In ihrem Haus

Originaltitel
Dans la maison
Land
Jahr
2012
Laufzeit
105 min
Genre
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Maximilian Schröter / 28. Oktober 2012

Germain (Fabrice Ernst Umhauer & Fabrice LuchiniLuchini, „Das Schmuckstück“, „Asterix und Obelix: Im Auftrag ihrer Majestät“) ist Französischlehrer mit einer großen Leidenschaft für die Literatur. Jahrzehntelange Berufserfahrung hat ihn jedoch gelehrt, dass es äußerst schwierig ist, diese Leidenschaft auch in seinen Schülern zu entfachen. Seiner Klasse ruft er bei Unterrichtsende schon mal ein verzweifeltes „Vergesst eure Handys! Lest Bücher!“ hinterher. Ansonsten hat er die Hoffnung, jüngere Generationen fürs Lesen und Schreiben begeistern zu können, aber längst aufgegeben. Als er abends zu Hause die Aufsätze seiner Schüler korrigiert, sieht er sich wieder einmal bestätigt – die Texte enthalten nichts als Banalitäten, die eine generelle Lustlosigkeit und ein Desinteresse an seinem Fach zum Ausdruck bringen. Vollkommen überraschend trifft Germain jedoch plötzlich auf eine Ausnahme: Der Essay des ihm bislang kaum aufgefallenen Schülers Claude Garcia (Ernst Umhauer) zieht ihn mit seiner dichten, stilistisch ausgefeilten Beschreibung des Familienlebens von Claudes Schulkameraden Rapha sofort in seinen Bann.

Mit einem zynischen Blick für Details beschreibt Claude einen Besuch bei Rapha und dessen Eltern, wobei er sich vor allem von Raphas Mutter (Emmanuelle Seigner) fasziniert zeigt, die offenbar eine starke erotische Anziehungskraft auf ihn ausübt. Diesem ersten Aufsatz folgen weitere und während sich Claudes Texte anfangs noch wie literarisch ausgearbeitete Beobachtungsprotokolle lesen, wird Germain schon bald klar, dass sie mehr sind als das und Claude sich nicht allein für das passive Beobachten interessiert, sondern aus Rapha und dessen Familie Karikaturen voller Ironie und Zynismus entwirft. Es drängt sich die Frage auf, inwieweit seine Schilderungen überhaupt der Realität entsprechen, zumal sie doch immer mehr verstörende und auch ernsthaft beunruhigende Elemente enthalten. Während Germain weiterhin fasziniert vom schriftstellerischen Können seines Schützlings ist, beginnt seine Frau (Kristin Scott Thomas) sich ernsthafte Sorgen zu machen – nicht zuletzt wegen Claudes offenkundiger sexueller Faszination für Raphas Mutter.
 

Regisseur François Ozon greift in „In ihrem Haus“ Themen auf, mit denen er sich im Verlauf seiner Karriere schon mehrmals beschäftigt hat: Vom Schreiben, der Literatur und der Vermischung von Realität und Fiktion handelten bereits Filme wie „Swimming Pool“ oder „Angel“ und auch das offen thematisErnst Umhauer & Emanuelle Seignerierte sexuelle Begehren ist immer wieder fester Bestandteil seiner Werke. Nach der zumindest an der Oberfläche bunten und leichten Komödie „Das Schmuckstück“ wechselt Ozon nun wieder ins ernstere Fach und legt mit „In ihrem Haus“ ein spannendes, aber letztlich nicht vollkommen befriedigendes Drama vor, für das er sich ein Theaterstück des spanischen Dramatikers Juan Mayorga als Vorlage genommen hat.

Eine der Fragen, die der Film behandelt, ist die nach den Grundzutaten guter, spannender Literatur bzw. Dramaturgie. Genau wie Germain es seinem Schüler Claude erklärt, muss die Hauptfigur eines gelungenen Dramas ein (inneres oder äußeres) Hindernis zu überwinden haben, also vor eine nur schwer zu bewältigende Aufgabe und eine existentielle Entscheidung gestellt werden. In diesem Fall ist es Germain, der vor der Entscheidung steht, ob er ins Geschehen eingreifen und Claude in seinem literarischen Eifer bremsen soll (schließlich ist ihm längst nicht mehr klar, ob Claudes verstörende Tatsachenberichte Realität oder Fiktion sind) oder ob er dem Geschehen freien Lauf lassen und seinen talentierten Schüler sogar noch zum Schreiben ermutigen soll, ungeachtet aller möglichen Konsequenzen. Das Drama wäre hier natürlich kein Drama, wenn Germain sich nicht zunächst für die zweite Alternative entscheiden würde.

Dass dieses Spiel mit der Realität lange Zeit gut funktioniert und der Film dabei auch gekonnt mit seinen Zuschauern zu spielen weiß, liegt nicht zuletzt an der schauspielerischen Leistung Ernst Umhauers, der Claude mit einer mysteriösen, faszinierenden Aura ausstattet, so dass man sich wirklich nie sicher sein kann, was im Kopf dieses jungen Schriftstellers vorgeht. Claude wirkt glatt und undurchschaubar, doch gerade deswegen auch interessant, weil man ständig auf der Suche nach den Motiven für sein Handeln ist. Schnell wird klar, dass diese sich unter anderem auf das Verlangen gründen, den Alltag einer ganz normalen Familie zu beobachten und ein Teil davon zu werden. Leider wird Claudes eigener familiärer Hintergrund im Film nur kurz gestreift und eine ausführliche Gegenüberstellung der verschiedenen Familienverhältnisse findet nicht statt. Diese hätte jedoch ein noch besseres Verständnis für Claudes Handeln ermöglicht.

Dennoch gelingt es François Ozon, aus den von Claude geschilderten, zunehmend schwerer als Realität oder Fiktion einzuordnenden Episoden des häuslichen Lebens von Raphas Familie und den Reaktionen seines Lehrers Germain sowie dessen Grübeln über seinen weiteren Umgang mit Claude einen sich immer mehr verdichtenden Spannungsbogen zu weben, der irgendwann reißen und die Charaktere ins Unglück stürzen muss. Die durchweg sehr guten Leistungen aller Darsteller und eine das Geschehen passend untermalende Filmmusik helfen ihm dabei, den Plot bis kurz vor Schluss interessant zu halten und dabei immer wieder wirklich packende Momente zu schaffen.
 

Die Erwartungen, die im LauIn ihrem Bettf der Handlung aufgebaut werden, erfüllt der Film am Ende aber leider nicht ganz. Genau wie Claude beim Schreiben seiner Geschichte ist auch der Film selbst ein wenig zu lange auf der Suche nach einem Ende. Als Claude von seinem Lehrer einmal den Ratschlag bekommt, ein gutes Ende müsse den Leser vollkommen überraschen, aber doch im Nachhinein als das einzig passende für die entsprechende Geschichte erscheinen, stellt man sich auch als Zuschauer die Frage, welch phänomenalen Schlusspunkt Ozon denn ans Ende seiner Geschichte setzen wird. Die Antwort darauf fällt dann leider etwas banal und unbefriedigend aus. Das macht den Film insgesamt zwar keineswegs zu einem schlechten, trübt allerdings den ansonsten sehr guten Gesamteindruck ein wenig.

Bilder: Copyright

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