
Alles redet von globaler Erwärmung, und Roland Emmerich macht einen Katastrophenfilm über eine neue Eiszeit? Was sich zunächst wie gänzlich realitätsferner Blödsinn anhört, ist tatsächlich wissenschaftlich fundiert, zumindest in der Theorie: Denn der Treibhauseffekt sorgt mit seinen global steigenden Temperaturen bekannterweise für das Abschmelzen der Polkappen, so dass jede Menge frisches Wasser in die Ozeane gerät. Zuviel davon kann theoretisch die natürliche Balance des Golfstroms - jenes Klimaphänomens im Nordatlantik, das die gesamte nordwestliche Hemisphäre mit warmer Luft versorgt - zusammenbrechen lassen. Die Folge wäre eine rapide Abkühlung der gesamten nördlichen Erdhalbkugel, und die nächste Eiszeit wäre da.
Genau diese Theorie vertritt der Klimaforscher Jack Hall (Dennis Quaid), trifft damit bei den zuständigen politischen Entscheidungsträgern aber nur auf ein amüsiertes Lächeln ob seiner sensationalistischen Panikmache. Dieses Lächeln gefriert allerdings im wahrsten Sinne des Wortes, als die von Hall für einen Zeitpunkt in hundert bis tausend Jahren prognostizierten Klimaveränderungen im Hier und Jetzt einsetzen, und sich innerhalb weniger Tage ein weltumspannender Sturm zusammenbraut, der tatsächlich die gesamte USA (und alles andere, was sich auf der nördlichen Halbkugel befindet) mit etwas überzieht, was man nur als meteorologische Apokalypse bezeichnen kann. Inmitten dieses unvorstellbar gigantischen Schnee- und Eissturms versucht Jack Hall derweil verzweifelt, seinen Sohn Sam (Jake Gyllenhaal aus "Donnie Darko") zu retten, der mit einer kleinen Gruppe von Überlebenden in der New York Public Library bücherverbrennend gegen den Erfrierungstod und noch einiges mehr kämpft.
Natürlich könnte sich ein solches Wetterphänomen - selbst wenn es tatsächlich auftreten sollte - niemals in der im Film beschriebenen Geschwindigkeit entfalten, und so sollte man nicht den Fehler begehen, "The Day after Tomorrow" jenseits der zugrunde liegenden Theorie für wissenschaftlich bare Münze zu nehmen. Das tut indes nichts zur Sache, denn Emmerich nähert sich dem Thema Klimakatastrophe zwar genauso sensationalistisch, wie es seinem Hauptcharakter zu Beginn des Films vorgeworfen wird, aber große Unterhaltung basiert nun mal auf Sensationalismus. Emmerich nutzt hier die Mittel und Möglichkeiten des Blockbuster-Kinos, um seinem Publikum in aller Extremform die möglichen Folgen des Klimawandels aufzuzeigen. Das ist an vielen Stellen überzogen und gehorcht natürlich immer noch allen Regeln des Mainstream-Kinos. Das ist aber auch die erste ernst gemeinte Thematisierung einer real existierenden globalen Bedrohung in einem Blockbuster-Film, und in dieser Hinsicht hat Emmerich eine Multimillionen-Produktion für eine politische Aussage von großer Relevanz instrumentalisiert. Und dafür muss man ihm einfach Respekt zollen.
Dass so ein Film ausgerechnet vom schwäbischen "Spielbergle" Emmerich kommt, ist gleich in mehrfacher Hinsicht eine äußerst positive Überraschung, hatte er mit seinen bisherigen Filmen doch nicht nur auf gnadenlos realitätsfernen Eskapismus gesetzt, sondern sich mit propagandistischem Machwerk wie "Independence Day" und "Der Patriot" auch als amerikanischster Nicht-Amerikaner in Hollywood profiliert. Addiert man hierzu auch noch die in jeder Hinsicht außer Kontrolle geratene Frechheit "Godzilla", hatte sich Deutschlands erfolgreichster Regie-Export eigentlich schon lange einen Ruf als ernstzunehmender Filmemacher verspielt.
"The Day after Tomorrow" jedoch rehabilitiert ihn nachhaltig: Zwar erinnert das Karussell aus leicht klischierten Figuren öfters unangenehm an den Stereotypen-Overkill aus "Independence Day", und auch hier mag er nicht auf hochgehaltene Familienwerte verzichten; Emmerich hält sich aber halbwegs im Zaum und lässt genug Gelegenheiten für unnötige Rührseligkeiten verstreichen. Zudem hat er ein Ensemble unter sich, das hochwertige, aber unauffällige Arbeit leistet und den Film so mehrmals vor dem Umfallen ins Überdramatische rettet. Emmerich scheint in der Tat Zurückhaltung gelernt zu haben, denn im Gegensatz zu manch anderem Blockbuster der letzten Zeit läuft "The Day after Tomorrow" dramaturgisch nicht aus dem Ruder, kommt ebenso schnell in Schwung wie am Ende wieder raus, und wenn der Abspann anläuft, ist der Film noch keine zwei Stunden alt - das hat beim aktuellen Blockbuster-Kino schon fast Seltenheitswert.
Keine Zurückhaltung herrschte indes bei der Bebilderung der Klima-Apokalypse, und in der Tat kann man sich hier auf wahrlich Unvorstellbares gefasst machen: Wieder einmal werden amerikanische Großstädte dem Erdboden gleich gemacht, doch im Gegensatz zu "Independence Day" oder "Armageddon" sind hier nicht nur die Spezialeffekte noch ausgereifter und beeindruckender, sondern ist das gesamte Spektakel entschieden ergreifender, eben weil es hier nicht mehr um fantastisch anmutende Bedrohungen aus dem Weltall geht, sondern um die Eskalation des omnipräsenten Wetters - ein "Gegner" der nicht nur unbesiegbar, sondern auch ganz real existent ist. Was "The Day after Tomorrow" in seiner ersten Stunde an immer weiter eskalierenden Katastrophen und Alptraum-Szenarien aufeinander häuft, dass ist nicht nur extrem packend, sondern kann auch richtig erfolgreich Angst einjagen.
Angst vor einer Katastrophe, die Emmerich bewundernswert zielbewusst den richtigen Leuten in die Schuhe schiebt. Denn die einzige Person, die in "The Day after Tomorrow" so etwas wie einem Bösewicht gleichkommt, ist der amerikanische Vizepräsident, der mit den üblichen Hinweisen auf die schwache Wirtschaft und die drängenden Probleme der Gegenwart alle Appelle an höheren Klimaschutz vom Tisch fegt. Das ist für Emmerichsche Verhältnisse erstaunlich Amerika-kritisch und letztlich der Punkt, an dem "The Day after Tomorrow" aufhört, nur ein makellos produzierter Blockbuster zu sein, und anfängt, wirklich wichtig zu werden. Der Film wird sicher keinen plötzlichen Umschwung im allgemeinen amerikanischen Umweltbewusstsein hervorrufen, was er aber für die Sensibilisierung für dieses Thema zu leisten vermag, sollte trotzdem nicht unterschätzt werden. Natürlich kommt die ökologische Grundbotschaft des Films nicht sonderlich subtil daher, aber Subtilität ist zum einen nicht Emmerichs Sache und zum anderen im erfolgreichen Massenkino ohnehin nicht zu Hause. "The Day after Tomorrow" ist ein politischer Blockbuster. Immer noch ein konventioneller Blockbuster, aber nichtsdestotrotz politisch.
Und so bleibt's dabei: Roland Emmerichs bis dato bester Film schafft es in der Tat, die Möglichkeiten großer Multimillionen-Dollar-Produktionen neu zu definieren, und erweist sich währenddessen auch noch als schnörkelloser, durchgehend spannender und glänzend unterhaltender Popcorn-Streifen. Da kann man eine noch so grundsätzliche Antipathie gegen Blockbuster und ihre Stereotypen haben - viel besser als hier geht's nicht. Qualitativ ist "The Day after Tomorrow" jedenfalls schon jetzt der klare Sieger im diesjährigen Breitbild-Sommerkino.
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