1994 drehte der Regisseur Richard Linklater, der mit seinem Generation-X-Kultfilm "Slacker" (1991) und der 70er-Highschool-Komödie "Dazed and confused" (1993) erste Achtungserfolge gefeiert hatte, einen klitzekleinen Independent-Film, der die besten Eigenschaften seiner Art par excellence vorführte: Man nehme eine Story mit nur zwei Hauptcharakteren, drehe mit einer kleinen Crew und hauptsächlich natürlichem Licht nur an Originalschauplätzen und in einer preiswerten Umgebung (also nicht in Hollywood oder New York). Wenn man bei dieser sparsamen Produktion dann auch noch einen der abgegriffensten Standards für romantische Liebesgeschichten nimmt, und daraus einen absolut ergreifenden, wundervollen Film macht, hat man wieder mal gezeigt, dass ein wirklich guter Film keine Frage des Geldes, sondern nur des Talents ist. Ob Jesse und Celine heute wie damals in ihr altes Leben zurückkehren, oder ob die konstant in der Luft liegende Chance auf einen unverhofften Wendepunkt in ihrem Leben Gestalt annimmt, bleibt bis zum Ende die offene Schlüsselfrage. Es sei nur soviel gesagt: Der Schluss ermöglicht durchaus ein weiteres Kapitel, und auch wenn "Before Sunset" die einfache Brillanz und herzerwärmende Frische seines Vorgängers nicht ganz erreicht: Es war schön, Jesse und Celine wieder zusehen. Und wer weiß, vielleicht begegnen wir den beiden in zehn Jahren noch einmal auf der Leinwand. Europa hat noch so viele schöne Hauptstädte ….
"Before Sunrise" erzählte die Geschichte von Jesse und Celine, deren Aufeinandertreffen aus einem schlechten Schulzroman stammen könnte: Am letzten Tag vor seinem Rückflug trifft der amerikanische Tourist Jesse (der ewige Slacker Ethan Hawke, für den diese Rolle Image-definierend wurde) im Zug die französische Studentin Celine (Julie Delpy). Nach einer kurzen Unterhaltung sind sie sich sympathisch genug, als dass Celine Jesses Einladung annimmt, in Wien mit ihm auszusteigen und sich in der Stadt zusammen die Nacht um die Ohren zu schlagen, bevor am Morgen sein Rückflug nach Amerika geht. Und so wanderten die beiden die ganze Nacht und den ganzen Film lang durch Wien, trafen manch lustige Gestalten und unterhielten sich über Gott und die Welt. Und unter der schützenden Decke der endlosen, faszinierend-banalen Dialoge wuchs heimlich eine unaufdringliche Liebesgeschichte heran, getragen vom Zauber der plötzlichen Begegnung, von der Möglichkeit einer verwandten Seele, von der Liebe auf den ersten Blick. Lebensnah, präzise und zugleich subtil fingen Linklater und seine beiden herausragend spielenden Hauptdarsteller diese zart knospende Romanze mit all ihren Hoffnungen, Zweifeln und Versprechen ein, während sie gleichzeitig zwei Charaktere von enormer Tiefe entwarfen. Das ergab nicht umsonst einen der schönsten und echtesten Liebesfilme der 90er Jahre.
Das bewusst offene Ende - am Ende trennen sich ihre Wege, doch man verspricht sich ein Wiedersehen am Bahnhof sechs Monate später - ließ Raum für Spekulationen, und schließlich auch für eine Fortsetzung.
Neun Jahre später setzte sich das kreative Trio wieder zusammen und konzipierte das Wiedersehen von Jesse und Celine. Er ist inzwischen Roman-Autor, der mit der Fiktionalisierung seiner Erlebnisse aus der damaligen Nacht Erfolge feiert und auf Promo-Tour nach Paris kommt. Dort trifft er in einem Buchladen auf Celine, und die beiden nutzen die knappe Stunde Freiraum in Jesses Terminkalender für den nächsten Spaziergang durch eine europäische Hauptstadt.
Wieder gesehen haben sie sich damals nicht in Wien, aus lebensecht banalen Gründen, doch das Warum ist eigentlich auch egal, wenn der große romantische Traum geplatzt ist. So lebten Jesse und Celine beide ihr normales Leben weiter, heirateten und bekamen Kinder, aber vergessen haben sie sich nicht.
Und so wird die wahre Geschichte auch in "Before Sunset" vornehmlich unter den Dialogen erzählt, in den zarten Gesten der Schauspieler, die soweit mit ihren Charakteren verwachsen sind, dass sie mit einem einzigen kurzen Blick mehr zu sagen vermögen als mit tausend Worten, so kitschig das auch klingen mag. Für eine gute Stunde spielt sich der emotionale Aufruhr des Wiedersehens mit der vermeintlich größten Liebe des eigenen Lebens einzig in der dezenten Körpersprache von Hawke und Delpy ab - und das ist fast faszinierender anzusehen, als sich auf die Dialoge zu konzentrieren.
Diese Gespräche illustrieren derweil Celines und Jesses Lebenssituation, mit allem was dazugehört. Karriere, Familie, Lebenserfahrung und damit einhergehende Abgeklärtheit, aber auch ewig nagende Zweifel, zurückgelassen von den langsam verloren gegangenen Idealen der Jugend. Hier vervollständigen Linklater, Hawke und Delpy das Generationsportrait, das sie mit "Before Sunrise" begonnen hatten, und folgern erstaunlich nüchtern, dass auch für ihre Generation die Träume der Jugend häufig nicht mehr als Träume waren, und dass der Kampf um die Erhaltung dieser romantischen Ideale nicht nur sehr schwer, sondern vielleicht gar nicht zu gewinnen ist. Wie sagte John Lennon so schön: "Life is what happens while you're busy making other plans."
Was im Vergleich zum ersten Teil fehlt ist vor allem der besondere Charme des Drehorts. Die verwinkelten Gassen Wiens trugen mit ihrem ganz eigenen Charakter entscheidend zur Atmosphäre von "Before Sunrise" bei, zudem war der eher zufällig gewählte Drehort erfrischend unabgegriffen. Paris hingegen ist - bei aller Schönheit - ein romantischer Allgemeinplatz, der sich mit Seine-Bootsfahrt und Aussicht auf Notre-Dame (und trotz Linklaters Auge für die kleinen Details einer Stadt) die meiste Zeit auch so anfühlt. Die Dialoge wiederum sind mit den Charakteren reifer und auch etwas gesetzter geworden, häufig fehlt ein wenig die Spontaneität und Begeisterung von früher. Ein Vorwurf für die Authentizität der gealterten Figuren kann das natürlich nicht sein, es beeinträchtigt jedoch ein wenig den Genuss des pausenlosen Redeflusses. Auch wenn trotzdem angemerkt werden muss, dass das Autoren-Trio das verbale Hin und Her über die gesamte Länge abwechslungsreich und interessant gestaltet und die Dialoge nie von authentisch nach aufgesetzt abrutschen.
Land
Jahr
2004
Laufzeit
75 min
Genre
Regie
Cast
Release Date
Bewertung
Bilder: Copyright
Warner Bros.
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