethan Hawke) in Richard Linklaters neuem Film „Boyhood“. Der muss leider verneinen, doch wer das Glück hat, „Boyhood“ zu schauen, gibt gerne zu: „Vielleicht gibt es doch ein wenig Magie in dieser Welt“. Trotz kleiner erzählerischer Längen schafft es Linklater in dieser Ode an die Familie das ganz normale Heranwachsen so liebevoll zu porträtieren, dass man nur lächelnd heimgehen kann und sich auf die Zukunft des mittlerweile siebzehnjährigen Mason (immer noch Ellar Coltrane!) freuen. BoyhoodFür das Filmgeschäft irrsinnige zwölf Jahre lang filmte Richard Linklater diese Geschichte in jedem Jahr für drei bis vier Tage mit den gleichen Schauspielern, während er acht andere Filme drehte, unter anderem „Before Sunset“ und „Before Midnight“.

Als er mit diesem Film begann, war Linklater schon mit „Slacker“, „Dazed and Confused“ und „Waking Life“ als innovativer Filmemacher aufgefallen, doch „Boyhood“ setzt seinem Werk nun die Krone auf und brach kurzerhand die gültigen Spielregeln einer Filmproduktion. Als der Dreh startete, war Ellar Coltrane gerade einmal sechs Jahre alt und hatte nun einen Filmvertrag über zwölf Jahre, also das Doppelte seines bisherigen Lebens. Immer wieder musste Produzent Jonathan Sehring seinem Arbeitgeber erklären, warum es noch Jahre dauern würde, bis man endlich Ergebnisse für die Kosten in der Abrechnung des vorliegenden Jahres sehen würde. Jeden Sommer musste Linklater mit den nicht gerade wenig beschäftigten Schauspielern in den Elternrollen, Patricia Arquette und Ethan Hawke, Termine finden, an denen gedreht werden konnte. Und gleichzeitig musste das gedrehte Material ästhetisch auch noch zu den vorher gedrehten und geschnittenen Teilen passen und sich am Ende zu einem Spielfilm verbinden lassen. Dass Linklater dies gelang, zeigt seine Qualitäten als Filmemacher und es ist zu erwarten, dass „Boyhood“ über die Jahre zu einem Klassiker werden wird.


Der kleine Mason ist sechs Jahre alt, hat eine etwas nervige, zwei Jahre ältere Schwester namens Samantha (die Tochter des Regisseurs, Lorelei Linklater) und seine Eltern sind zu diesem Zeitpunkt schon ein Jahr lang nicht mehr zusammen. Vater Mason Senior (Ethan Hawke) hat sich in Alaska von seiner Beziehung erholt und will nun wieder Anschluss an seine Kinder und ihre Mutter finden, was Masons alleinerziehende Mutter Olivia (Patricia Arquette) auf die Palme bringt. Die zieht mit ihren Kindern nach Houston, um dort ihr Studium zu beenden, was sie aufgrund ihrer frühen Schwangerschaft nicht geschafft hatte.

BoyhoodDie Jahre ziehen langsam vorbei, der Zuschauer erkennt dies an neuen Männern im Leben von Olivia, sieht Masons Haare wachsen oder abrasiert werden, erblickt immer modernere Spielkonsolen und sieht Mason zu einem jungen Mann heranwachsen, der gerade das College beginnt. Auch Vater Mason Senior wird Teil des Lebens seiner Kinder geworden sein.


Klingt langweilig? Ist auch manchmal so, denn Linklater zeigt bis auf einige Ausnahmen nicht die dramatischen Ausschläge in Masons Leben, sondern lässt diese gern im Off stattfinden und konzentriert sich lieber auf kleine flüchtige Augenblicke im Leben eines Jungen und Jugendlichen. Eine weitere gescheiterte Beziehung der Mutter ist nach dem nächsten Schnitt schon verschwunden. Weder der erste Kuss von Mason noch seine Schul-Abschlussfeier werden gezeigt, dafür das ganz normale Leben, was als Summe kleiner Momente vorbeizieht, bis wir auf einmal merken, dass aus dem kleinen wuscheligen Bubi von eben ein tiefsinniger junger Mann geworden ist, der sich nicht so einfach dem American Way of Life unterordnen will, sondern stattdessen Künstler werden möchte. So werden nicht mehr die kleinen Längen des Films erinnert, sondern das auch mal langweilige und doch trotz aller Langeweile Großartige und Aufregende des Aufwachsens, was sich im Kino erst selten oder vielleicht noch nie so behutsam entfalten durfte wie hier.

Linklater blendet keine Jahreszahlen ein, sondern nutzt kulturelle, technische und zeithistorische Marker, um die Zeit für die Zuschauer zu verorten. Zu Beginn bewirft Samantha ihren Bruder mit Kissen und singt mit ihrer Kleinmädchenstimme Britney Spears‘ „Oops, I did it again“, dann folgt über die Jahre ein musikalischer Teppich von Coldplays "Yellow" über Phoenix, Lady Gaga und Arcade Fire bis hin zu Daft Punks "Get lucky" und "Hero" von Family of the Year. Der Gameboy in Masons Händen wird irgendwann ein iPhone, seine Mutter liest aus dem ersten „Harry Potter“-Buch und zwei Stunden später werden Mason und seine Schwester im Auftrag ihres Vaters Wahlplakate für Barack Obama in Vorgärten stellen, bevor Mason nicht viel später einen Witz über die NSA-Überwachung macht.

BoyhoodDie Wahl des Kindes Ellar Coltrane erweist sich als richtig, aus ihm wird ein schlaksiger Jugendlicher, der immer mehr Feinheiten seiner Rolle, in die er ja im wahrsten Sinne des Wortes hineinwächst, darstellen kann. Auch Lorelei Linklater und Ethan Hawke füllen ihre Rollen glaubwürdig, doch ist Patricia Arquette als Mutter schier unglaublich und neben Ellar Coltrane der interessanteste Charakter. Sie versucht ihren Kindern eine schöne Kindheit zu bereiten, trifft auch mal falsche Entscheidungen und kämpft doch darum, trotz aller Widrigkeiten alles ins Lot zu bringen. Sie wirkt so wahrhaftig, wenn die Kinder sie zum Beispiel beschimpfen, warum sie gerade ihren nächsten Ehemann (einen cholerischen Alkoholiker) verlassen hat und sie nun in eine andere Schule müssen, und sie daraufhin einfach mal herumschreit und heult.

„Boyhood“ galt auf der diesjährigen Berlinale als der Film, der den Hauptpreis hätte gewinnen sollen und müssen und dann doch nur den Silbernen Bären für die Beste Regie bekam. Auf lange Sicht wird er trotzdem einer der Filme sein, die einem im Gedächtnis bleiben und die man sich auch gern noch einmal anschauen wird. Ein Film für Söhne und Töchter und Mütter und Väter, der seinen Ursprung 2002 nahm mit Richard Linklaters schlichter Überlegung: „Warum versuche ich nicht einfach mal, die gesamte Kindheit in einem Film festzuhalten?“

Bilder: Copyright

9
9/10

Wunderschöner Film, in dem einfach alles stimmt. Großartige Leistung aller Beteiligten. Ein echtes Kinoerlebnis. Kann jede Zeile der filmszene-Kritik unterschreiben – und betrübt feststellen, daß sich sonst anscheinend keine Sau hier für dieses Meisterwerk interessiert.

Permalink

10
10/10

In einem englischen Kino in Wien gesehen und das Kino nach bewegenden knapp 3 Stunden mit einem breiten Lächeln verlassen. Ein Meisterwerk und für mich der beste Film des Jahres!

Permalink

5
5/10

IMDb 8,5, Rotten Tomatoes 99%, Metacritic nicht weniger als 100%(!). Und dann komme ich. Also gut, das Filmprojekt an sich ist schon beeindruckend. 12 Jahre Drehdauer. Was da alles hätte schiefgehen können? Aber es hat grundsätzlich funktioniert. Die Alterung und Veränderung der Darsteller waren noch nie so authentisch. Dafür gibt es Punkte und dickes Lob an ein weiteres interessantes Projekt von Linklater.

Blende ich all dies mal aus, bleibt allerdings ein recht fader Film übrig. Nicht ansatzweise wurden meine Erwartungen an einen fast dreistündigen Film über das Heranwachsen eines Jungen erfüllt. Es wird Szene um Szene aneinandergereiht, welche alle wie erwartet ablaufen und voller US-Klischees sind (Junge bekommt seine erste Bibel, sein erstes Gewehr etc.). Die Geschichte der kaputten Familie überzeugt zwar, aber nur durch Arquette und Hawke, die ihre Sache richtig gut machen. Zwar gibt es auch hier und da die sattsam bekannten Dialoge zwischen Wochendend-Vater und Kindern, aber ok.
Eigentlich geht es doch aber um den Jungen, um seine Kindheit. An diesem gehen die Streitereien, die Umzüge, die alkoholkranken Ersatzväter aber komplett vorbei. Hier hat der Film hinsichtlich seiner Hauptfigur keine Tiefe oder psychologische Komponenten, die darstellen, was solche Erlebnisse aus einem Kind machen bzw. wie es charakterlich geprägt wird. Seine Szenen sind gerade im zweiten Teil des Film so unterirdisch dröge und belanglos, dass man gar keine Lust mehr hat, ihm zu folgen. Auch die Liebe bleibt fast außen vor, außer dem gängigen Geknutsche auf irgendeiner Autorückbank nichts tiefgehendes. Ansonsten Seitenhiebe auf die US-Politik und Schmalz (vom Gärtner zum Geschäftsführer, dank eines "Geh-zur-Schule"-Ratschlags).

Fazit: Ein innovatives, spannendes Projekt, welches dann leider nur noch mit Abhaken einer Childhood-ToDo-List beschäftigt ist.

Permalink

kein FEHLERALARM: Für "Boyhood" ist vom Verleih Universal Pictures ab dem 22. Januar ganz offiziell eine Wiederaufführung angesetzt. In wievielen Kinos der Film dann wirklich noch einmal laufen wird, muss man sehen, aber ein Irrtum ist dies nicht.

Permalink

7
7/10

Ich sehe das genauso wie Stan.

Ein tolles und mutiges Projekt und klar, man kann nicht wissen, ob aus dem kleinen Jungen ein guter Schauspieler wird, der überzeugende Damastenen spielen könnte - aber welcher Jugendliche bleibt von so einem Leben so unberührt? Es gab zwar tolle Momente (wie das Gespräch mit Vater Nr. X, als er spät nach Hause kommt oder das Gespräch mit Ethan Hawke bei der Bandprobe), aber ein Ausraster, ein Zusammenbruch, ein Moment der Schwäche wären logisch, sehenswert und wichtig gewesen. Stattdessen möchte man den Hauptdarsteller zwischendurch schütteln und fragen, ob er mit seinen Gedanken woanders ist und gar nicht merkt, was da bei ihm passiert.

Schade, das kann Linklater viel besser. Hätte mir so viel persönliche Reflektion wie bei den "Before…"-Filmen gewünscht. Natürlich denkt ein Jugendlicher nicht permanent ausufernd über das Leben an sich nach, aber diese Suche nach dem eigenen Ich und das damit einhergehende Gefühl der Ohnmacht sowie die darauf folgende Aufbruchstimmung, die wir alle aus Teenagerjahren zu gut kennen, war einfach nicht da. Aber das sollte sie.

Permalink

4
4/10

..selber Schuld in der Filmkritik steht es oft genug : LANGWEILIG ...kein totaler Mist durch HAwke ...1 Stunde zu lang und ohne PEP.

Permalink

4
4/10

Tolles Konzept! Aber leider überraschungsarm, stereotypisch, langweilig und banal. Ein paar schöne Dialoge machen die lange Laufzeit halbwegs erträglich.

Permalink

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
CAPTCHA
Diese Aufgabe prüft, ob du menschlich bist um Bots zu verhindern.