Mitte Ende August

Jahr
2009
Laufzeit
92 min
Genre
Release Date
Bewertung
5
5/10
von Frank-Michael Helmke / 21. Juni 2010

 

 Es wäre aber auch zu schön gewesen. Da hatte Sebastian Schipper geschlagene acht Jahre vergehen lassen, bevor er seinem genialen Hamburg-Kultfilm "Absolute Giganten" mit "Ein Freund von mir" einen nicht weniger gelungenen und klugen Film über die schönen Themen Freundschaft und Freiheit folgen ließ. Drum freute man sich zunächst außerordentlich, auf der diesjährigen Berlinale nach diesmal nur zwei Jahren Wartezeit den nächsten Schipper-Film bewundern zu können. Und dann das….

Das junge Paar Hanna (Marie Bäumer) und Thomas (Milan Peschel) hat sich ein baufälliges, abgelegenes Haus auf dem Land gekauft und macht sich nun in sommerlicher Idylle und sorgenfreier Pärchen-Harmonie an die ersten Schritte zur Do-it-yourself-Sanierung. Die Einträchtigkeit kommt ins Wanken, als Thomas den telefonischen Bitten seines Bruders Friedrich (André Hennicke) nachgibt, ihn ein paar Tage bei sich aufzunehmen, nachdem er grad von Frau und Kind verlassen wurde. Die etwas eingeschnappte Hanna lädt daraufhin auch ihre Nichte Augustine (Anna Brüggemann) ein. In dieser neuen Viererkonstellation geraten plötzlich die Hormone in Wallung und das Unheil nimmt seinen Lauf…

… einzig man versteht nicht so richtig, warum. Diese Krux liegt bereits im Ausgangsmaterial begründet, denn "Mitte Ende August" ist eine lose Adaption von Goethes "Wahlverwandtschaften". Kurzer literaturwissenschaftlicher Exkurs: Der Titel von Goethes Roman entstammt der Wissenschaft seiner Zeit und erklärte damals die Eigenart chemischer Reaktionen, bei denen ein Stoff A eine bestehende Verbindung mit einem anderen Stoff B löst, um sich stattdessen mit einem dritten Stoff C zu verbinden. Die Stoffe A und C galten damit als "wahlverwandt". In seinem Roman übertrug Goethe diese wissenschaftliche Erkenntnis nun auf zwischenmenschliche Beziehungen: Eine bestehende Beziehung droht, auseinander gerissen zu werden, als zwei andere Personen auftauchen, die auf die Partner eine größere Anziehungskraft ausüben.
Wo diese Anziehungskraft herkommt, ist jedoch nicht ersichtlich. Goethe interpretierte Liebe hier letztendlich als eine unfreiwillige, chemische Macht, gegen die sich der Verstand nicht wehren kann. Was jedoch bei Goethe erst der Ausgangspunkt des eigentlichen Kernkonflikts war (da seine Protagonisten ihre Leidenschaft nicht ausleben können, ohne gegen unüberwindbare gesellschaftliche Regeln zu verstoßen), führt bei Schipper leider ins dramaturgische Nichts.

Mal abgesehen von der Hypothek auf das Landhaus steht eigentlich nichts auf dem Spiel, falls die Beziehung von Hanna und Thomas in die Brüche gehen sollte. Dem Zuschauer wär's jedenfalls relativ egal, denn Schipper verweigert fast konsequent eine brauchbare Innenansicht seiner Figuren. Man kann sie zwar grob als Typen und Charaktere greifen, verständlich oder nachvollziehbar ist ihr Verhalten jedoch nie. Das ist zu einem Gutteil natürlich Konzept, da die wechselnde Anziehungskraft (Hanna fühlt sich plötzlich zu Friedrich hingezogen, Thomas macht sich vor Augustine zum Gockel, um ihr zu imponieren) frei nach Goethe ausbricht wie eine chemische Reaktion - und ihren Grund eben nicht aus den Figuren heraus generiert. Der Film versucht gar nicht erst, so etwas wie nachvollziehbare Motive zu etablieren, warum sich die Gefühlsgunst der Beteiligten auf einmal ändert. Alles spielt sich nur über das veränderte Verhalten ab, anhand dessen es dem Publikum überlassen bleibt, die dahinter liegenden Gefühlswallungen zu dechiffrieren.
Das ist natürlich ein Fest für die Schauspieler, da die Dialoge auf ein Minimum reduziert sind und fast alles über Körpersprache transportiert wird. Das funktioniert indes mal mehr, mal weniger gut: Milan Peschels Balzgehabe, sobald Augustine auftaucht, hat etwas peinlich-authentisches, tendiert aber manchmal zu sehr Richtung nur noch peinlich. Anna Brüggemann versprüht durch ihr Spiel sehr eindrucksvoll eine unschuldig-verheißungsvolle Erotik und ist hier eindeutig der heimliche Star der Show. Da fällt Marie Bäumer im direkten Vergleich doch deutlich ab, die vor allem durch konsequentes Schmollen auffällt und aus ihrer Figur am wenigsten herauszuholen weiß.

Das Gefühl einer etwas Theorie-lastigen Schauspieler-Übung kann der Film jedenfalls nie ganz überwinden. Hier bleibt einfach zu viel ungesagt, zu viel in den winzigen Nuancen der Verhaltensänderungen versteckt. Beizeiten nimmt sie "Mitte Ende August" aus wie ein Experiment dazu, wie subtil man Wendepunkte inszenieren kann, bis sie nicht mehr zu erkennen sind. Dieser Eindruck drängt sich mit zunehmender Laufzeit immer mehr auf, spätestens nach einer Stunde kann man auch beim besten Willen und Schipper-Bewunderung nicht mehr darüber hinwegsehen, dass die stille Beobachtung des Geschehens zusehends eintönig wird und es dem Film und seiner Geschichte einfach an Dynamik fehlt.
Dann verliert sich auch die anfangs noch gefütterte Begeisterung für das Talent Schippers, kleine, eigenwillige Momente zu erzeugen, in denen seine Darsteller komplett aufgehen können und die viel mehr über eine Figur sagen als ein ausschweifender Dialog. Hier erinnert Schipper noch daran, was für ein großartiger Kino-Erzähler eigentlich in ihm steckt. Ein Können, das im weiteren Verlauf des Films aber immer mehr vermisst wird. Zu ziellos, zu beliebig wirkt das Bäumchen-wechsel-dich-Spiel, die Figuren bleiben letztlich zu fremd und unverständlich, als dass es einen wirklich juckt, ob Hanna und Thomas am Ende nun zusammen bleiben oder nicht.

Was bleibt ist ein konzeptuell überangestrengter Film, der zugunsten seiner theoretischen Metaebene auf faszinierende Figuren oder eine wirklich dramatische Geschichte verzichtet. Keine gute Idee. So muss man konstatieren, dass Sebastian Schipper mit seinem dritten Film den ersten veritablen Flop vorlegt. Hoffen wir, dass es beim nächsten Mal wieder besser wird - da warten wir auch lieber wieder acht Jahre, wenn bei kürzerem Rhythmus nur so etwas wie "Mitte Ende August" rauskommt.


Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
CAPTCHA
Diese Aufgabe prüft, ob du menschlich bist um Bots zu verhindern.